Hamburg – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der damalige Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) wussten seit dem 7. August 2013, dass es keine konkrete Zusage der amerikanischen Regierung für ein No-Spy-Abkommen gab. Dennoch verkündete der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) am 12. August öffentlich, die US-Seite habe eine solche Vereinbarung angeboten. Das geht aus Unterlagen hervor, die NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung einsehen konnten.
Demnach hat Guido Westerwelle am 7. August mit seinem Amtskollegen John Kerry in den USA telefoniert. Zwei Tage zuvor war eine hochrangige deutsche Delegation zu Besuch in Washington gewesen und hatte dort mit Vertretern der us-amerikanischen Geheimdienste gesprochen. Diese hatten offenbar ein No-Spy-Abkommen für möglich erachtet – allerdings unter dem klaren Vorbehalt: Darüber müsse die Politik entscheiden.
Das Ergebnis des Telefonats zwischen Westerwelle und Kerry wurde in einem handschriftlichen Vermerk festgehalten: Kerry zeige sich „bereitwillig, ohne Konkretes zuzusagen“, die Prüfung in den USA laufe. Zudem drängte die deutsche Seite darauf, dass US-Präsident Barack Obama in einer anstehenden Pressekonferenz zum NSA-Skandal das angebliche No-Spy-Angebot erwähnt. Dies wäre – so hieß es in einem Vermerk des Kanzleramts – „außerordentlich hilfreich“. Aber Obama schwieg.
Angeregt wurde am 7. August zudem, dass auch Kanzlerin Merkel zum Hörer greife und direkt mit US-Präsident Barack Obama spreche – sollte bis zum nächsten Tag keine Antwort aus den USA da sein. In den Unterlagen finden sich weder Hinweise auf ein positives Signal aus Washington noch darauf, dass Merkel tatsächlich direkt mit Obama gesprochen habe.
Auf eine Anfrage von NDR, WDR und SZ, ob es nach dem Telefonat zwischen Westerwelle und Kerry und vor dem Auftritt Pofallas eine Antwort der USA zum No-Spy-Abkommen gegeben habe, teilte eine Regierungssprecherin lediglich mit: „Zu vertraulichen Gesprächen von Mitgliedern der Bundesregierung gibt die Bundesregierung keine Auskunft.“
Die neuen Unterlagen aus dem Kanzleramt machen auch deutlich, dass es unterschiedliche Auffassungen über das Treffen der deutschen Delegation mit den Geheimdienst-Vertretern in Washington gegeben hat. Der Leiter der Geheimdienst-Abteilung im Bundeskanzleramt, Günter Heiß, fasste die Ergebnisse des Gesprächs in einer Vorlage für die Bundeskanzlerin zusammen. Darin heißt es, der NSA-Chef Alexander sei bereit, „eine Zusicherung abzugeben, dass auf deutschem Boden jederzeit deutsches Recht respektiert werde“. Er wolle insoweit eine beidseitige Erklärung erzielen. „Über das ‚Ob‘ müsse allerdings die Politik entscheiden.“
Diese Bereitschaft zu einer „Zusicherung“ findet sich jedoch in einem Protokoll, die ein Mitarbeiter des BND verfasst hat, nicht wieder. Dort ist lediglich von einer „Bildung einer Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines Abkommens“ die Rede. So etwas könne sich der Chef der US-Geheimdienste, James Clapper, vorstellen. Er könne darüber aber „keine ad hoc-Entscheidung treffen, da es eine politische Entscheidung sei.“
Vor gut zweieinhalb Wochen hatten NDR, WDR und SZ interne Mailwechsel des Bundeskanzleramts mit dem Weißen Haus veröffentlicht. Daraus ging hervor, dass die US-amerikanische Regierung offenbar nie wirklich daran gedacht hatten, ein No-Spy-Abkommen mit Deutschland abzuschließen – und zu keinem Zeitpunkt eine Zusage gegeben hatte. Kanzlerin Merkel und Regierungssprecher Steffen Seibert hatten daraufhin erklärt, die Bundesregierung habe „nach bestem Wissen und Gewissen“ über das No-Spy-Abkommen informiert.
Aussender: NDR Norddeutscher Rundfunk, Ralf Pleßmann
Redaktion: TG / Hallo-Holstein