Schon lange ist bekannt, dass das Alter ein entscheidender Faktor für das Auftreten von Lymphdrüsenkrebs und den Erfolg einer Therapie ist. Jetzt ist einem interdisziplinären Verbund von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Prof. Dr. Wolfram Klapper, Leiter der Sektion für Hämatopathologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, und Professor an der Medizinischen Fakultät der Christian Albrechts-Universität (CAU), und Prof. Dr. Reiner Siebert, Direktor des Instituts für Humangenetik des UKSH und der CAU, der Nachweis gelungen, dass sich die molekularen Eigenschaften von Tumorzellen bei Lymphdrüsenkrebs mit dem Alter der Patientin oder des Patienten verändern.
Mit zunehmendem Alter nimmt die Zahl der Veränderungen im Erbgut der Tumorzellen zu und die Tumorzellen werden resistenter gegen eine Therapie. „Doch wie bei jeder Regel gibt es auch hier Ausnahmen“, sagt Prof. Klapper. Manchmal fänden sich auch „molekular junge“ Krebszellen bei älteren Patienten. „Diese Erkenntnisse eröffnen uns neue Wege für eine auf das ´molekulare Alter´ abgestimmte individuelle Therapie“, sagt Prof. Siebert. Die Ergebnisse der Studie wurden in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Blood“ veröffentlicht.
In der Erforschung der molekularen Grundlagen und in der feingeweblichen und genetischen Diagnostik von Lymphdrüsenkrebs (Lymphome), gerade auch im Kindesalter, zählen die Sektion Hämatopathologie und das Institut für Humangenetik der CAU und des UKSH zu den weltweit führenden Forschungseinrichtungen. Die interdisziplinären Forschungsprojekte der beiden Einrichtungen gemeinsam mit einer Vielzahl klinischer Partner werden seit vielen Jahren u.a. von der Deutschen Krebshilfe und der Kinderkrebsinitiative Buchholz, Holm-Seppensen, gefördert.
Im Rahmen des Verbundprojektes „Molekulare Mechanismen in Malignen Lymphomen“ der Deutschen Krebshilfe wurden in der bisher größten Studie zu dieser Tumorerkrankung die molekularen und genetischen Veränderungen von sogenannten diffusen großzelligen B-Zell Lymphomen, einer der häufigsten Formen von Lymphdrüsenkrebs, analysiert. Die für diese Tumore bisher weltweit einzigartige Herangehensweise, die molekularen Eigenschaften dieser Erkrankungen bei Kindern und Erwachsenen zu vergleichen, brachte jetzt den Durchbruch. „Wir wissen seit langem, dass Kinder andere Arten von Lymphomen bekommen als Erwachsene“, erklärt Prof. Klapper. „Aber erst bei der Untersuchung einer Lymphomart, die vom Säuglings- bis zum Greisenalter auftreten kann, wurde die Abhängigkeit vom Alter ersichtlich. Das Lymphom ist in gewisser Weise ein Abbild des Lebensalters des Patienten, wann immer es auftritt.“
Für die Studien wurden die Krebszellen von insgesamt 364 Lymphomen analysiert. Lymphome entstehen aus entarteten Zellen des Immunsystems. „Wir gehen davon aus, dass sich mit zunehmendem Alter auch zunehmend Schäden im Erbgut solcher Immunzellen ansammeln. Wenn dann durch solche Schäden im Erbgut zu viele Funktionen der Zelle verändert sind, kann sie sich in eine Krebszelle umwandeln und ein Lymphom entsteht“, erklärt Prof. Siebert. Bei jüngeren Patienten, wie z.B. Kindern, führen dagegen wahrscheinlich eher wenige, dafür aber vielleicht besonders stark die Zellfunktion beeinflussende Veränderungen zur Entstehung einer Lymphomzelle, nehmen die Wissenschaftler an. „Natürlich kann es solche, stark die Zellfunktion beeinflussende Veränderungen auch einmal bei älteren Patienten geben, dann entstehen quasi molekular junge Lymphome bei hohem Lebensalter.“
Die Studie, die im Februar 2012 in der Fachzeitschrift „Blood“ publiziert wurde, stellt forschende und behandelnde Ärztinnen und Ärzte vor neue Herausforderungen: „Auch wenn wir jetzt wissen, dass sich die Tumorzellen dieser Erkrankung bei Kindern und Erwachsenen molekular unterscheiden, so können wir auf der Basis unser molekularen Daten leider doch keine Altersgrenze definieren, die zwischen einem molekular jungen und einem molekular alten Lymphom sicher unterscheidet“, so Prof. Klapper. Bis eine „personalisierte“ Medizin für jedes „Lymphomalter“ verfügbar sein wird, müsse die Therapie nach dem Alter der Patientin oder des Patienten ausgesucht werden. Hier unterscheiden sich die heutigen Therapiestandards für Kinder und Erwachsene erheblich.
„Unser Ziel ist es“, so Prof. Siebert, „einen Test zu entwickeln, der die Auswahl einer optimalen, also an die molekularen Eigenschaften der Erkrankung angepasste und damit eine personalisierte Therapie ermöglicht – unabhängig davon, wie alt der Patient in Jahren ist.“
Um diese bisherigen Forschungsergebnisse weiterzuentwickeln, arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jetzt an einem vollständigen Katalog der genetischen Veränderungen in den Krebszellen von Lymphomen. Hierzu haben sie sich mit zwölf führenden deutschen Arbeitsgruppen mit dem Schwerpunkt Lymphdrüsenkrebs in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Internationalen Krebs-Genom Konsortium (ICGC) für fünf Jahre finanzierten Projekt zusammengeschlossen, dass von Prof. Siebert koordiniert wird. Gemeinsames Ziel des weltweiten ICGC-Verbundes ist es, in Zukunft durch die Beschreibung genetischer Veränderungen in Krebszellen eine patientengenaue und damit wirksamere Therapie zu ermöglichen.
Oliver Grieve, Pressesprecher des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein