KIEL, 20.11.17 – Eine Umfrage des Deutschen Tierschutzbundes im Jahr 2016 ergab, dass 93 % der Tierheime mit der Aufnahme von Fundtieren das Jahresende voraussichtlich mit einem Minus auf dem Konto abschließen. Diese Situation ist 2017 unverändert kritisch…
Viele Menschen denken immer noch, dass es sich bei Tierheimen um städtische oder kommunale Einrichtungen handelt, die ihre Kosten durch feste Gebühren decken können. Dies ist jedoch ein Irrtum. Die Mehrheit der Tierheime im Land wird von einem Verein betrieben. Dieser rechnet die Aufnahme von Fundtieren mit der jeweiligen Gemeinde oder Stadt ab. Die Aufnahme der Fundtiere ist grundsätzlich eine Aufgabe der Städte und Gemeinden. Daher übertragen sie diese Aufgabe gern den Tierschutzvereinen, da die kommunalen Fundbüros weder für die Unterbringung von gefundenen Hunden oder Katzen oder Kleintieren ausgestattet sind.
In den Tierheimen kümmern sich ausgebildete Tierpfleger*innen um die Tiere. Oft erhalten sie Unterstützung durch viele ehrenamtliche Helfer, die beim Ausführen der Hunde als Gassigeher oder bei der Betreuung der Katzen als Katzenstreichler für das Wohl der Tiere sorgen. So erhalten die Fellnasen regelmäßig Streicheleinheiten und Zuwendung und sind bei ihrer Vermittlung an eine neue, verantwortungsbewusste Familie den Umgang mit freundlichen Menschen gewöhnt. Dies gilt besonders für ängstliche Hunde oder verwilderte Katzen, die im Tierheim durch individuelle Betreuung auf einen Neustart auf ein besseres Leben vorbereitet werden.
Doch Tierschutz kostet Geld. Regelmäßige Kosten fallen durch die Gehälter für das Personal, die medizinische Versorgung aller Tiere, Tierfutter, Tierarztkosten, Heizung, Strom, Wasser und Instandhaltung der Gebäude an. Zusätzlich müssen Tierheime die alte Bausubstanz nach und nach durch artgerechtere Neubauten ersetzen, da die Ansprüche an die Unterbringung von Haustieren gesetzlich gestiegen sind. Für ein größeres Tierheim kommen für die reinen Unterhaltungskosten ca. 500.000,- € im Jahr zusammen. Bauliche Verbesserungsmaßnahmen sind hier nicht eingerechnet. Nur ca. 50% der laufenden Kosten sind durch kommunale Gebühren, Abgabe- und Vermittlungs-gebühren gedeckt. Die übrigen 50% der Kosten muss der Verein aus eigener Kraft aufbringen. Ohne regelmäßige Spenden, Mitgliedsbeiträge und Erbschaften ist diese Deckungslücke im Haushalt nicht zu schließen. Darum ist die Unterstützung der Tierheime durch tierliebe Menschen und Institutionen von existenzieller Bedeutung.
Die wirtschaftliche Lage der Tierheime spitzt sich in den letzten Jahren zu. Dies hat mehrere Ursachen. Ein Grund hierfür ist die Gebührenabrechnung mit den Städten und Gemeinden: In vielen Fällen bezahlen die Kommunen die Aufnahme und Pflege der Fundtiere nur für maximal 28 Tage. Im Durchschnitt lebt eine Katze aber 37 Tage im Tierheim, Hunde 46 Tage, bevor sie in ein neues Zuhause umziehen können. Die Umfrage des Deutschen Tierschutzbundes ergab, dass in Schleswig-Holstein durch die Fundtierkosten-Erstattung im Mittel nur 57% der tatsächlich anfallenden Kosten gedeckt werden! Diese Lücke müssen die Tierheime durch Spenden, Erbschaften und andere Zuwendungen schließen.
Eine weitere Ursache für die zunehmend existenzbedrohende Lage der Tierheime ist die unsachgemäße Weitergabe von Haustieren über online-Plattformen, wie z.B. eBay. Viele digital vermittelten Weitergaben von Haustieren über dieses Medium werden verantwortungsbewusst durchgeführt. Leider landen jedoch in den Tierheimen immer häufiger die traurigen Schicksale: Statt den Hund, der nicht mehr zur neuen Lebenssituation passt, in die kompetenten Hände ausgebildeter Tierpfleger*innen zu geben und dafür eine geringe Aufnahmegebühr zu zahlen, wird der lästig gewordene Vierbeiner bei eBay gegen Geld weiterreicht. Es gibt in den unseriösen Fällen keine Kennlernzeit, keine fachliche Beratung – nicht selten findet die Übergabe auf Parkplätzen ohne Angabe von Kontaktdaten statt. Wenn dann die neuen Halter mit den zuvor nicht ausreichend dargestellten Verhaltensproblemen des Tieres auch nicht zurechtkommen, folgt eine erneute Anzeige in der digitalen Plattform. Im Kieler Tierheim landeten Hunde, die nachweislich schon mehrere solcher Verkäufe durchlitten hatten. Ihr Vertrauen in den Menschen ist stark beeinträchtigt und sie brauchen lange, bis sie wieder ruhig und ausgeglichen sind, um ihr endgültiges Zuhause zu finden. Wäre der „beste Freund des Menschen“ gleich in ein Tierheim gegeben worden, wäre ihm viel Leid erspart geblieben.
Ein dritter Grund für die zunehmende Belastung der Tierheime ist die ansteigende Konsum- und Spaßorientierung in der Gesellschaft. Heute ist es leicht, sich ein Haustier zu beschaffen, denn viele Menschen haben Sehnsucht nach einer verlässlichen Bindung zu einem eigenen Haustier. Leider wird in den Vorüberlegungen oft nicht berücksichtigt, dass Hunde und Katzen 15-20 Jahre alt werden können, Kleintiere in Gruppen gehalten werden sollten und ein Hund ohne grundlegende und regelmäßige Erziehung keine dauerhafte Freude macht. Die z.T. sehr hohen Tierarztkosten für kranke und verletzte Haustiere werden bei der Anschaffung häufig auch nicht mit bedacht. Über geeignete Rassen machen sich leider auch nur wenige Gedanken und so landet der schöne, extrem bewegungsfreudige, arbeitswillige und leider gerade „moderne“ Australian Sheppard auf dem Sofa und sucht sich eigene Beschäftigungen, die die Halter zunehmend als Störung empfinden. Deswegen kommen in den letzten Jahren verstärkt Hunde in die Tierheime, die 1 2 Jahre alt sind, keine erkennbare Erziehung genossen haben und durch ihre Kraft und Energie durch Laien kaum noch zu handhaben sind. Für das Tier bedeutet dies eine Katastrophe: rausgerissen aus dem gewohnten Zuhause und nun in fremder Umgebung.
Ein weiteres gesellschaftliches Problem müssen Tierheime ebenfalls auffangen: Viele ehemalige Straßenhunde, die aus dem Ausland durch unseriöse Vermittlungen nach Deutschland gelangen, sind häufig unzureichend sozialisiert und nicht an das Zusammenleben mit Menschen gewöhnt. Solche vollkommen verstörten Tiere gelangen in den letzten Jahren vermehrt in die Tierheime. Es ist ein langer, schwieriger Weg bis zu einer Vermittlung an kompetente, erfahrene Halter.
Tierheime binden immer mehr bei schwierigen Fällen externe Hundetrainer auf eigene Kosten ein, um Verhaltensauffälligkeiten dieser Hunde zu beheben. Für die Tierschutzvereine ist diese Entwicklung bedrohlich, denn diese Hunde benötigen lange Zeit und viel Training, bis sie für eine Vermittlung geeignet sind. Dies erhöht die Verweildauer im Tierheim und somit die Kosten.
Werden Haustiere älter oder entwickeln sich chronische Krankheiten, steigen die Tierarztkosten drastisch. Katzen mit kranken Nieren, Herzschwäche oder Schilddrüsenerkrankungen werden ausgesetzt. Diese Fundtiere müssen im Tierheim erst aufwändig untersucht und medizinisch eingestellt werden, bevor sie an tierliebe Menschen vermittelt werden können.
Die Aufnahme solcher zuvor nicht erzogenen oder medizinisch nicht versorgten Fundtiere stellt die Tierheime vor sehr große wirtschaftliche Herausforderungen. Von den 15 Tierheimen des Landes, die ihre wirtschaftlichen Zahlen offengelegt haben, gaben 14 an, dass sie im letzten Jahr durch die Aufnahme von Fundtieren ein Defizit von durchschnittlich € 57.000,– verbuchen mussten. Diese Situation hat sich 2017 nicht grundlegend geändert. Ein Tierheim äußerte konkret „Wenn wir bis zum Jahresende keine Erbschaft erhalten, müssen wir die Tore dauerhaft schließen.“
Die Schließung von Tierheimen wäre für die ganze umliegende Region fatal, denn diese Einrichtungen leisten viel:
• Aufnahme und Versorgung von Fundtieren und fachgerechte Vermittlung
• Aufnahme und Versorgung von Abgabetieren
• Aufnahme von Kleintieren bei ungewollter Vermehrung nicht kastrierter Tiere bei Privathaltung
• Fachgerechte Beratung von Interessenten, diese können durch Spaziergänge oder ein Probewochenende den neuen Mitbewohner in Ruhe kennenlernen, bevor sie sich endgültig entscheiden
• Sozialpension: Kommt der Halter ins Krankenhaus, Gefängnis o.ä. nimmt das nächst gelegen Tierheim diese Tiere in Obhut
• Aufnahme von verletzten Wildtieren und verwaister Wild-Jungtiere, in fachlich und strukturell hierfür speziell ausgerichteten Tierheimen
• Aufnahme und Versorgung von „animal hoarding“-Fällen: wenn Amtsveterinäre feststellen, dass Menschen Tiere sammeln und diese in zu großer Zahl in häufig verdeckten Wohnungen halten, werden die großen Tiermengen meist auf mehrere Tierheime verteilt
• Aufnahme und Versorgung sichergestellter Tiere: Sobald Amtsveterinäre feststellen, dass Haustiere nicht artgerecht gehalten werden und leiden, nehmen die Tierheime diese häufig sehr labilen Wesen auf
• Öffentlichkeitsarbeit zu allen Fragen der Haustier-Haltung
• Telefonische Beratung zu individuellen Fragen der Tierhaltung
Der Tierschutzbeirat des Landes möchte deswegen auf die hohe Bedeutung der Tierheime in Schleswig-Holstein und auf deren kritische wirtschaftliche Lage nachdrücklich hinweisen. Wenn die Kommunen neben den Fundtiergebühren durch eine zusätzliche Pauschale die Vorhaltung der Einrichtung zukünftig mitfinanzieren, wäre schon ein großer Schritt getan. An die Gerichte, die Bußgelder an gemeinnützige Einrichtungen geben, an die Kreise, an Firmen und besonders an die Bevölkerung richtet sich der Appell, durch Zuwendungen oder Spenden nachhaltig zum Fortbestand der Tierheime in Schleswig-Holstein beizutragen. Die örtlichen Tierheime können ihre kompetente Arbeit für den Tierschutz nur gewährleisten, wenn wir alle sie unterstützen.
Aussender: Sabine Petersen, Vorsitzende des Tierschutzbeirats Schleswig-Holstein
Redaktion: Torben Gösch