Bundeslagebild Menschenhandel 2010, Bundeskriminalamt veröffentlicht aktuelle Zahlen für Deutschland

 

Wiesbaden – Im Jahr 2010 wurden in Deutschland 470 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung abgeschlossen. Dies bedeutet im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang um 12 Prozent (2009: 534). Auch die Anzahl der Opfer ist mit 610 um 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr (2009: 710) gesunken. Entsprechend der Entwicklung in den vergangenen Jahren stammte auch 2010 der Großteil der Opfer (85 Prozent) aus dem europäischen Raum. Bei den ausländischen Opfern dominierten erneut rumänische (119 Opfer) und bulgarische (115 Opfer) Staatsangehörige. Die Zahl nigerianischer Opfer stieg auf 46 (2009: 34). Rund 14 Prozent der Opfer waren minderjährig. Die Zahl der wegen Verdachts des Menschenhandels registrierten Tatverdächtigen betrug 730 und damit etwa sechs Prozent weniger als im Vorjahr (2009: 777). Bei den Tatverdächtigen dominierten mit einem Anteil von fast 26 Prozent erneut deutsche Staatsangehörige. Den größten Anteil bei den ausländischen Tatverdächtigen stellten bulgarische, rumänische und türkische Staatsangehörige.

Nach wie vor ist von einem erheblichen Dunkelfeld im Bereich Menschenhandel auszugehen. Die größte Herausforderung bleibt die Schwierigkeit, Opfer von Menschenhandel zu identifizieren und diese zu einer Aussage vor den Strafverfolgungsbehörden zu bewegen, um den Straftatbestand des Menschenhandels nachweisen zu können. Bei Staatsangehörigen aus den neuen EU-Beitrittsländern, insbesondere Bulgarien, Rumänien und Ungarn, die sich mittlerweile legal in Deutschland aufhalten und der Prostitution als selbständiger Dienstleistung nachgehen können, besteht häufig der Verdacht der Scheinselbständigkeit und von Ausbeutungsstrukturen. Diese Personen sind überwiegend aber fest in familiär und/oder ethnisch dominierte Sozialstrukturen eingebunden, haben keine Beziehung zum deutschen Rechts- und Sozialstaat und sind nicht bereit, gegen die Täter aus den eigenen Reihen auszusagen. Bei Opfern aus schwarzafrikanischen Ländern beobachten die Strafverfolgungsbehörden weiterhin besondere Formen der Einschüchterung – beispielsweise bringen die Täter die Opfer durch Voodoo-Rituale in eine psychische Zwangslage. Die Folge ist, dass die Betroffenen in der Regel nicht bereit sind, mit der Polizei und den Fachberatungsstellen zu kooperieren oder ihre anfänglichen Zeugenaussagen oftmals wieder zurücknehmen. Speziell in diesem Phänomenbereich wurden im Mai 2011 – auf Anregung und koordiniert durch das BKA – bundesweit Kontrollen im Rotlichtmilieu durchgeführt. Ziel der Maßnahmen war es, Opfer von Menschenhandel aus Westafrika zu identifizieren und Hinweise auf die dahinter stehenden Täterstrukturen zu erlangen. Insgesamt wurden in 13 Bundesländern etwa 1.000 Prostitutionsstätten durchsucht. Durch diese Maßnahmen konnten potentielle Opfer von Menschenhandel erkannt und 6 Ermittlungsverfahren gegen Menschenhändler eingeleitet werden. (BKA-Pressemitteilung vom 13.05.2011).

Im Bereich Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft wurden im vergangenen Jahr insgesamt 24 Ermittlungsverfahren abgeschlossen. Dies entspricht einer Steigerung von 140 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Insgesamt wurden 37 Tatverdächtige – und damit knapp 16 Prozent mehr als im Vorjahr – registriert. Es dominierten deutsche Staatsangehörige mit knapp 46 Prozent. Im Jahr 2010 wurden 41 Opfer des Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft ermittelt, rund 78 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Steigerungen sind vor allem auf einen Verfahrenskomplex des Landeskriminalamtes Niedersachsen zurückzuführen. In diesem Komplex wurde gegen eine in Hannover ansässige Firma wegen Verdachts des Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft zum Nachteil chinesischer Staatsangehöriger ermittelt. Nach wie vor ist die (illegale) Arbeitsaufnahme in Deutschland ein wesentlicher Antrieb für Migration. Es zeigt sich, dass die Delikte schwerpunktmäßig im Gaststättengewerbe zum Nachteil von nichtdeutschen Staatsangehörigen verübt werden. Auch in diesem Phänomenbereich muss von einem großen Dunkelfeld ausgegangen werden, da auch hier eine besondere Abhängigkeit der Opfer von den Tätern besteht, die die Opfer in ihrer Kooperationsbereitschaft mit den Strafverfolgungsbehörden einschränkt. Ziel muss es daher sein, Bekämpfungskonzepte, die im Bereich Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung seit Jahren erfolgreich in der Praxis angewendet werden, entsprechend anzugleichen beziehungsweise zu erweitern und auf diesen Phänomenbereich zu übertragen. BKA-Vizepräsident Jürgen Stock: „Menschenhandel ist ein Kriminalitätsphänomen, bei dem die Täter gezielt ein Abhängigkeitsverhältnis ausnutzen und ihre Opfer durch physische und psychische Gewalt gefügig machen. Die Aussagen der Opfer sind nach wie vor von zentraler Bedeutung, um gegen die Täter ermitteln zu können. Polizei und Fachberatungsstellen müssen Opfern, die sich aus eigenem Antrieb an die Polizei wenden wollen, möglichst umfassende Möglichkeiten zur Anzeigenerstattung schaffen – durch verstärkte Präsenz im Milieu und gezielte Ansprachen. Im Rahmen der Befragung der Opferzeugen ist ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und interkultureller Kompetenz notwendig – neben Herkunft und Kultur muss dabei das oft sehr junge Alter der Betroffenen berücksichtigt werden. Nur wenn es uns gelingt, das Vertrauen der Opfer zu gewinnen und sie zur Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden zu bewegen, können wir den Kreislauf aus Unterdrückung, Einschüchterung und Abhängigkeit zwischen Opfern und Tätern durchbrechen. Eine professionelle Opferbetreuung und die enge Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden mit Fachberatungsstellen sind daher auch weiterhin von zentraler Bedeutung.“

Weitere Einzelheiten finden Sie auf der Homepage des BKA unter www.bka.de unter Themen A – Z / Menschenhandel.

 

Bundeskriminalamt - Pressestelle