BERLIN: Schleswig-Holsteins Arbeitsminister Dr. Heiner hat heute vor dem Bundesrat zum „Gesetzespaket SGB II-Regelsätze“ betont: 1. Vorab: Dass die SGB- Reformen der Rot-Grünen Regierungszeit vom Bundesverfassungsgericht gleich zweimal wegen Verstößen gegen das Grundgesetz gerügt wurde ist sicher nicht zu bagatellisieren. Eigenartig ist aber, dass diejenigen, die insoweit allen Anlass zu Selbstkritik hätten, nichts dergleichen vernehmen lassen, sondern die Urteile instrumentalisieren, die Gesamtleistung dieser Reformen – Stück für Stück – zu zerreden.
2. Es war eine wirklich große Leistung – das sage ich jenseits der üblichen politischen „Farbenspiele“ -, zwei steuerfinanzierte zentrale Sozialleistungen zusammenzubringen, um das zu ermöglichen, worum es zuallererst gehen muss: Teilhabe zu ermöglichen statt Armut zu verwalten.
3. Das, und nicht die oft unterstellte Schikane von Arbeitssuchenden, war der Sinn des Grundsatzes „Fordern und Fördern“. Teilhabe statt Armutsverwaltung bleibt richtigerweise die Leitlinie der Bundesregierung. Lassen Sie mich konkret zu einigen Kritikpunkten Stellung nehmen.
4. Die Bundesregierung hat die Neuermittlung der Bedarfssätze in einer Weise transparent gemacht, wie dies nie zuvor der Fall gewesen ist. Soweit ausgerechnet die SPD-Kolleginnen und Kollegen in bundeseinheitlicher Sprachregelung die zugrunde gelegte Datenbasis kritisiert, finde ich das schon nicht mehr redlich. Hier wird bewusst ein Maßstab angelegt, der überhaupt nicht erfüllbar ist. Die Daten der Statistischen Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) aus 2008 sind die einzigen Daten, die zur Verfügung standen. Auf welcher verbindlichen Basis sollte die Ermittlung den sonst erfolgen – zumal in der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Zeitspanne?
5. Selbstverständlich ist es eine politische Frage, welche Ausgabenposten aus dem „Warenkorb“ man als Bestandteil eines soziokulturellen Existenzminimums ansieht und welche nicht. Es war eine politische Entscheidung, anders als SPD und Grüne erstmals internetbezogene Kosten einzubeziehen. Ebenso wie es eine ist, Positionen wie Ausgaben für Haushaltshilfen, Flugreisen, Schnittblumen, illegale Drogen, Tabak, Alkohol und Glücksspiel aus der Berechnung der Regelsätze herauszunehmen. Es geht um die begründete Entscheidung, was man zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums für erforderlich hält.
6. Sachgerecht ist auch die Verschiedenbehandlung von Single- und Mehrpersonen-Bedarfsgemeinschaften. Die Annahme, dass in einem Mehrpersonenhaushalt bestimmte Kosten nicht für jede Person voll anfallen, sollte doch nachvollziehbar sein, etwa am Beispiel: Erwerb eines Kühlschranks. Wenn Sie alleine leben, brauchen Sie einen, wenn Sie zu zweit oder dritt leben: Ebenfalls. Und nicht zwei oder drei. Das hat die Bundessozialministerin mit Plausibilitätsberechnungen offen gelegt. Auch hier sehe ich: Transparenz und nicht die in der öffentlichen Debatte zum Teil behauptete Willkür.
7. Es war von Anfang falsch und unverantwortlich, wie zum Teil behauptet wurde, dass das Verfassungsgericht „höhere Regelsätze“ gefordert habe, statt sich beispielsweise ernsthaft an der Klärung zu beteiligen welches die Kriterien zur Bestimmung eines Mindestbedarfs sind. Die erstmalige eigenständige Herleitung des Bedarfs von Kindern und Jugendlichen im Rahmen von Sonderauswertungen der EVS ist eine Leistung, die Rot-Grün, als sie es gekonnt hätten, eben nicht gewollt hat.
8. Wir wollen und können es bei den jetzigen ersten Schritten zum 1.1. 2011 nicht belassen. Das will auch die Bundesregierung nicht, darum bin ich froh darüber, dass wir in einem auf Umsetzung und nicht auf Blockade orientierten Prozess uns darauf verständigt haben, dass bei der Entscheidung über Leistungen zur Bildungsteilhabe die Bildungs- und Beratungskompetenz in bestehenden Institutionen in den Kommunen genutzt werden sollen. Es wäre unsinnig, hier eine Parallelstruktur hochzuziehen.
9. Zum Thema Bildungsteilhabe zählt auch das Anliegen, entsprechende Mobilitätskosten im Regelsatz zu berücksichtigen. Das betrifft einerseits das Thema Schulwegkosten, die als reguläre Leistung zur Bildung und Teilhabe zu berücksichtigen sind, und zwar für den gesamten Schulbesuch. Niemand will ein Kind aus einer ALG-II Bedarfsgemeinschaft vom Besuch eines Gymnasiums abhalten. Dann macht es aber auch keinen Sinn, die entsprechende Berücksichtigung von Schulwegekosten auf die Sekundarstufe I zu beschränken. Aus Sicht eines Flächenlandes ist es unverzichtbar, hier nachzusteuern.
10. Das gilt ebenfalls für die Mobilitätskosten, die notwendige Voraussetzung dafür sind, dass Kinder und Jugendlich die gutscheinbasierten Teilhabeangebote tatsächlich wahrnehmen können, die die Bundesarbeits- und -sozialministerin dankenswerterweise auf den Weg bringen will. Auch hier gilt, dass diese Angebote jedenfalls in ländlichen Regionen ohne öffentliche Verkehrsmittel für Minderjährige in der Regel nicht erreichbar sind. Auch hier gilt es, nachzusteuern. Ich bin zuversichtlich, dass uns das in einem konstruktiven Prozess gelingt.
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