Migräne und chronischer Kopfschmerz sind bei Kindern und Jugendlichen auf dem Vormarsch: Hatten in den 70er-Jahren nur 14 Prozent von ihnen Kopfschmerz-Erfahrung, sind es heute 60 bis 80 Prozent. Die Politik ignoriert das Thema völlig und es gibt kaum Behandlungszentren, warnen Experten. „Kopfschmerz sieht man nur als Symptom, das durch Behandlung der grundlegenden Ursache ohnehin verschwindet. Das trifft auf akuten, nicht aber auf chronischen Kopfschmerz zu“, betont Çiçek Wöber-Bingöl, Leiterin des pädiatrischen Komitees der internationalen Kopfschmerz-Gesellschaft http://ihs-headache.org , am 16. Internationalen Wiener Schmerzsymposium.
Gefahr aus dem Eistee
Meist tritt Kopfschmerz bei Kindern gemeinsam mit Infekten auf, zunehmend jedoch auch als Migräne, an der drei bis fünf Prozent der Unter-Zwölfjährigen leiden, in der Pubertät bei Knaben sieben und bei Mädchen zwölf Prozent. Zu den Auslösern zählen zu wenig oder zu viel Schlaf, fehlendes Trinken, das Auslassen von Mahlzeiten, Schulstress, Ängste und Familienprobleme. „Vermutlich stehen Stress, Scheidungen und prekäre materielle Verhältnisse wesentlich hinter diesem Anstieg“, schätzt Wöber-Bingöl, die zugleich an der Wiener Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie die Kopfschmerzambulanz leitet.
Einige der gängigen Annahmen über Kopfschmerz-Verursacher sind schlichtweg falsch, so die Neurologin gegenüber pressetext. „Bei manchen Kindern tritt Spannungskopfschmerz immer dann auf, wenn sie zuvor Süßigkeiten oder Obstsalat verzehrt haben. Der Auslöser des Kopfschmerzes ist hier wohl die Unverträglichkeit bestimmter Inhaltsstoffe, nicht etwa der Heißhunger. Auch der oft überbordende Konsum von Eistee spielt eine Rolle. Die Eltern übersehen, dass die Kinder darin viel Teein konsumieren, das wie Koffein wirkt.“ Teils stecken hinter Kopfweh jedoch auch nicht erkannte Seh-, Lese- oder Lernstörungen.
Lebensstil überprüfen
Um solche Verursacher auszuschließen, muss der Arzt in der Anamnese sehr präzise vorgehen – „nicht nach Routineplan, sondern altersadaptiert und unter Berücksichtigung der Sorgen und Ängste der Eltern“, wie Wöber-Bingöl betont. Kindliche Migräne ist oft von Erbrechen, Bauchschmerzen oder Schwindel begleitet. Warnsignale bei Kleinkindern sind, wenn sie nicht mehr spielen, sich zurückziehen und hinlegen, zudem auch wiederholte Blässe oder Weinerlichkeit. Ist eine bildgebende Abklärung nötig, rät die Expertin zur MRT – aus Gründen des Strahlenschutzes, der Ergebnis-Genauigkeit und da die Eltern dabei sein können.
Die Migränetherapie muss bei der Aufklärung der Kinder und ihrer Eltern ansetzen, um typische Auslöser im Alltag zu vermeiden und den Lebensstil anzupassen. Wichtig sind hier etwa die Einschränkung von Teein und Koffein, regelmäßiges Trinken und Mahlzeiten, Verzicht auf Elektronik eine halbe Stunde vor dem Bettgehen, genügend Lernpausen und Abbau von Stressmomenten. „Ein Kind braucht vom Aufstehen bis zum Verlassen der Wohnung 40 Minuten. Sind es immer nur 15 Minuten, ist der Effekt ähnlich wie wenn man ein Auto ständig von null auf 200 km/h beschleunigt“, sagt Wöber-Bingöl.
Besser ohne Medikamente
Bei Anzeichen einer Migräneattacke sollten Kinder von Reizen abgeschirmt werden und sich in ruhiger, abgedunkelter Umgebung hinlegen. Gegenüber Analgetika ist äußerste Zurückhaltung angebracht, was auch bei Spannungskopfschmerz zutrifft, bei dem Entspannen und Ablenken am besten wirken. Allein dadurch gelingt es bei drei von vier Kindern mit über drei Kopfschmerzattacken pro Woche, die auf eine Attacke in zwei Monaten zu reduzieren, so die Erfahrung der Expertin. „Es ist wichtig, das Problem in der Kindheit und Jugend zu erkennen und Betroffene vorzubereiten, etwa was den richtigen Umgang mit Medikamenten betrifft. Sonst nehmen sie den Kopfschmerz ins Erwachsenenalter mit.“
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Kopfschmerz: Verkanntes Problem bei Minderjährigen (Foto: Flickr/Martinak)