Berlin, 16. März 2017. Angst und Depression, Aggression gegen sich selbst und andere: Unter diesen alarmierenden Symptomen leiden immer mehr Kinder, die aufgrund des EU-Türkei-Deals auf den griechischen Inseln festsitzen. Das zeigt der neue Bericht von Save the Children „A Tide Of Self-Harm and Depression“. Die politische Vereinbarung zwingt derzeit tausende Familien und mehr als 5.000 Kinder zu einem Leben unter haftähnlichen Bedingungen oder in überfüllten und unsicheren Unterkünften…
Kinder sehen Leichen, werden in gewaltsame Proteste verwickelt, haben all ihr Hab und Gut verloren, den ganzen Winter in dünnen Zelten oder kaum geschützt auf Parkplätzen verbracht und sind von Bildungsmöglichkeiten abgeschnitten. Um dieser schrecklichen Lebensrealität zu entfliehen, greifen immer mehr Jugendliche zu Alkohol und Drogen, Dealer schlagen daraus Kapital. Manche Kinder verletzen sich auch selbst, sogar schon im Alter von neun Jahren. Die Mütter entdecken die Wunden und Narben beim Baden ihrer Kinder. Außerdem gibt es Zwölfjährige, die versucht haben, sich umzubringen, unter anderem weil sie Zeugen von Selbstmordversuchen wurden. Einen solchen Fall haben Kinder sogar gefilmt.
„Der EU-Türkei-Deal sollte eigentlich den Fluss ‚illegaler Migration‘ nach Griechenland stoppen – aber zu welchen humanitären Kosten geschieht das nun?“, sagt Andreas Ring von Save the Children Griechenland. „Unsere Kollegen beobachten eine erschreckende Verschlechterung des seelischen Zustands der Kinder und fürchten, dass eine Generation mit großen, langfristigen psychischen Problemen heranwächst – und zwar in Europa, direkt vor unserer Haustür. Diese Kinder haben das Schlimmste durchgemacht, um unvorstellbarem Grauen zu entkommen und Sicherheit zu finden – gefunden haben sie weitere Verzweiflung. Einige Kinder nennen die Camps Hölle und sagen, sie würden sich dort wie Tiere fühlen, nicht wie Menschen. Und die älteren Mädchen und Jungen wissen, dass es das Verschulden der EU ist, dass sie dort auf unbestimmte Zeit festsitzen. Kinder haben große Widerstandskräfte, aber unter solchen Zuständen drohen sie zu zerbrechen. Es muss jetzt gehandelt werden für sie – je eher wir Ihnen helfen, desto schneller werden sie sich erholen.“
Save the Children hilft mit kinderfreundlichen Räumen, in denen sie geschützt spielen und Kind sein können sowie psychosozial unterstützt werden. „Diese Art der Hilfe ist dringend notwendig, aber auf Dauer nicht ausreichend“, mahnt Andreas Ring an. Die weltweit größte unabhängige Kinderrechtsorganisation ruft daher die EU und die griechische Regierung auf, umgehend die rechtswidrige und ungerechtfertigte Festsetzung von Geflüchteten zu beenden: Die betroffenen Inseln müssen entlastet und die Kinderflüchtlinge und ihre Familien in sichere Unterkünfte umgesiedelt werden. Für unbegleitete Kinder muss es mehr Unterbringungsmöglichkeiten geben, zudem müssen Kinder mit psychischen Störungen unmittelbar an Orte gebracht werden, an denen sie angemessen behandelt werden können.
„Ich habe gravierende Veränderungen im Verhalten meines Sohne beobachtet“, sagt der Geflüchtete Babak, der mit seinem 12-jährigen Sohn dabei war, als ein Feuer vergangenes Jahr Teile des Lagers in Chios vernichtete, in dem sie gestrandet waren. „Er hat große Angst seit dem Brand“, berichtet Babak, „er schläft nicht gut und leidet unter Alpträumen, ich habe die gleichen Symptome. Niemand kann unter solchen Bedingungen leben. Ich hasse mich selbst und Europa.“
Mitarbeiter von Save the Children berichten, dass einige unbegleitete Kinderflüchtlinge rund um die Uhr in einem „Überlebensmodus“ sind und in Schichten schlafen, um sich gegenseitig zu schützen.
Der vollständige Bericht „A Tide of Self-Harm and Depression“ (Englisch) zum Download: http://www.savethechildren.de/downloads/berichte-studien
Bilder und Erlebnisberichte von Kindern:
· https://storycentral.savethechildren.org.uk/pages/search.php?search=%21collection45436&k=5ec57d873b
· https://storycentral.savethechildren.org.uk/pages/search.php?search=%21collection45202&k=48440c14a9
Aussender: Save the Children Deutschland e.V., Claudia Kepp
Redaktion: Torben Gösch