Stadt verbietet Naziaufmarsch am 31. März 2012 – Bei Durchführung der Versammlung sind öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet

Der Bürgermeister als Versammlungsbehörde der Hansestadt Lübeck hat heute die für den 31. März 2012 angemeldete Versammlung unter dem Motto „Bomben für den Frieden? – Im Gedenken an den alliierten Bombenterror vom 28./29. März 1942“ („Trauermarsch“) gemäß § 15 Absatz 1 Versammlungsgesetz verboten. Es liegen erkennbare Umstände dafür vor, dass bei Durchführung der Versammlung die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet sind.

Gestützt ist die Verbotsverfügung auf Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden des Landes Schleswig-Holstein, die geeignet sind zu belegen, dass diese Versammlung wie auch vergleichbare sog. „Trauermärsche“ nur vorgeblich dem Gedenken an die zivilen Opfer der Bombardierung dienen, vielmehr ein Instrument zur Verbreitung eines Gedankengutes zur Billigung und Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft sind. Hierdurch droht unter Verletzung der Würde der Opfer eine Störung des öffentlichen Friedens.

 

Eine Rolle spielen hierbei auch die jüngst bekannt gewordenen Ereignisse um die rechtsterroristische NSU und Zwickauer Terrorzelle, die das Empfinden der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber der Gutheißung oder Rechtfertigung von Elementen des NS-Regimes nachträglich sensibilisiert und klargemacht haben: Die rechtsextreme Szene in Deutschland strebt nicht mehr nur danach, ihre widerliche Ideologie zu verbreiten, sie greift jetzt auch zu terroristischer Gewalt. Eine verstärkte Gewaltbereitschaft ist jüngst auch im Herzogtum Lauenburg und in Leck deutlich geworden. Das begründet eine neue Qualität in der Bewertung des angemeldeten „Trauermarsches“.

Ferner liegen Hinweise vor, die auf eine Gewaltbereitschaft des Teilnehmerkreises des „Trauermarsches“ schließen lassen. Zu berücksichtigen waren seitens der Versammlungsbehörde auch parallel angemeldete eigenständige kirchliche Veranstaltungen zum ungestörten Gedenken an die Opfer am 70. Jahrestag der Bombardierung Lübecks. Die durch das Grundgesetz garantierte ungestörte Religionsausübung (Artikel 4 Grundgesetz) sowie die Menschenwürde, insbesondere der Zeitzeugen anlässlich dieses besonderen Jahrestages, würden durch den „Trauermarsch“ der Rechtsextremen in unerträglicher Weise gestört werden, so dass in der Gesamtschau aller Umstände die Versammlung zu untersagen ist.

Im Wesentlichen wird das Verbot wie folgt begründet:

1. Gefährdung der öffentlichen Sicherheit

Bei der Durchführung der Versammlung besteht die unmittelbare Gefahr des Verstoßes gegen die Strafvorschrift des § 130 Absatz 4 StGB. Nach § 130 Absatz 4 StGB wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.

Nach Auffassung der Versammlungsbehörde ist fast mit Gewissheit zu erwarten, dass die Versammlungsteilnehmer die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigen, verherrlichen oder rechtfertigen und dadurch den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise stören werden.

In der Gesamtschau gibt es eindeutige Anhaltspunkte auf Grund von Äußerungen und Verhaltensweisen auf Seiten des Veranstalters und der Versammlungsteilnehmer, die auf eine Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft schließen lassen. Hierzu zählen u.a.:

· die Leugnung deutscher Kriegsschuld und nationalsozialistischer Gräueltaten deutscher SS-, SA- und Wehrmachtsangehöriger,

· die Glorifizierung von Horst Wessel und anderer sogenannter „Blutzeugen“,

· die Verwendung der Terminologie und Bildsprache des 3. Reichs,

· die wiederholte Betonung des deutsch-„völkischen“ Gedankens,

· die Billigung der rechtsterroristischen Morde der NSU,

· die Gewaltbereitschaft gegenüber Andersdenkenden und dem Staat und

· die Bezichtigung Andersdenkender der Kriminalität und des „Antideutschtums.“

Hinzu kommt, dass von einer fehlenden Friedfertigkeit der Versammlungsleitung und einer Gewaltbereitschaft des Teilnehmerkreises auszugehen ist.

2. Gefährdung der öffentlichen Ordnung

Die auf Jahre im Voraus angemeldeten sogenannten „Trauermärsche“ mobilisieren einen rechtsextremistischen Teilnehmerkreis, der nach außen hin bewusst provozierend auftritt und sich insgesamt ein unfriedliches Gepräge gibt. Angesicht der bekannt gewordenen Ereignisse und Erkenntnisse um die NSU und die Zwickauer Terrorzelle ist hier die Grenze des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren erreicht.

Ein Verbot auch unter dem Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ist gerechtfertigt, weil der angemeldete „Trauermarsch“ zu einer erheblichen Störung der seit Jahrzehnten in der Hansestadt Lübeck vorhandenen Gedenkkultur anlässlich Palmarum für die Opfer der Bombardierung führt. Parallel zu dem „Trauermarsch“ finden kirchliche Gedenkveranstaltungen für die Opfer und Kundgebungen im Lübecker Stadtgebiet statt, die gleichrangig unter dem Schutz der Artikel 4 und 8 Grundgesetz stehen. Darüber hinaus kommt dem 70. Jahrestag der Bombardierung Lübecks eine hervorgehobene Bedeutung zu.

Auf Grund dieser besonderen Bedeutung ergibt sich nach Auffassung der Versammlungsbehörde, dass unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde ein Anspruch auf ein ungestörtes Gedenken an die Opfer der Bombardierung besteht. Es handelt sich zum einen unter der Mitwirkung noch lebender Zeitzeugen um eine der letzten Trauermöglichkeiten und zum anderen um den besonderen Gesichtspunkt des Trauerns nach Bekanntwerden der unfassbaren Wirkung nationalsozialistischen Gedankengutes als Auslöser neuer Mordtaten.

Das ungestörte Gedenken wird durch den „Trauermarsch“ der Rechtsextremen in unzumutbarer Weise erheblich gestört. In der Abwägung besteht ein überwiegendes Interesse an einem Versammlungsverbot zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.

Das Verbot wird sofort vollzogen. Gegen die sofortige Vollziehung des Verbots kann der Anmelder der Versammlung beim Verwaltungsgericht Schleswig einen Eilrechtsschutzantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung stellen.

Bürgermeister Bernd Saxe und Innensenator Bernd Möller danken abschließend dem Innenministerium und insbesondere den Sicherheitsbehörden für die gute Zusammenarbeit. +++

Presseamt Lübeck