„Wenn der Netzausbau nicht kommt, sind unterschiedliche Strompreiszonen in Deutschland die Alternative“. (R. Habeck)

BERLIN, 15.12.17 – Rede von Energiewendeminister Robert Habeck zur Bundesratsbefassung der Stromnetzzugangsverordnung. Es gilt das gesprochene Wort: „Sehr geehrte Damen und Herren, mit der Änderung der Stromnetzzugangsverordnung (neuer § 3a) soll die Einheitlichkeit der deutschen Stromgebotszone gewährleistet und damit der Status quo der historisch gewachsenen Gebotszone rechtlich abgesichert werden…

Stromgebotszonen beschreiben die Marktgebiete, für die Stromnachfrage und Stromangebot gegenübergestellt und einheitliche Großhandelsstrompreise ermittelt werden. Innerhalb einer Strompreiszone gilt der gleiche (Großhandels-) Beschaffungspreis – egal ob in München, Kiel, Düsseldorf oder Dresden. Zwischen verschiedenen Preiszonen sind die Handelsströme dagegen beschränkt; der Übergang wird bewirtschaftet: für den Übertritt von einer Zone in die andere fällt in der Regel ein zusätzliches Entgelt an.

Wir alle – Bundesregierung und Länder – haben uns in der Vergangenheit für einheitliche Lebensverhältnisse in Deutschland, für gleiche Wettbewerbsbedingungen für unsere Unternehmen und für einen gemeinsamen europäischen Energie-Binnenmarkt eingesetzt.

Deshalb ist die vorliegende Verordnung richtig:
• Die Entscheidung über Strompreiszonen ist eine gesellschaftliche Frage. Sie muss vom Gesetzgeber entschieden werden, nicht von privatwirtschaftlich agierenden Netzbetreibern.
• Eine Aufspaltung der Gebotszone innerhalb Deutschlands würde die Strompreisbildung, das Abgaben- und Steuersystem durch regionale Marktmacht verzerren, die Integration erneuerbarer Energien massiv erschweren, den eingeleiteten und geplanten Netzausbau in Frage stellen und insgesamt die Akzeptanz für die Energiewende gefährden.

Wir wollen in Deutschland möglichst keine Energiewende der unterschiedlichen Geschwindigkeiten!

Einheitliche Marktgebiete mit einheitlichen Preisen sind aber nur möglich, wenn der Strom tatsächlich zwischen Erzeuger und Verbraucher fließen kann. Und damit sind wir bei unserem zentralen energiepolitischen Problem in Deutschland: dem unzureichenden Netzausbau.

Die EU-Kommission hat zu erkennen gegeben, dass sie wegen der Netzengpässe innerhalb Deutschlands auf der Grundlage des EU-Kartell- und Wettbewerbsrechts auf eine Aufteilung der deutschen Gebotszone drängt. Nicht ausgeschlossen, dass bei den Verhandlungen des Energierats über das Clean Energy Paket am Montag (18.12.) Deutschland noch eine Frist von wenigen Jahren zur Beseitigung der Netzengpässe eingeräumt wird; danach gibt es eine Aufteilung der einheitlichen deutschen Preiszone.

Die Lage ist sehr ernst!

Unser gemeinsames Ziel ist nicht die Aufspaltung, sondern die kontinuierliche Erweiterung hin zu einem europäischen Binnenmarkt …
– der die europäische Energiewende voranbringt,
– Versorgungssicherheit über die Ländergrenzen hinweg gewährleistet und
– durch arbeitsteilige Erzeugung die Energiekosten senkt.

Deshalb bauen wir auch unsere Netze in Richtung unserer Nachbarn weiter aus.

Wer die einheitliche deutsche Strompreiszone behalten will, der muss dafür Sorge tragen, dass vor allem auch die großen HGÜ-Leitungen zeitnah kommen! Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass Netzausbau politische Führung braucht. Das gilt in noch viel stärkerem Maße für länderübergreifende Projekte. Die Bundesregierung muss sich stärker kümmern und darf sich eben nicht auf die Rolle der Genehmigungsbehörde allein beschränken. Zweifelsohne müssen die Leitungen rechtssicher geplant und genehmigt werden, aber wir brauchen eben auch mehr politischen Zug in den Planungen und im Dialog mit den Leuten vor Ort.

Aber auch wir in den Ländern müssen den innerdeutschen Netzausbau beschleunigen! Die Landesregierungen müssen sich hinter die großen Energiewende-Infrastrukturprojekte stellen: Wer die großen HGÜ-Projekte im Bundesbedarfsplangesetz – SüdLINK, Südost-LINK, … – immer noch und immer wieder in Frage stellt oder auch nur an der Zeitachse dreht, gefährdet die einheitliche deutsche Preiszone! Das muss jedem klar sein. Die Energiewende ist eine Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe und man überzeugt die Betroffenen vor Ort nicht von der Notwendigkeit von Energiewendeinfrastruktur, wenn man sich in föderalem Zwist und Unzuständigkeitserklärungen verliert.

Ich darf an dieser Stelle erinnern: Auch süd-, ost- und westdeutsche Stadtwerke und Unternehmen betreiben in Norddeutschland Windkraftanlagen – ja sogar offshore Windparks. Süd-, ost- und westdeutsche Unternehmen kaufen in Norddeutschland günstigen Strom. Damit wird es vorbei sein, dem werden Hindernisse in den Weg gelegt, wenn die Aufteilung in Preiszonen kommt.

Ich appelliere deshalb an uns alle, die Netze schnell auszubauen. So wie es jetzt läuft, kann und wird es jedenfalls nicht weitergehen. Wenn das Netz nicht ausgebaut wird, haben wir eine völlig paradoxe Situation: In den sogenannten Netzengpassgebieten ist ein Überangebot an Strom. Aber durch die einheitliche Strompreiszone wird der Preis in diesen Gebieten künstlich hoch gehalten. Das wiederum führt dazu, dass das Ausland seinen Strom, zusätzlich in die Netzengpassgebiete liefert. Wenn der Netzausbau nicht kommt, sind unterschiedliche Preiszonen in Deutschland die Alternative. Und das kann niemand ernsthaft wollen. Wir brauchen also den großräumigen innerdeutschen Netzausbau, um die deutschlandweite Energiewende erfolgreich zu gestalten.

Andernfalls muss ich für mich die Konsequenz ziehen. Dann war es für mich hier heute das letzte Mal, dass ich einen Beschluss mittrage, der an einer einheitlichen deutschen Strompreiszone festhält.

Aussender: Nicola Kabel, Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung (SH)
Redaktion: Torben Gösch