Bonner Forscher haben einen zentralen Ort im Gehirn gefunden, der an der fehlenden Motivation bei Depression beteiligt sein dürfte. Stimuliert man die dort liegenden Nervenfaserbündel, bessern sich einige Depressionssymptome rasch und deutlich. Die ersten Ergebnisse von Tests mit schwerst depressiven Patienten haben der Neurochirurg Volker Coenen und der Psychiater Thomas Schläpfer soeben am DGPPN-Kongress http://dgppn.de präsentiert. Im pressetext-Interview erklärt Coenen, wie die Behandlung von Depression in der stärksten Ausprägung künftig aussehen könnte. Verlorene Balance
Depression beeinflusst vorrangig den Umgang mit Emotionen, was sich in der ständig niedergedrückten Stimmung zeigt. Negative Gefühle braucht der Mensch, um sich bei Gefahr zurückziehen zu können. Für die Balance ist jedoch als positiver Gegenspieler das Motivationssystem nötig, das bei Depressiven nicht richtig zu funktionieren scheint. „Beeinträchtigt sind dadurch die Euphorie, die körperliche Aktivität und auch das Vorhersehen, durch welche Handlung ein positives Gefühl eintritt – die sogenannte appetetive Motivation“, erklärt Coenen.
Die Wissenschaft sucht bereits lange danach, wie das beschädigte Motivationssystem wieder normalisiert werden kann. Als letztmöglicher Weg wurde schon bisher die tiefen Hirnstimulation (THS) jener Gehirnregionen versucht, die mit der Motivation in Verbindung stehen. Als Zielorte wurden bisher das Cingulum, das ventrale Striatum und der Nucleus accumbens untersucht – Areale aus völlig unterschiedlichen Gehirnregionen, deren Stimulation zu Ansprechraten von 50 bis 60 Prozent führte.
Zentrale Schaltstelle gefunden
Alle diese Regionen haben jedoch gemeinsam, dass sie über das mediale Vorderhirnbündel mit Signalen versorgt werden, konnte Coenen und Schäpfer gemeinsam mit US-Kollegen bereits im Vorjahr mittels der Kernspin-Tomographie zeigen. Es handelt sich dabei um eine Art Kabelstrang, der sich vom tief liegenden Hirnstamm bis zur stirnseitigen Hirnrinde zieht. „Scheinbar haben wir somit einen neuralgischen Punkt gefunden, an dem die entscheidenden Fasern optimal für die Stimulation zusammenlaufen“, so der Bonner Neurochirurg.
Stimuliert wird mit feinen Drähten, die Stromstöße mit einer Frequenz jenseits von 100 Hertz ins Nervengewebe einbringen und dieses somit in Aktivität versetzen. Der dafür nötige „Gehirnschrittmacher“ wird dauerhaft unter der Haut implantiert, wobei dank der besseren Verortung eine sehr geringe Stromstärke ausreicht. Der Erfolg stellte sich ein: Bei sechs der sieben getesteten Patienten sank der Wert auf der Hamilton-Depressionsskala innerhalb kurzer Zeit auf die Hälfte.
Schrittmacher für die Stimmung
Die Stimulation sorgt dafür, dass depressive Symptome zurückgehen. „Die Behandelten sind zwar zunächst nicht fröhlicher, doch gerichtete Aktivitäten, Zugehen auf andere Menschen oder Bücherlesen gelingen wieder“, erklärt der Experte. Eine Heilung stelle dies nicht dar, zudem sind Psychotherapie, Medikamente und regelmäßige Beobachtung weiterhin nötig. Mögliche Gefahren sind Blutungen und Infektionen, die laut bisherigen Erfahrungen bei einem und fünf Prozent auftreten. Bei den Getesteten gab es in den bisher vier Monaten jedoch im Verhalten keine nachteiligen Effekte.
Nötig ist nun, die Wirkung noch länger zu beobachten, geben die beiden Forscher zu bedenken. Um zu einer aussagekräftigen Statistik zu gelangen, müssen zudem deutlich mehr Menschen operiert und geblindete Studien durchgeführt werden. Die Chancen auf eine Behandlungsform, die es mit erfolgreichen Vorbildern etwa aus der Parkinson- oder Tremor-Stimulation aufnehmen kann, stehen jedoch gut. „Eine Option wäre dies für Depressive, die weder auf Medikamente noch auf Elektrokrampf – dem bisherigen Goldstandard – reagieren“, schließt Coenen.
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Gehirn: Optimaler Depressions-Stimulationspunkt gefunden (Bild: Charles Bell)