KIEL. In der Debatte des Landtags über „Konsequenzen aus den Erkenntnissen über das Rechtsextremen-Trio aus Thüringen“ sagte Innenminister Klaus Schlie am Freitag (18. November) in Kiel:
„Die mutmaßlichen Angehörigen der nun im Mittelpunkt stehenden Terrorgruppe gehörten ursprünglich zu einer als gewalttätig bekannten Neonazi-Gruppe aus Thüringen. Direkte Verbindungen nach Schleswig-Holstein gibt es nach derzeitigem Informationsstand nicht. Die Prüfung dazu dauert an und läuft mit hoher Priorität und großer Intensität. Dabei wurde bisher festgestellt, dass eine Person aus dem Umfeld der mutmaßlichen Haupttäter im Jahr 2003 in Schleswig-Holstein bei der Auflösung eines rechtsextremistischen Konzerts durch die Polizei festgestellt wurde.Aufgrund der umfangreichen Vernetzung von Angehörigen der rechtsextremistischen Szene und vor dem Hintergrund der aktuellen Erkenntnisse kann ich nicht kategorisch ausschließen, dass es weitere Kontakte zwischen einzelnen Aktivisten aus Schleswig-Holstein zu den Gewalttätern oder deren Umfeld gegeben hat. Aber genau zu dieser Frage läuft derzeit die entsprechende Prüfung auf Hochtouren. Über die Ergebnisse werde ich dem Landtag beziehungsweise seinen Gremien unaufgefordert berichten.
Um seine Aufgaben sachgerecht erfüllen zu können, ist der Verfassungsschutz berechtigt, so genannte nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen. Der rechtliche Rahmen ist das Landesverfassungsschutzgesetz. Hieran ausgerichtet und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgt der Einsatz von „V-Leuten“ zur zielgerichteten Beschaffung von Informationen über extremistische und terroristische Bestrebungen, die nur auf diese Weise möglich ist.
Ohne den Einsatz von V-Leuten blieben den Geheimdiensten wichtige Informationen verborgen, die für den Schutz der öffentlichen Sicherheit, ja sogar für das Leben unschuldiger Menschen zwingend notwendig sind. Eine über die informationelle Zusammenarbeit hinausgehende etwaige „Kooperation“ entweder mit „V-Leuten“ oder hinter ihnen stehenden Organisationen gibt es nicht. Einzelheiten über den Einsatz von „V-Leuten“ im Rahmen der gesamten operativen Tätigkeit können allerdings ausschließlich im Parlamentarischen Kontrollgremium vorgetragen werden.
Die Tätigkeit der schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzbehörde unterliegt allgemein der Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium dieses Hauses. Dieser Kontrolle unterfallen auch Aktivitäten, die in anderen Bundesländern und in Abstimmung mit der dort regional zuständigen Verfassungsschutzbehörde durchgeführt werden. Gesetzliche Regelungen für die länderübergreifende Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden enthält auch das Bundesverfassungsschutzgesetz. Eine zusätzliche Kontrolle übt der Datenschutzbeauftragte des Landes aus.
In Anbetracht der bundesweit verübten Morde stellt sich die Frage, ob es auch in Schleswig-Holstein Verbrechen gibt, die der Thüringer Gruppe zuzuordnen sind. Dafür gibt es bisher keinerlei konkrete Anhaltspunkte.
Ich komme zurück auf die aktuellen Ereignisse. Nach meiner Ansicht ist es noch zu früh, konkrete Konsequenzen aus den Vorkommnissen in Thüringen zu ziehen. Notwendig ist eine schnelle, umfassende, rückhaltlose und zweifelsfreie Aufklärung, und zwar ohne Ansehen von Personen und Behörden. Danach lässt sich sagen, ob es systembedingte Schwachstellen gibt, wo sie liegen und wie sie beseitigt werden können.
Vorrangiges Ziel ist es, eine neuerliche Entstehung rechtsterroristischer Strukturen unter Berücksichtigung eines extrem konspirativen Täterverhaltens frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Obwohl derzeit keine unmittelbaren Bezüge zwischen den Taten der Thüringer Gruppe und Schleswig-Holstein bestehen, habe ich in Abstimmung mit dem Bundesinnenministerium das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein beauftragt, eine Gefährdungslagebeurteilung für muslimische Personen und Objekte in Schleswig-Holstein vorzunehmen und nötigenfalls Schutzmaßnahmen anzuordnen.
Aufgrund einschlägiger Erfahrungen muss zudem damit gerechnet werden, dass die Ereignisse vom 4. November 2011 in Eisenach und Zwickau sowie die überraschenden Erkenntnisse zur Mordserie gegen türkische und griechische Mitbürger Initialwirkung auf irrational handelnde Einzeltäter entfalten können. Diesen Umstand wird die Polizei in ihre Gefährdungslagebeurteilung einbeziehen.
Zu der erneuten, teilweise reflexartigen Forderung nach einem NPD-Verbot hat sich meine Haltung nicht geändert. Ich halte es nach wie vor für richtig, dass das Damoklesschwert eines Parteienverbots grundsätzlich über allen verfassungsfeindlichen Parteien latent hängen sollte. Mit anderen Worten: Ich halte es für richtig, dass jetzt auch wieder geprüft wird, ob ein Verbot der NPD die richtige Antwort des Rechtsstaats ist. Wie gesagt, ich rede von Prüfung, nicht aber von einer Forderung nach einem NPD-Verbot. Denn für mich darf es einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht nur dann geben, wenn der Erfolg nahezu zweifelsfrei feststeht. Sollte der Verbotsantrag scheitern, wäre das ein politisches Konjunkturprogramm für die NPD. Ein politisch-juristisches Vorgehen gegen die Partei wäre für Jahre nicht mehr möglich. Schleswig-Holstein wird der länderoffenen Arbeitsgruppe, die Argumente für und gegen ein Parteienverbot prüft, auch weiterhin zuarbeiten.
Ich bin allerdings nach wie vor skeptisch, dass die Argumente für ein erfolgreiches Verbot ausreichen. Zudem bezweifle ich, dass ein Verbot das richtige Mittel gegen rechtsextremistischen Terror ist, wie er von der Zwickauer Terrorzelle ausging. Selbst wenn wir 2003 schon ein Verbot gehabt hätten, hätte das die Taten wohl nicht verhindert. Parteienverbote können Organisationsstrukturen zerschlagen, Gedanken und Bewusstsein vermögen sie nicht zu beseitigen. Jenseits aller rechtlichen und administrativ notwendigen Maßnahmen des Staates und seiner Sicherheitsbehörden, den Rechtsextremismus und alle anderen Formen des Extremismus zu bekämpfen, halte ich eine breite politische, intellektuelle und gesellschaftliche Auseinandersetzung aller Demokraten mit den Feinden der Freiheit, der Toleranz und des Rechts für erforderlich
Dazu gehört auch die Unterstützung von Maßnahmen und Projekten zur Aufklärung gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit. So ist es weiterhin möglich, beim Rat für Kriminalitätsverhütung Anschubfinanzierungen für Maßnahmen und Projekte zur Aufklärung gegen Rechtsextremismus zu erhalten. Im Übrigen ist der Landesregierung kein Fall bekannt, in dem es in Schleswig-Holstein durch die Umverteilung der Mittel zum Wegfall von Angeboten und Projekten gekommen ist. Darüber hinaus beteiligt sich Schleswig-Holstein seit 2009 auch finanziell an Bundesprogrammen gegen Rechtsextremismus. Unterstützt werden dabei alle, die sich aufgrund von rechtsextremen, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Vorfällen gegen solche Entwicklungen einsetzen wollen. All das ist und bleibt notwendig, um eine wichtige Voraussetzung für einen wirksamen und damit erfolgreichen Einsatz gegen Extremismus in jeder Form zu schaffen: ein stabiles, die gesamte Gesellschaft umfassendes Klima der Ächtung aller Extremisten.“
Thomas Giebeler | Innenministerium | Kiel