„Der Gesetzentwurf der Landesregierung löst das Problem auf eine rechtssichere und praktikable Weise“, sagte Innenminister Klaus Schlie nach der Kabinettssitzung vor der Presse in Kiel. Künftig gilt der Grundsatz: Die Gemeindevertretung beschließt in allen Angelegenheiten der kommunalen Selbstverwaltung. Die demokratisch direkt legitimierten Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker entscheiden selbst, ob und in welcher Weise eine Selbstverwaltungsaufgabe wahrgenommen werden soll. Das Amt bereitet die Beschlüsse der Gemeinde vor und setzt sie administrativ um. „Damit ist klar, dass die Gemeinde der alleinige Träger von Selbstverwaltungsaufgaben ist“, sagte Schlie.
Allerdings gilt auch: Keine Regel ohne Ausnahme. Und die Ausnahme bei der Amtsordnung sieht so aus: Mehrere amtsangehörige Gemeinden können gemeinsam die Trägerschaft von Selbstverwaltungsangelegenheiten ganz oder teilweise auf das Amt übertragen. Dabei gilt die Formel „5 aus 16“. Das heißt: Aus einem gesetzlich festgelegten Katalog von 16 Selbstverwaltungsaufgaben können die Gemeinden bis zu höchstens fünf Aufgaben zur eigenverantwortlichen Entscheidung an das Amt abgeben. Der Auswahlkatalog enthält ausschließlich solche Aufgaben, bei denen entweder die technische Durchführung ohnehin im Vordergrund steht oder die keine herausragenden gestalterischen Spielräume mit weit reichenden Folgen für die Zukunft haben. „Damit bewegen wir uns in dem Gestaltungsrahmen, den das Landesverfassungsgericht gezogen hat“, sagte Schlie. Die neue Amtsordnung verhindere insbesondere eine schleichende Entwicklung von Ämtern zu Gemeindeverbänden.
Der Gesetzentwurf trägt nach Aussage des Ministers zur Wiederbelebung der ursprünglichen Idee der kommunalen Selbstverwaltung bei. Die Gemeindevertretung sei wieder der Ort, an dem alle wichtigen politischen Entscheidungen in Selbstverwaltungsangelegenheiten getroffen würden. Das Amt bleibe weiterhin für die Gemeinden unverzichtbar. Es behalte seine Koordinierungsfunktion und bereite auch künftig die Beschlüsse und die Sitzungen der Gemeindevertretungen vor, berate die Gemeindevertreter fachlich, nehme alle staatlichen Weisungsaufgaben wahr und sei für die Umsetzung der auf Gemeindeebene getroffenen Entscheidungen verantwortlich. Daneben übernehme das Amt unverändert für die Gemeinden die Kassengeschäfte und die Finanzbuchhaltung, bereite die Aufstellung der Haushaltspläne vor und erledige alle anderen anfallenden Arbeiten einer laufenden Verwaltung.
Die reformierte Amtsordnung enthält auch eine Neuregelung über die Zusammensetzung der Amtsausschüsse. Danach werden unterschiedlich große Gemeinden im Amtsausschuss angemessen repräsentiert, indem sie Stimmenkontingente erhalten, die sich nach der Einwohnerzahl richten. Jede Gemeinde hat für jeweils 100 Einwohner eine Stimme im Amtsausschuss. Die Stimmen einer Gemeinde werden zu gleichen Teilen auf deren Mitglieder im Amtsauschuss aufgeteilt. Stimmrechte, die rechnerisch übrig bleiben, erhält der Bürgermeister, der bereits aufgrund seiner Funktion Mitglied im Amtsausschuss ist. Zugleich wird sichergestellt, dass nicht eine große Gemeinde allein alle anderen amtsangehörigen Gemeinden überstimmen kann.
In Schleswig-Holstein gibt es 87 Ämter. Ihre Einwohnerzahl reicht von rund 1.300 beim Amt Pellworm – ohne eigene Verwaltung – bis zu knapp 40.000 im Amt Südtondern. Die Zahl der amtsangehörigen Gemeinden bewegt sich zwischen drei bei den Ämtern Haseldorf, Oeversee und Schrevenborn und 34 im Amt Kirchspielslandgemeinden Eider.
Die Änderung der Amtsordnung ist Teil einer Reform des gesamten kommunalen Verfassungsrechts. So sieht der Gesetzentwurf vor, dass
Ø Gemeinden ab 4.000 Einwohnern ohne eigene Verwaltung einen hauptamtlichen Bürgermeister bestellen können. Die bisherigen Regelungen zum Gemeindedezernenten werden dadurch überflüssig.
Ø das Vorschlagsrecht für die Direktwahl von hauptamtlichen Bürgermeistern künftig den Parteien statt den Fraktionen zusteht.
Ø die Regelungen für Fraktionen neu konzipiert werden. Bisher steht im Gesetz, dass eine Fraktion von den Mitgliedern einer Partei gebildet wird. Diese Bestimmung wird gestrichen. Die Aufnahme und das Ausscheiden von Mitgliedern regeln künftig die Fraktionen in ihren Geschäftsordnungen.
Ø für Landräte und Amtsdirektoren als Qualifikationsanforderungen die Merkmale Eignung, Befähigung und Sachkunde gesetzlich vorgeschrieben werden.
Ø wie im Landeswahlrecht, die Sitzverteilung auch auf kommunaler Ebene von d`Hondt auf das Verfahren nach Sainte-Lague/Schepers umgestellt wird.
Ø es den Gemeinden selbst überlassen bleibt, auf welche Weise sie die Einwohner beispielsweise über bedeutende Angelegenheiten informieren und ob sie Einwohnerversammlungen und Einwohnerfragestunden veranstalten.
Ø über den Ausschluss der Öffentlichkeit in Sitzungen in jedem Einzelfall entschieden werden muss; eine allgemeine Ausschlussregelung ist nicht mehr möglich.
Ø Kooperationsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene erweitert werden. In Zukunft sind auch amtsinterne Zweckverbände zulässig. Die Mitglieder des Amtsausschusses können – wie bereits jetzt schon – zugleich auch die Mitglieder des Zweckverbandes sein. Außerdem wird die kommunale Zusammenarbeit über die Grenzen Schleswig-Holsteins hinaus erleichtert.
Ø für Städte über 50.000 Einwohner der Sonderstatus „Große kreisangehörige Stadt“ eingeführt wird. Dadurch können Aufgaben und Zuständigkeiten des Kreises vollständig auf die Stadt übertragen werden. Das Pilotprojekt für diese Form interkommunaler Funktionalreform ist Norderstedt. Die Stadt hat seit 2005 den vom Innenministerium zu vergebenden Status einer „Großen kreisangehörigen Stadt“.
Nach Ansicht von Schlie dürfte kaum ein Gesetzentwurf der Landesregierung in der Vergangenheit schon im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen, die nach der Sommerpause beginnen, so breit und intensiv öffentlich diskutiert worden sein. Bereits vor der ersten Kabinettsbefassung am 3. Mai 2011 gab es landesweit vier Regionalkonferenzen im vergangenen Jahr und zehn Diskussionsveranstaltungen in den Kreisen mit schätzungsweise 1.700 Kommunalpolitikern im Frühjahr dieses Jahres. Zwischen dem ersten Durchgang im Kabinett und der Kabinettsentscheidung an diesem Dienstag hatten die der Kommunalen Landesverbände fünf Wochen Zeit zur Stellungnahme. Das zurückliegende Verfahren forderte von allen Beteiligten ein großes Maß an Engagement und Zeit, sagte der Minister. Das Ergebnis habe sich gelohnt. Die Gespräche seien sehr sachlich und konstruktiv verlaufen. „Interesse und Sachkunde waren durchweg insgesamt sehr groß“, sagte Schlie.
„5 aus 16“:
Fünf der folgenden Selbstverwaltungsaufgaben können mehrere amtsangehörige Gemeinden gemeinsam dem Amt ganz oder teilweise übertragen: Abwasserbeseitigung, Wasserversorgung, Bau, Unterhaltung und Reinigung von Straßen einschließlich Winterdienst, Schulträgerschaft, sonstige Bildungs- und Kultureinrichtungen, Trägerschaft von Kindertageseinrichtungen, Förderung des Sports, Freizeitgestaltung für Kinder und Jugendliche, soziale Betreuung der Einwohnerinnen und Einwohner, Brandschutz und Hilfeleistung, Förderung des Tourismus, Wirtschaftsförderung, Gesundheitspflege und medizinische Versorgung, Integrierte Ländliche Entwicklung, Ausbau schneller Internetzugangsmöglichkeiten (Breitband) und Energie- und Wärmeversorgung
Thomas Giebeler | Innenministerium | Kiel |