Seniorenmahlzeit: Unterernährung im Alter häufig (Foto: Flickr/Poh)

Alte Menschen hungern sich zu Tode – Gerontologe: Blick in den Kühlschrank verrät Ernährungssituation

Brüssel – Mangelernährung gibt es auch in Europa: 30 Mio. sind davon betroffen, und der Großteil von ihnen sind alte Menschen. In Zeiten der alternden Gesellschaft muss dem Thema Ernährung im Alter mehr Bedeutung zugemessen werden, fordern Experten. „Jeder sechste Senior isst zu wenig, doch wird Mangelernährung zu wenig erkannt und behandelt. Dabei verringert ausreichende Ernährung nachweislich die Zahl und Dauer der Spitalseinlieferungen“, erklärt Jean-Pierre Baeyens, Past Präsident der Europäischen Gesellschaft für Past President der Europäischen Gesellschaft für Gerontologie http://eugms.org , im pressetext-Interview.Seniorenmahlzeit: Unterernährung im Alter häufig (Foto: Flickr/Poh) Gewichtsverlust nicht normal

Gewichtsverlust im Alter wird viel zu oft als normal angesehen, doch sei es vielmehr ein Zeichen fehlender Ernährung, betont der Experte. „Ganz im Gegenteil zu Jüngeren gilt bei alten Menschen die Regel, dass Wohlbeleibte länger leben als Dünne. Wer zu wenig isst, wird öfter krank, reagiert zudem auch schlechter auf Medikamente und hat eine höhere Sterblichkeit.“ Der Körper alter Menschen nimmt Kalorien aus dem Essen weit schlechter auf als bei Jungen. Aus zahlreichen Gründen essen Senioren dennoch meist viel weniger.

Da wären zunächst die körperlichen Ursachen. „Senioren haben oft Probleme mit Zähnen und Kiefern, zudem ist ihr Geruchs- und Geschmackssinn stark eingeschränkt. Mit 80 Jahren hat man bereits 70 Prozent der Sensorik für Zucker und Salz verloren, weshalb es normal ist, dass der Großvater mehr Würze und Süße im Essen braucht und das Essen im Pflegeheim als langweilig empfindet“, erklärt Baeyens. Große Probleme sind auch fehlende Beweglichkeit, kognitive Probleme – Alzheimer-Patienten vergessen leicht zu essen – sowie die oft übersehene Altersdepression.

Hunger im Heim

Besonders entscheidend sind für den Experten jedoch die sozialen Faktoren. „Nicht nur, dass Senioren nach dem Verschwinden des Tante-Emma-Ladens um die Ecke Probleme haben, die Einkaufstasche vom Supermarkt nach Hause zu tragen. Auch Armut spielt mit, da sich immer mehr Menschen im Alter finanziell zwischen Ernährung, Heizung oder Clubbesuch entscheiden müssen und nur eine Option wählen können. Sind 85-Jährige dann plötzlich alleine, hören sie nach ein paar Wochen auf zu kochen und ernähren sich nur noch von Milch, Brot und Käse. Nach einigen Monaten landen sie im Spital.“

Dabei geht es Senioren, die zuhause leben, vergleichsweise gut. 15 bis 25 Prozent von ihnen sind mangelernährt, während das Problem in Spitälern 25 bis 40 Prozent und in Pflegeheimen sogar 30 bis 70 Prozent betrifft. Als Ursache erkennt Baeyens hier das knappe Essensbudget und die Personalknappheit. „Das gesamte Essen muss auf einem Tablett serviert werden. Ideal wäre es, jeden Gang des Menüs zu zelebrieren wie bei einem Buffet. Ohne freiwillige Mitarbeiter ist das in keinem Heim möglich.“

Überlebenschance im Kühlschrank

Der belgische Altenmediziner betont, dass die Diagnose von Mangelernährung sehr einfach, ihre Behandlung vergleichsweise billig und deren Wirkung für die Gesundheit deutlich zu sehen sind. Dennoch würde das Problem selbst von Ärzten oft übersehen oder bagatellisiert. „Auch Angehörige müssen daher wachsam sein. Ein Blick in den Kühlschrank alter Menschen reicht dazu: Findet man dort nichts oder bloß abgelaufene Nahrung, ist dies ein deutlicher Hinweis für Unterernährung und auch für höhere Sterblichkeit, wie eine Genfer Studie zeigt.“

Spitäler und Pflegeeinrichtungen sollten mehr auf die Ernährung achten und auch die Medizin ist gefordert, verdeutlicht Baeyens. So sei es für die Ernährung vorteilhaft, wenn Medikamente – alte Menschen nehmen davon im Schnitt sieben pro Tag zu sich – möglichst gebündelt zu wenigen Tageszeiten eingenommen werden, sofern dies möglich ist. „Unsere Lebenserwartung ist innerhalb von 200 Jahren von 40 auf 80 Jahre gestiegen. Statt die Lebensjahre sollten wir künftig lieber die gesunden Lebensjahre erhöhen. Die Ernährung spielt dabei eine zentrale Rolle“, so der Experte.

 

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