- foodwatch fordert: Julia Klöckner muss Kennzeichnungs-Wirrwarr beenden und sich für die Einführung des Nutri-Scores in Deutschland stark machen
Berlin, 11.04.19 – Die Verbraucherorganisation foodwatch hat den Vorschlag der Lebensmittelbranche für eine neue Nährwertkennzeichnung scharf kritisiert…
Das am Donnerstag vom Lobbyverband der Lebensmittelwirtschaft vorgestellte Modell sei irreführend und für die Verbraucherinnen und Verbraucher erwiesenermaßen deutlich weniger verständlich als eine Kennzeichnung in Ampelfarben. Die Lösung für eine verbraucherfreundliche Nähwertkennzeichnung liege mit der Nutri-Score-Ampel längst auf dem Tisch. foodwatch forderte Ernährungsministerin Julia Klöckner auf, sich wie ihre Kollegen in Frankreich, Belgien und Spanien endlich für die Kennzeichnung mit dem Nutri-Score stark zu machen.
„Die neue Nährwertkennzeichnung der Industrie ist ein dreister Versuch, eine verbraucherfreundliche Kennzeichnung zu verhindern. Anstatt im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher ein existierendes, von mehreren europäischen Regierungen und der Wissenschaft getragenes Modell wie den Nutri-Score zu unterstützen, versucht die deutsche Lebensmittelindustrie mit einem eigenen Modell Verwirrung zu stiften“, sagte Luise Molling von foodwatch. Im Gegensatz dazu hätten sich die französische und seit letzter Woche auch die belgische Lebensmittelwirtschaft klar für den Nutri-Score entschieden.
Das Industrie-Modell sieht fünf Kreise auf der Vorderseite der Verpackung vor, die jeweils die im Lebensmittel enthaltene Kalorienanzahl und die Menge an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz visualisieren sollen. In Form eines Tortendiagramms wird dargestellt, wie viel Prozent der empfohlenen maximalen täglichen Zufuhr dieser Nährstoffe der Verzehr von 100 Gramm beziehungsweise 100 Milliliter des Lebensmittels ausmachen.
foodwatch kritisierte insbesondere folgende Punkte am Vorschlag der Industrie:
- Das Modell ist weniger verständlich als die Lebensmittel-Ampel: Wissenschaftliche Studien belegen, dass eine Kennzeichnung in Ampelfarben die verständlichste Form der Nährwertkennzeichnung ist. Sie kann dazu beitragen, dass Menschen gesünder einkaufen. Eine einfarbige Kennzeichnung hat dagegen praktisch keinen Einfluss auf das Einkaufsverhalten. Das belegt eine groß angelegte Studie der französischen Regierung, die verschiedene Kennzeichnungsmodelle unter realen Einkaufsbedingungen miteinander verglich.
- Zu hoher Referenzwert für Zucker: Die Industriekennzeichnung suggeriert, man müsse täglich eine bestimmte Menge an ungünstigen Nährstoffen konsumieren. Für Zucker etwa liegt der unter Lobbyeinfluss festgelegte Referenzwert bei 90 Gramm pro Tag. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt dagegen, dass eine erwachsene Frau täglich nicht mehr als 50 Gramm, besser noch maximal 25 Gramm an freien Zuckern zu sich nehmen sollte.
Ärzteverbände, Krankenkassen und Verbraucherorganisationen fordern schon seit langem verbindliche Maßnahmen gegen Fehlernährung und Übergewicht, etwa eine verständliche Nährwertkennzeichnung in Ampelfarben oder eine Steuer auf gesüßte Getränke. In Ermangelung einer verbindlichen europäischen Regelung haben mehrere Länder Ampelkennzeichnungen auf freiwilliger Basis eingeführt. Das von französischen Wissenschaftlern entwickelte Modell Nutri-Score findet dabei gegenwärtig immer mehr Unterstützer: Es wurde bereits in Frankreich und Belgien eingeführt, auch Spanien hat seine Einführung angekündigt. Das Modell wurde von unabhängigen Wissenschaftlern entwickelt und nimmt eine Gesamtbewertung des Nährwertprofils eines Produktes vor, indem günstige und ungünstige Nährwertbestandteile mit Punkten bewertet und dann miteinander verrechnet werden. Lebensmittel wie Tiefkühlpizzen, Frühstücksflocken oder Fruchtjoghurts lassen sich mit dem Nutri-Score auf einen Blick vergleichen.
Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, bis zum Sommer ein eigenes Modell zur Nährwertkennzeichnung zu erarbeiten, das „gegebenenfalls vereinfacht visualisiert wird“. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner hatte sich bisher gegen das Konzept einer Lebensmittelampel gestellt.
Aussender: Sarah Häuser, foodwatch e.V.
Redaktion: Torben Gösch