Save the Children: Kinderrechte müssen gewahrt werden – Dies bedarf einer nachhaltigen Reform der Rechtsvorschriften

Berlin, 18.07.19 – Anlässlich des informellen Treffens der EU-Innen- und Justizminister am 18. und 19. Juli in Helsinki verlangt Save the Children nachhaltige Änderungen in der Migrationspolitik der Europäischen Union…

Nur durch langfristig gedachte Reformen können die Rechte der Kinder, die die gefährliche Reise über das Mittelmeer unternehmen, geschützt werden, betont die weltweit größte unabhängige Kinderrechtsorganisation. Die Neuwahlen von EU-Parlament und EU-Kommission bieten eine gute Gelegenheit, die derzeitig festgefahrene Situation zu überwinden und sich auf einen Mechanismus der geteilten Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten an den EU-Außengrenzen zu einigen.

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sollten den Neustart in Brüssel zum Anlass nehmen, endlich gemeinsam die Verantwortung für Migranten und Flüchtlinge zu übernehmen, die an den EU-Außengrenzen ankommen, fordert Save the Children. Sie müssen sich außerdem zur Rettung von Menschenleben auf dem Mittelmeer bekennen und verhindern, dass weitere Kinder, Frauen und Männer, die aus Libyen geflohen sind, ihr Leben verlieren.

Während sich die Sicherheitslage in Libyen verschlechtert, haben Migranten und Flüchtlinge dort kaum einen Ausweg: Entweder sie sitzen in Libyen fest oder ihnen bleibt nur die Wahl zwischen der Flucht in die nigrische Wüste oder über das Mittelmeer. Nur eine kleine Zahl wurde bislang mit Hilfe der Vereinten Nationen in andere Länder evakuiert.

In den vergangenen Jahren haben sich weniger Migranten und Flüchtlinge über das Mittelmeer auf den Weg nach Europa gemacht. Aber die Wahrscheinlichkeit, bei der gefährlichen Überfahrt zu ertrinken, hat sich erhöht: 2018 Jahr kam jede 14. Person, die die Überfahrt wagte, ums Leben, 2017 war es indes nur jede 38. Person. Unterdessen wird weiter darüber gestritten, ob aus Seenot gerettete Migranten – darunter zahlreiche Kinder – in der EU an Land gehen dürfen.

Bei ihrer Ankunft sind die Kinder durch die Erlebnisse der Flucht in der Regel schwer traumatisiert. Mitarbeitende von Save the Children, die in Italien und Spanien Migranten- und Flüchtlingskinder betreuen, erleben, unter welcher Angst, Sorge und Orientierungslosigkeit Kinder leiden, nachdem sie in Libyen gefangen gehalten wurden und die Notsituation auf hoher See durchleben mussten. Die Leben dieser Kinder und ihrer Familien dürfen nicht verhandelbar sein.

„Die Verhandlungen darüber, welches Land für Asylsuchende, die in der EU ankommen, zuständig ist – auch bekannt als Dublin-Verordnung – stehen schon zu lange still“, sagt die Direktorin des EU-Büros von Save the Children, Anita Bay Bundegaard. „Wir fordern das neugewählte Europäische Parlament, die Kommission und den Rat auf, die Verhandlungen wieder aufzunehmen und eine Reform zu verabschieden, welche die Rechte der Kinder in den Mittelpunkt stellt. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür, dass sich die EU-Mitgliedstaaten auf eine nachhaltige Lösung verständigen, um die Verantwortung für die Aufnahme von ankommenden Asylsuchenden fair zu verteilen. Dabei muss ein gerechter Ausgleich geschaffen werden zwischen Grenzstaaten wie Italien und Griechenland und wichtigen Aufnahmeländern wie Deutschland und Schweden.

Die Mitgliedstaaten müssen dem Leben der Asylsuchenden und Migranten, die das Mittelmeer überqueren – darunter auch viele Kinder – Priorität einräumen. Sie müssen zusammenarbeiten, um eine zeitnahe und sichere Anlandung der geretteten Menschen zu gewährleisten. Save the Children betont, dass dies auf eine zwischen der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten koordinierten und lösungsorientierten Weise geschehen muss. Bundegaard fordert: „Wir rufen die EU-Innen- und Justizminister auf, diese Woche zu zeigen, dass sie Europa aus dieser verfahrenen Situation herausführen und die Sicherheit und Würde der Kinder an erste Stelle stellen wollen.“

Hintergrundinformationen:

  • Laut einem Bericht des UNHCR sind 2018 schätzungsweise 2275 Menschen im Mittelmeer ertrunken oder verschwunden. Das entspricht etwas sechs verstorbenen Menschen pro Tag im vergangenen Jahr, oder jedem 14. Menschen, der nach Europa kommt. Im Jahr 2017 war es einer von 38 Ankommenden.
  • Im Jahr 2018 war die Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die auf dem Seeweg nach Europa kamen, die niedrigste seit fünf Jahren: Die meisten der insgesamt 114.500 Menschen kamen nach Spanien (58.600), es folgten Griechenland (32.500) und Italien (23.400). Die meisten in Spanien ankommenden Menschen kamen aus Marokko und Guinea (je 13.000), während in Italien vor allem Menschen aus Tunesien (5200) und Eritrea (3300) ankamen. In Griechenland trafen hauptsächlich Menschen aus Afghanistan (9000) und Syrien (7900) ein. Seit Anfang 2019 hat das UNHCR rund 28.000 Seeankünfte in Europa registriert.
  • Zahlen von Frontex zeigen, dass jeder fünfte Ankommende an den EU-Außengrenzen im Jahr 2018 ein Kind war (fast 30.000 Kinder). Auf der Route durch das westliche Mittelmeer stiegen die Ankünfte im Vergleich zum Vorjahr (fast 5000 Kinder) um 405%. Im zentralen Mittelmeerraum ging die Zahl der ankommenden Kinder zurück. Die überwiegende Mehrheit der Kinder, die nach Italien oder Malta kamen, war unbegleitet.
  • Save the Children arbeitet an Anlandungspunkten in Italien und Spanien. In Spanien ist die Zahl der Ankünfte gestiegen.
  • Libyen ist weiterhin fragmentiert und instabil. Menschen, die gewaltsam nach Libyen zurückgeschickt oder von der libyschen Küstenwache aufgegriffen werden, werden oftmals willkürlich inhaftiert, missbraucht, gefoltert oder als Sklaven verkauft, wie aus verschiedenen Berichten hervorgeht, darunter von OHCHR und UNSMIL. Laut UNSMIL hat die libysche Küstenwache zwischen Anfang 2017 und August 2018 rund 29.000 Menschen aufgegriffen. Bis zum 20. Juni 2019 wurden 3018 Flüchtlinge und Migranten von der libyschen Küstenwache bei 38 Einsätzen auf See gerettet bzw. abgefangen und in der Regel in Einwanderungshaftanstalten in Libyen überführt, die vom Department of Combating Illegal Migration betrieben werden. Der Bericht des UNHCR, „Hoffnungslose Reisen“, bestätigt auch, dass die libysche Küstenwache ihre Einsätze verstärkt hat. 85 % der in der neu eingerichteten libyschen Such- und Rettungsregion (SRR) abgefangenen Menschen sind demnach in Libyen an Land gegangen.
  • In Libyen sind 52.900 Flüchtlinge und Asylsuchende beim UNHCR registriert. Die Mehrheit sind Syrer (44 Prozent), gefolgt von Sudanesen (21 Prozent) und Eritreern (14 Prozent). In den vergangenen sechs Monaten haben 1296 Flüchtlinge und Asylsuchende Libyen verlassen. Über 1000 Personen wurden vom UNHCR über die Gathering and Departure Facility (GDF) evakuiert, davon  295 nach Italien, und zum Notfalltransitmechanismus in Niger (710 Menschen). Die GDF hat nun 460 Menschen aufgenommen. Weitere 291 Flüchtlinge verließen Libyen im Rahmen des Umsiedlungsprogramms in Drittländer oder über das Notfalltransitzentrum in Rumänien.

Aussender: Susanne Sawadogo, Save the Children Deutschland e.V.
Redaktion: Torben Gösch