Deutscher Wohlstand auf dem Rückzug

Deutscher Wohlstand auf dem Rückzug – Die Wirtschaft wächst, die Unzufriedenheit der Bevölkerung auch

Mölln – Wohlstandswende in Deutschland: Die Wirtschaft wächst, der Lebensstandard steigt, doch die Bundesbürger fühlen sich immer schlechter. Ein wachsender Anteil der Bevölkerung (2002: 33% – 2012: 38%) ist mit der eigenen Lebenssituation unzufrieden und zugleich davon überzeugt, dass die Lebensqualität in Deutschland im Vergleich zu früher „eher geringer geworden ist“. Diese negative Wohlstandsbilanz geht aus einer aktuellen Repräsentativumfrage von 2.000 Personen ab 14 Jahren in Deutschland hervor, die das Ipsos-Institut in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Zukunftswissenschaftler Professor Dr. Horst W. Opaschowski durchgeführt hat.Deutscher Wohlstand auf dem Rückzug

„Das Wohlstandsdenken in Deutschland hat sich verändert“, so Professor Opaschowski. „Das Mehr an materiellen Wohlstandsgütern ist den Bürgern immer weniger wert, weil dabei Zwischenmenschlichkeit und Gemeinwohl auf der Strecke zu bleiben drohen oder gar das persönliche und soziale Wohlergehen der Menschen darunter leidet.“ Grenzenloses Wachstum geht nach Meinung der Bevölkerung zu Lasten von Natur und Umwelt. Und ständige Lebensstandardsteigerungen belasten die sozialen Beziehungen im Nahmilieu von Familie, Freundeskreis und Nachbarschaft.

 

Die Ipsos-Repräsentativumfrage weist nach, dass es nicht die Ärmsten mit den geringsten Einkommen sind, die sich kritisch über den Verlust an persönlicher Lebensqualität äußern. Es ist vielmehr die untere Mittelschicht (43%) mit einem durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommen von 1.250 bis 1.750 Euro.

Wohlstandsgefälle in Deutschland: Die Landbevölkerung wird ausgegrenzt, jeder Zweite klagt über Lebensqualitätsverluste

Jeder zweite Landbewohner (52% – Großstädter: 31%) beklagt sich über die sinkende Lebensqualität vor Ort. Am meisten bekommen dies Arbeitslose (57%) zu spüren. Auch die 55plus-Generation fühlt sich deutlich mehr (44%) von allgemeinen Lebensmöglichkeiten ausgeschlossen als etwa die jüngere Generation unter 34 Jahren (28%). Die neuen Wohlhabenden sind jung, urban und besser verdienend.

Professor Opaschowski: „Die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung ist nicht in erster Linie eine Geld- und Einkommensfrage, sondern eher eine Verteilungs- und Gerechtigkeitsfrage. Während die meisten Menschen in Großstädten und Ballungszentren gut leben können, müssen immer mehr Landbewohner um das zum Leben Notwendige kämpfen: Die Grundversorgung vom Lebensmitteleinkauf über Bildungs- und Kulturangebote bis zur medizinischen Betreuung ist nicht mehr gewährleistet.“

Die wachsende Unzufriedenheit der Bundesbürger ist ein Ausdruck wachsender Ungleichheit. Das Wohlstandsgefälle zwischen Stadt und Land gefährdet die soziale Stabilität und damit auch das wirtschaftliche Wachstum von Regionen – durch Landflucht und Immobilien-Leerstände auf dem Lande bis zur Mietenexplosion und Wohnungsnot in urbanen Zentren. Über die regionale Verteilung von Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität in Deutschland muss neu nachgedacht und entschieden werden. Sonst endet der nationale Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ im Abgesang „Unser Dorf stirbt aus“, weil Läden und Gaststätten, Schulen und Schwimmbäder schließen, der Öffentliche Nahverkehr ausgedünnt wird und die ärztliche Versorgung nur noch im Notfall stattfindet. Wer dennoch bleibt, lebt wegen sinkender Lebensqualität immer öfter am Leben vorbei – und nicht wie die Städter mitten im Leben.

Wachsende Lebensunzufriedenheit der Bevölkerung ist die Hauptursache für Politikverdrossenheit und Wahlverweigerung

Weil nach dem Empfinden der Bevölkerung die Lebensqualität in Deutschland ständig sinkt, gilt Wohlstand ohne Lebensqualität nicht mehr als sozialer Fortschritt. Und auch steigende Einkommen tragen nicht zu höherer Lebenszufriedenheit bei: Eine folgenreiche Entwicklung für Politik und Demokratie. Denn weltweit ist in der internationalen Sozialforschung unbestritten, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Lebensunzufriedenheit, Politikverdrossenheit und Wahlverweigerung gibt. Wächst die Unzufriedenheit der Bürger, breiten sich Wechsel-, Protest- und Nichtwähler aus.

Professor Opaschowski: „Trotz Wirtschaftswachstum und höherem Lebensstandard nimmt das subjektive Gefühl zu, dass es mit einem und mit allem bergab geht. Die Menschen fühlen sich schlechter, weil sie einen Teil ihrer Lebensqualität verlieren. Sie lasten dies der Politik an, die gute Zeiten und ‚fette Jahre‘ versprochen hat. Nur: Fett schwimmt oben. Wer darunter liegt, kriegt nichts ab.“

Die politischen Folgen bleiben nicht aus. In den letzten zehn Jahren ist der Anteil der Nichtwähler bei den Bundestagswahlen ständig gestiegen (2002: 20,9% – 2005: 22,3% – 2009: 27,8%). Wird – wenn sich politisch nichts ändert – bei der Bundestagswahl 2013 die Wahlbeteiligung einen historischen Tiefstand und das Lager der Nichtwähler 30 Prozent oder mehr erreichen, wenn die Unzufriedenheit der Bundesbürger (2002: 33% – 2012: 38%) auch 2013 weiter wächst?

Es ist schon bemerkenswert: 38 Prozent der Bevölkerung sind nach der aktuellen Ipsos-Repräsentativumfrage mit der Entwicklung in Deutschland unzufrieden – genausoviele, wie beispielsweise bei der letzten Landtagswahl im Saarland im März 2012 der Wahl ferngeblieben sind (38%). Unzufriedene Bürger werden wahlmüde und politikverdrossen.

Die Bürger wollen Wohlergehen für alle – „Wohlergehen“ ist der neue Wohlstand mit Zufriedenheitsgarantie

Das Wohlergehen des Landes und der Menschen steht im Zentrum des Lebensinteresses. Wohlergehen heißt: Gut leben können. „Wohlergehen ist Wohlstand mit Zufriedenheitsgarantie“, so Professor Opaschowski. Wer als Politiker Wohlstand für alle verspricht, muss auch Wohlergehen für alle garantieren können. Das ist der neue Wohlstandsmaßstab für das 21. Jahrhundert.

Fragestellung:
Die Meinungen darüber, ob die Menschen in Deutschland heute glücklicher und zufriedener leben als früher, sind geteilt. Wir haben hier drei unterschiedliche Ansichten. Welcher Meinung können Sie persönlich am ehesten zustimmen?

Ansicht 3: „Wohlstand allein macht nicht glücklich. Das Konsum- und Anspruchsdenken der meisten Menschen geht zu Lasten von Natur und Umwelt. Und auch die sozialen Beziehungen haben darunter zu leiden. Die Lebensqualität ist eher geringer geworden.“

Steckbrief:
Die Ergebnisse stammen aus einer computerunterstützten persönlichen Befragung in Privathaushalten, durchgeführt von Ipsos Observer in Zusammenarbeit mit Prof.Dr. Horst W. Opaschowski. Befragt wurden 2.000 Personen ab 14 Jahren in Deutschland vom 19. März bis 01. April 2012.

Über Prof. Dr. Horst W. Opaschowski
Prof. Dr. Horst W. Opaschowski ist Zukunftswissenschaftler und Berater für Politik und Wirtschaft. Nach dem Studium in Bonn und Köln promovierte er 1968 über die sozialen Folgen der Tourismusentwicklung. 1973 entwickelte er im Auftrag der Bundesregierung eine freizeitpolitische Konzeption. Von 1975 bis 2006 war er Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. 1979 gründete er das BAT Freizeit-Forschungsinstitut, das 2007 in die Stiftung für Zukunftsfragen umgewandelt wurde, deren Wissenschaftlicher Leiter Opaschowski bis Ende 2010 war. Seine Themenschwerpunkte liegen im Bereich der Gesellschafts- und Zukunftsforschung.

Über Ipsos und Ipsos Observer:
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Ipsos GmbH
Ansprechpartner: Susanne Schmidt