Faktorenerkrankung bei Rindern oder so genannter „chronischer Botulismus“: Kein signifikantes Problem vorhanden – weitere Forschung erforderlich

KIEL. In der Landwirtschaft und insbesondere in der Rinderhaltung in Schleswig-Holstein gibt es derzeit kein signifikantes Problem mit der Faktorenerkrankung, die auch als so genannter „chronischer Botulismus“ bezeichnet wird. Das teilt das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume heute (20. Juli) mit. Für aktuelle Berichte, in einigen Kreisen in Schleswig-Holstein seien bereits 90 Prozent der Rinderbestände mit chronischem Botulismus infiziert, gibt es aus Sicht des Ministeriums keine Anhaltspunkte.

Hinzu kommt, dass jährlich nur ca. 60 Anträge auf Impfung vermeintlich erkrankter Bestände gestellt werden, das ist weniger als ein Prozent der Rinderhaltungen in Schleswig-Holstein insgesamt.

Die aktuell wieder gemachten Hinweise auf ein konkretes Krankheitsgeschehen beziehen sich zudem auf einen Fall in einem Betrieb aus dem Zeitraum 2007/2008 und liegen somit bereits einige Jahre zurück. In diesem Fall sind, anders als teilweise öffentlich dargestellt, statt 850 Rinder tatsächlich nur ca. 30 Rinder unter amtstierärztlicher Aufsicht getötet worden. Die anderen Tiere wurden behandelt bzw. unmittelbar verkauft. In dem betroffenen Betrieb sind damals zahlreiche Probleme aufgetreten, die ursächlich zu Erkrankungen bei den Tieren beigetragen haben.

Da der Rinderhaltung in der schleswig-holsteinischen Landwirtschaft eine besonders wichtige Rolle zukommt, hält das Landwirtschaftsministerium eine Verbesserung der Erkenntnislage und die Verhinderung der Faktorenerkrankung des Rindes gerade am Standort Schleswig-Holstein für erstrebenswert. Das Ministerium begrüßt im Rahmen einer gebotenen Versachlichung der Diskussion weitere wissenschaftliche Anstrengungen bei der Forschung. Die Rolle der so genannten Clostridien soll hierzu im Rahmen eines bundesweit koordinierten Forschungsprojekts bewertet werden.

Die Faktorenerkrankung hat ein äußerst vielfältiges Erscheinungsbild, zum Beispiel Blähungen insbesondere im Vormagenbereich, verzögerte Reflexe, Klauengeschwüre, verringerte Milchleistung, Fruchtbarkeitsstörungen, bestimmte Lahmheiten, gestörtes Allgemeinbefinden bis hin zu Tierverlusten. Eine klare Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern ist deswegen nach wie vor schwierig. Hinzu kommt, dass die Clostridien als so genannte „Allerweltskeime“ auch im gesunden Rinderpansen aufzufinden sind und anscheinend erst eine Verschiebung innerhalb der Bakterienzusammensetzung im Pansen zur Faktorenerkrankung führt.

Vermutlich tritt die Erkrankung durch das gleichzeitige Einwirken mehrerer Auslöser auf. Das Ministerium unterstützt Anstrengungen zur weiteren Erforschung, zum Beispiel im Verbund mit wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen oder Fachverbänden. Insbesondere hält das Ministerium es für dringend geboten, möglichst bald zu praxisgerechten und wissenschaftlich fundierten Kriterien zu kommen, die es ermöglichen, gegebenenfalls betroffene Rinderhaltungen diagnostisch gesichert ausfindig zu machen. Zudem unterstützt das Landwirtschaftsministerium die Anstrengungen des Bundes, die Diagnostik der Clostridien und ihrer Toxine möglichst schnell zu vereinheitlichen und eine Bewertung der derzeit vorhandenen diagnostischen Möglichkeiten vorzunehmen.

Bis diese Herausforderungen zufrieden stellend bewältigt sind, hält das Ministerium es fachlich für nicht gerechtfertigt, bei der Faktorenerkrankung des Rindes von einer Seuche zu sprechen.

Zur Botulismuserkrankung beim Menschen teilt das Gesundheitsministerium in Schleswig-Holstein mit: Im Land ist seit dem Jahr 2009 kein Fall einer menschlichen Botulismuserkrankung gemeldet worden. 2009 waren zehn Verdachtsfälle aus dem Kreis Steinburg gemeldet worden, davon hatten sich lediglich zwei bestätigt. In diesen Fällen bestand der Verdacht auf einen so genannten „chronischen Botulismus“. Dies ist ein wissenschaftlich bisher nicht gesichertes Krankheitsbild. Zur weiteren Abklärung wurden überregionale Untersuchungen veranlasst, die andauern.

Weitere Informationen zu „chronischem Botulismus“ sowie Fragen und Antworten sind beim Bundesinstitut für Risikobewertung unter www.bfr.bund.de erhältlich.

C. Seyfert, C. Conrad | Ministerium für Landwirtschaft | Kiel |