Basthorst, 16.06.17 – Exklusives Interview mit der künstlerischen Leiterin Melinda Thompson: Frau Thompson, als künstlerische Leiterin der Veranstaltungsfirma Great Performances Kiel und damit auch der diesjährigen Sommertournee „Nabucco“ setzen Sie sich sehr dafür ein, die Welt der Oper auch einem breiten Publikum nahe zu bringen. Gelingt das mit einem Ensemble, das in der italienischen Originalsprache singt?
Italienisch ist nun mal die Sprache der Oper, des Gesangs – einfach die Sprache der Musik. Unser Prinzip ist es, jede Oper in ihrer Originalsprache auf die Bühne zu bringen. (Die „Zauberflöte“ – beispielsweise – bringen wir ausschließlich auf Deutsch… *lacht* ) Es geht sehr viel an Musik, auch an Verständnis, verloren, wenn man die Texte in eine andere Sprache transponiert. Der Komponist hat schließlich den Zusammenhang SEINER Musik und SEINER Sprache in Einklang gebracht. Natürlich ist es gut, wenn man sich vorher mit der Handlung vertraut macht – meinetwegen auch im Internet. Außerdem bieten wir vor Ort ein ausführliches Programmheft an, in dem das Geschehen auf der Bühne – mit zusätzlichen Informationen und einer Reihe von Fotos – erläutert wird.
Man muss auch nicht unbedingt selber ein Opernfan oder gar Opernkenner sein, um eine Open-Air Aufführung von unserem „Nabucco“ zu genießen. Es ist gerade die lockere Atmosphäre: der laue Sommerabend, die wunderschöne Umgebung, Freunde und Bekannte aus dem Umfeld, die leckere Gastronomie – und dann dazu die herrliche Musik, die einem wie eine frische Brise über die Haut streicht… jeder sollte mindestens einmal im Leben so etwas erlebt haben!
„Nabucco“ hat ja bis heute eine ungebrochene Faszination. Wie erklären Sie sich die ungeheure Beliebtheit dieser Oper – auch nach fast zweihundert Jahren?
Das Grundthema – Freiheit und Unabhängigkeit – ist ein uraltes Anliegen der Menschheit – und wird es immer bleiben. Die Dankbarkeit der Menschen bei uns, in einem freien Land leben zu dürfen. Und auch vielleicht die Angst, diese Freiheit zu verlieren – oder auch, die Heimat zu verlieren – was übrigens fast das Gleiche ist.. Nicht umsonst ist der Gefangenenchor „Va, pensiero“ bis heute eine der beliebtesten Verdi-Kompositionen überhaupt. In dem „Highlight“ des Abends, eben dem Gefangenenchor, wird mit einer großen Empathie, in einer sehr gefühlvollen und eindringlichen Art, das besungen, wonach wir uns alle sehnen: der Wunsch nach Unabhängigkeit, nach einem friedlichen Leben in der Heimat – ohne Unterdrückung und Angst.
Natürlich braucht es dazu einen phantastischen Chor, der all dies eindringlich übermitteln kann. Und den bringen wir mit!
Als Künstlerische Leiterin gerade dieser Open-Air-Tournee – haben Sie sicher auch manche skurrilen oder bemerkenswerten Situationen erlebt. Können Sie uns einige nennen, und wie sind Sie damit umgegangen?
Zuerst einmal: Eine Aufführung unter freiem Himmel ist immer eine logistische Herausforderung und erfordert die unbedingte Konzentration und Zusammenarbeit, aller, wirklich ALLER Mitarbeiter. Das beginnt mit der Auswahl des Spielortes: Das kann der Innenhof einer Burg sein, ein Marktplatz, eine Sportarena – selbst in einem stillgelegten Schwimmbad haben wir schon gespielt – tatsächlich in diesem nun trockenen Schwimmbecken! Meist kommen wir mit drei Sattelschleppern voll Material an: Bauzäune für 170 Meter, Bühnenbretter für 120 Quadratmeter, Zelte für die Mannschaft und das Orchester, die gesamte Bestuhlung. Danach das Bühnenbild, schließlich die Künstler. Bei der Verkehrssituation auf deutschen Autobahnen im Sommer können Sie sich vorstellen, dass wir manchmal Angst und Bange sind, ob alles pünktlich und reibungslos vor sich geht. Es ist schon öfter vorgekommen, dass die Künstler in ihren Bussen so lange im Stau stehen mussten, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als sich im Bus zu schminken. Das Publikum saß schon erwartungsvoll auf seinen Plätzen, da erst kamen unsere Busse an! In Windeseile sprangen die Sänger in die schon vorbereiteten Kostüme, die Orchestermusiker stimmten ihre Instrumente ein, und alle legten los! Zum Glück hatte unsere fleißige Technik das Bühnenbild, den Ton und alle nötigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Vorstellung einrichten können. – nebst Bestuhlung selbstverständlich.
An eine etwas unheimliche Vorstellung kann ich mich noch ganz genau erinnern: Wir waren in der Schweiz, in einer ziemlich bergigen und etwas unwirtlichen Gegend. Es war solch ein Nebel über den Bergen und um uns herum – wir konnten die Bühne und alles andere nur schemenhaft wahrnehmen. Und plötzlich: In einem nahe gelegenen Feld marschierten die Kühe von der Weide nach Hause – die Glocken um ihren Halsen tönten durch die Luft; doch man sah gar nichts davon, man hörte sie nur… wunderschön gespenstisch!
Können Sie uns noch etwas zum Ensemble sagen?
Etwa 100 Künstler – Sänger, Tänzer, Musiker – aus namhaften Opernhäusern und Orchestern Tschechiens haben sich zu einem eigenen Ensemble zusammengefunden: der Festspieloper Prag. Seit Jahren sind wir erfolgreich mit großen Opern – wie eben „Nabucco“ oder auch der „Zauberflöte“, „Aida“ und „Carmen“ – unterwegs und spielen oft in Orten, die sonst wenig Zugang zu klassischer Musik und Oper haben. Es ist immer wieder beglückend zu sehen, mit welcher Freude und welchem Engagement sämtliche Künstler und Techniker dabei sind – auch oder gerade in schwierigen Situationen. An eine erinnere ich mich besonders gut: Unser Nabucco, also sein Darsteller, war krank – und zwar so krank, dass er mit viel Heroismus auf der Bühne agieren, aber keinen einzigen Ton singen konnte. Das übernahm ein junger Bariton aus dem Chor, der hinter der Bühne fast die ganze Partie übers Mikrofon gesungen hat. So etwas sollte nicht passieren, aber es ist doch gut, wenn man weiß, man kann sich auf sein Ensemble auch in schwierigen Situationen verlassen.
Bei Ihren Tourneen kommen Sie viel herum – quer durch Deutschland und auch die Schweiz und Österreich. Zwei Fragen interessieren mich da besonders: Das ist doch unglaublich anstrengend für Sie alle – wie schaffen sie das?
Und haben Sie und Ihre Kollegen dennoch Zeit, die Orte, in denen Sie auftreten, kennen zu lernen? Immerhin sind sie nicht als Touristen dort, sondern haben eine aufwendige Vorstellung vorzubereiten und zu absolvieren.
Zur ersten Frage: ja, es ist unglaublich anstrengend, jeden Tag mehrere Hundert Kilometer im Reisebus zurück zu legen. Man kommt im Spielort an, kann – wenn man Glück hat, im Hotel einchecken – wenn nicht, geht es gleich auf die Bühne zur Probe. Da aber alle – Sänger, Orchestermusiker, Regie und Technik – danach streben, eine richtig gute, akustisch und atmosphärisch gelungene Vorstellung zu liefern, können sie das wirklich gut abwägen – und entscheiden sich meist für das, was im Augenblick richtig und wichtig ist.
Das klingt so, als hätten Sie und Ihre Kollegen kaum Zeit, sich die Orte, in denen Sie spielen, richtig anzusehen.
Doch, die Zeit nehmen sie sich! Alle unsere Künstler – die meisten stammen, wie gesagt, aus Tschechien – freuen sich auf die schönen und eindrucksvollen Orte, in denen sie auftreten dürfen – ja, sie betrachten es wirklich als Auszeichnung: in Städten zu spielen, die sie möglicherweise von früheren Auftritten her kennen und lieben oder die sich ihnen vollkommen neu offenbaren. Es sind oft nur kurze, aber sehr eindrucksvolle Begegnungen, die ihnen die märchenhafte Umgebung ihrer jeweiligen Spielstätte nahe bringt – ein Grund mehr, im nächsten Jahr wieder auf Tournee dorthin zu gehen.
Aussender: Jule Schlicker, Paulis – Das Veranstaltungsbüro
Redaktion: Torben Gösch