„Die Artenvielfalt ist weiter unter hohem Druck. Einzelne Erfolge machen aber Mut“ – Umwelt- und Landwirtschaftsminister Habeck stellt Jahresbericht zur biologischen Vielfalt vor

KIEL, 18.12.17 – Durch die Intensivierung von Landwirtschaft und den Ausbau von Infrastruktur ist die Artenvielfalt in Schleswig-Holstein weiterhin unter hohem Druck…

Das zeigt der Jahresbericht 2017 zur biologischen Vielfalt, den Umwelt- und Landwirtschaftsminister Robert Habeck heute (18. Dezember 2017) in Kiel vorstellte. „Es erfordert enorme Anstrengungen, sich gegen den Druck auf die Artenvielfalt zu stemmen. Aber einzelne Erfolge machen Mut, Artenschutz, Biodiversität und Natur einen hohen Stellenwert einzuräumen und den Schutz kontinuierlich zu verbessern. Das gelingt mit Naturschutz, Landwirtschaft und der Jagd gemeinsam“, sagte Minister Habeck.

Entgegen dem Trend: Wiesenvogelbestände stabilisieren sich

Besonderes Augenmerk legt der Bericht (ehemals Jagd- und Artenschutzbericht) dieses Jahr auf die Wiesenvogelbestände. Uferschnepfe, Kiebitz, Kampfläufer – die Bestände zahlreicher Vogelarten sind in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch zurückgegangen, weil immer mehr Grünland verloren gegangen ist und das verbliebene zunehmend intensiv bewirtschaftet wird. „Aber jetzt sehen wir, dass sich die Anstrengungen gemeinsam mit der Landwirtschaft und dem Naturschutz lohnen: Entgegen dem Trend in anderen Bundesländern ist es gelungen, Bestände der meisten Arten in den letzten Jahren zumindest zu stabilisieren – wenn auch auf niedrigem Niveau“, sagte Habeck.

Das zeigt ein Monitoring in Zusammenarbeit mit dem Michael-Otto-Institut im NABU (MOIN). Demnach ist der Bestand der Uferschnepfe seit 2011 stabil bei etwa 1.000 Brutpaaren. In den Jahren davor waren dagegen drastische Bestandsrückgänge zu verzeichnen – noch 1995 gab es etwa doppelt so viele Brutpaare. Auch beim Kiebitz scheint der Rückgang gestoppt: Seit 2012 liegt er bei ca. 12.000 Brutpaaren. Die Entwicklung beim Großen Brachvogel zeigt ebenfalls in diese Richtung. Erfreulich ist die Situation beim Kampfläufer: Wurden hier 2013 landesweit nur sechs brütende Weibchen festgestellt, sind es inzwischen 50.
Rückgänge sind aber nach wie vor bei Bekassinen (250 – 350 BP) und Austernfischern (ca. 11.000 BP) zu verzeichnen.

Habeck: „Vertragsnaturschutz, Umbruchverbote und Gelegeschutz stehen hinter dem Erfolg.“

„Schleswig-Holstein hat eine hohe Verantwortung für den Erhalt der Wiesenvögel. Uferschnepfe, Kiebitz, Großer Brachvogel, Rotschenkel – diese Arten sind europaweit gefährdet. Die noch nennenswerten Bestände in den Marschen und Niederungen der Westküste sind deshalb von so hoher Bedeutung. Allein von der Uferschnepfe brütet etwa ein Viertel der Deutschen Bestände in Schleswig-Holstein. Es ist deshalb gut zu sehen, dass sich die vielfältigen Maßnahmen lohnen“, sagte Habeck. Dazu gehörten Vertragsnaturschutz, Gelegeschutz auf konventionellen Grünlandflächen mit Landwirten zusammen, die Optimierung der Lebensräume, vor allem der Wasserstände, und die Nutzung auf landeseigenen Flächen, insbesondere auf den Kögen an der Westküste.

Wiesenvogelerlass wird neu gefasst

Eine besondere Bedeutung hat der 2011 in Kraft gesetzte sogenannte „Wiesenvogelerlass“, der wesentlich zum Erhalt der besonders sensiblen Kulisse beiträgt. Er läuft zum Jahresende aus, soll zunächst vorübergehend verlängert und dann im Jahr 2018 neu gefasst werden. „Dabei werden die Kulissen, in denen besonders strenge Regeln zur Umwandlung von Dauergrünland in Ackerland gelten, noch mal angepasst und voraussichtlich etwas verkleinert auf die Flächen, auf denen der Schutz am effizientesten ist“, sagte Habeck. Grundlage dafür ist eine umfassende Auswertung der Wirksamkeit des Erlasses. Bei der Neufassung des Erlasses werden die Verbände angehört und können sich dadurch beteiligen.

Außerdem erarbeitet das MELUND ein Konzept, wie Wiesenvögel in ihren Hauptverbreitungsgebieten besser vor Prädatoren wie Füchsen und Mardern geschützt und ihre Lebensräume weiter verbessert werden können. Das Konzept wird 2018 fertig gestellt und soll ein landeseinheitliches Vorgehen bei diesem für den Erhalt der Wiesenvögel wichtigen Thema sichern.

Habeck zum Insektensterben: „Pestizideinsatz muss drastisch reduziert werden.“

Der Biodiversitätsbericht lenkt den Blick auch auf das Insektensterben. Aktuelle Studien belegen einen dramatischen Rückgang der Insektenbiomasse um zum Teil über 75 Prozent gegenüber den 90er Jahren, und zwar nicht nur bei besonders gefährdeten Arten, sondern auch bei Allerweltsarten. „Das Insektensterben schreckt viele auf. Hier wird deutlich, dass das Ökosystem aus dem Gleichgewicht gerät und ganze Nahrungsnetze drohen zerstört zu werden – inklusive auch der Grundlagen unserer eigenen Lebensmittelproduktion“, sagte der Minister.

Um hier entgegenzuwirken ist aus seiner Sicht eine konsequente Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes notwendig. „Die Menge und Wirkstoffe von Pestiziden müssen drastisch reduziert werden. Gerade in Naturschutzgebieten haben sie nichts zu suchen. Besonders toxische Wirkstoffe müssen als erstes verbannt werden“, forderte Habeck. „Im Land haben wir außerdem eine Reihe von Projekten auf den Weg gebracht, um mehr Blütenvielfalt an Acker- und Straßenrändern entstehen zu lassen, um Insekten ihren Lebens- und Nahrungsraum wiederzugeben. Das werden wir im kommenden Jahr verstärken.“

Schwarzwildbestände hoch – Habeck: „Aus Seuchenschutzgründen prüfen wir Änderungen des Landesjagdgesetzes.“

Der Jagd- und Artenschutzbericht belegt erneut, dass die Schalenwildbestände auf einem hohen Niveau sind. Beim Schwarzwild wurden im Jagdjahr 2016/2017 mehr als 15.000 Stück erlegt – eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr. „Stärker als in den Jahren zuvor gilt, dass Schwarzwild stark bejagt werden muss. Die Afrikanische Schweinepest rückt immer näher an Deutschland heran. Wir müssen einem Ausbruch und der Verbreitung möglichst entgegenzuwirken, denn die Seuche hätte gravieren Folgen: für das Land, die Landwirtschaft und für den Schwarzwildbestand“, sagte Habeck.

In enger Zusammenarbeit von Tierseuchen- und Jagdbehörden laufen intensive Arbeiten, um die Prävention zu verbessern und die Seuche im Fall eines Ausbuches bekämpfen zu können. Das MELUND prüft dabei auch Änderungen des Landesjagdgesetzes. „Wir halten es für richtig, die Verwendung künstlicher Lichtquellen für die Schwarzwildbejagung zu ermöglichen. Außerdem wollen wir zusätzliche Anreize und auch Verpflichtungen, damit die Schwarzwildbejagung weiter intensiviert werden kann. Hier denken wir beispielsweise an Schneisen in Maisfeldern“, sagte Habeck. Diese Maßnahmen werden bei einem Gipfeltreffen im Januar mit allen Beteiligten – einschließlich Jagd, Landwirtschaft und Naturschutz – beraten. „Es geht hier um eine gemeinsame Verantwortung und gute Lösungen für diese enorme Herausforderung.“

Beim Rotwild wurde im Jagdjahr 2016/2017 bei der Jagdstrecke die Tausender-Marke wieder deutlich überschritten. Das Rotwild hat sich neue Lebensräume erobert; insbesondere im nördlichen Landesteil ist dies nicht unproblematisch angesichts der Waldarmut der Region und des hohen Anteils junger, durch Wild gefährdeter Waldbestände und Wiederaufforstungsflächen nach den Stürmen. Beim Rehwild lag die Strecke leicht über 50.000 Stück „Auch ohne behördliche Abschusspläne für das Rehwild darf die Bejagungsintensität für diese Wildart nicht nachlassen“, so Habeck, denn auch das Rehwild könne hohe Wildschäden verursachen.

Beim Niederwild hat das Jagdjahr 2016/2017 bei verschiedenen Niederwildarten (Hase, Wildkaninchen, Wildenten und -gänse) geringere Streckenergebnisse gebracht. Besonders geprägt war das Jahr davon, dass nach dem Ausbruch der Geflügelpest Niederwildjagden, insbesondere auf Federwild, nicht überall im geplanten Umfang stattfanden. Hingegen sind die Strecken bei Waschbär und Marderhund (beides invasive Arten) weiter gestiegen.

Biotopkartierung: „Wer mit Naturschutz plant, plant besser, sicherer und schneller.“

Ein Kapitel des Biodiversitätsbericht widmet sich der Biotopkartierung und gibt eine kurze Anleitung zur Nutzung einer seit Mitte des Jahres öffentlichen Datenbank. Die von 2014 bis 2019 laufende Kartierung wertvoller Biotope liefert Hinweise über den Zustand von Natur und Landschaft in Schleswig-Holstein und ist wichtige Grundlage bei Planung verschiedener (Naturschutz -und Infrastruktur-) Vorhaben. „Digitalisierung schreitet auch im Naturschutz voran, so dass Nutzern Daten in zeitgemäßer Form angeboten werden können. Und: Wer mit dem Naturschutz plant, plant besser, rechtssicherer und schneller“, sagte Habeck.

Aussender: Nicola Kabel, Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung