Schülerbeförderungskosten – Klaus Schlie: Selbstverwaltung bedeutet nicht, dass man selbst bestimmt, welche Gesetze zu beachten sind und welche nicht

KIEL. In der Debatte des Schleswig-Holsteinischen Landtags über die Ankündigung des Innenministeriums, gegebenenfalls mit einer so genannten Ersatzvornahme sicher zu stellen, dass die Eltern in den Kreisen an den Schülerbeförderungskosten angemessen beteiligt werden, sagte Innenminister Klaus Schlie am Freitag (1. Juli) in Kiel (es gilt das gesprochene Wort): „Der Dringlichkeitsantrag der Fraktion Die Linke zum Thema Beteiligung von Eltern und volljährigen Schülerinnen und Schülern an den Kosten der Schülerbeförderung wirft ein bemerkenswertes Licht auf eine offenbar bei der Fraktion bestehende Einstellung zu Gesetz und Recht, die nur als problematisch bezeichnet werden kann. Deshalb ergreife ich gerne das Wort, um nicht nur aus Sicht des Kommunalministers, sondern auch in meiner Zuständigkeit für das Verfassungsrecht einige Dinge klarzustellen.

Zunächst zum Hintergrund oder – wie es früher in gewissen Kreisen hieß – zum „Überbau“: Durch Artikel 10 des Haushaltsbegleitgesetzes 2011/2012 vom 17. Dezember 2010 ist Paragraph 114 Absatz 2 Satz 3 des Schulgesetzes dahingehend geändert worden, dass die Kreise verpflichtet sind, in ihrer Satzung vorzusehen, dass die Eltern oder die volljährige Schülerin oder der volljährige Schüler an den Kosten der Schülerbeförderung beteiligt werden. Gemäß Artikel 30 Absatz 5 des Haushaltsbegleitgesetzes 2011/2012 tritt diese Regelung am 01. August 2011 in Kraft.

Es kann nicht erwartet werden – und ich tue dies auch nicht -, dass diese Regelung allseits auf Zustimmung stößt. Darum geht es hier aber auch gar nicht. Entscheidend ist vielmehr, dass die Norm in einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen ist. Der Landtag hat sie in dieser Form mehrheitlich beschlossen und sie ist ordnungsgemäß in Kraft getreten. Damit ist dieses Gesetz selbstverständlich zu beachten.

Die Bindung an Recht und Gesetz sollte zum Grundverständnis aller Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gehören. Mit ihrem Antrag verabschiedet sich die Fraktion Die Linke öffentlich von diesem zentralen rechtsstaatlichen Grundsatz.

Die Befugnis, gesetzliche Regelungen zu verwerfen, kommt aus gutem Grund ausschließlich der Verfassungsgerichtsbarkeit und nur in dem Falle zu, dass ein Gesetz nach Überzeugung des Gerichts gegen Verfassungsrecht verstößt.

Wo kämen wir denn hin, wenn jeder nach Gutdünken darüber entscheiden könnte, welches Gesetz er anwenden will und welches doch lieber nicht?

Der Antrag der Fraktion Die Linke redet daher staatlicher Willkür das Wort. Das mag in anderen staatlichen Systemen möglich sein – in unserem demokratischen Rechtsstaat aber ist das undenkbar und inakzeptabel!

Schon die Ziffer 1 des Dringlichkeitsantrags offenbart ein völlig falsches Verständnis von kommunaler Selbstverwaltung und der Rolle der Kommunen im Staatsgefüge. Ich kläre hier gerne auf: Kommunale Selbstverwaltung ist nach allgemeinem Verfassungsverständnis der Exekutive zuzurechnen. Das gilt auch für die gewählten kommunalen Vertretungen, auch wenn diese etwas irreführend häufig als „Kommunalparlamente“ bezeichnet werden. Dessen ungeachtet räumen das Grundgesetz und die Landesverfassung den Kommunen mit dem Recht auf kommunale Selbstverwaltung im Staatsgefüge eine besonders geschützte Stellung ein.

Das Recht auf Selbstverwaltung bedeutet jedoch keinesfalls das Recht auf eine eigene Entscheidung, welche Gesetze man vor Ort beachten möchte und welche nicht. Hier hilft bereits die Lektüre der Landesverfassung weiter: Artikel 46 der Landesverfassung gewährleistet das Recht auf kommunale Selbstverwaltung ausdrücklich „nur“ im Rahmen der Gesetze.

Auch Gemeindevertreter und Kreistagsabgeordnete haben daher ihr Abstimmungsverhalten selbstverständlich an Gesetz und Recht auszurichten. Hierüber wacht in letzter Konsequenz das Innenministerium als oberste Kommunalaufsicht. Auch hier hilft ein erneuter Blick in die Landesverfassung:

Nach Absatz 3 des bereits genannten Artikels 46 sichert das Land durch seine Aufsicht die Durchführung der Gesetze. Damit wird dem Rechtsstaatsprinzip Wirkung verschafft. Es stünde einem Rechtsstaat nicht gut an, wenn Rechtsverstöße zwar unzulässig wären, letztlich aber kein Instrumentarium zur Verfügung stünde, um ihnen wirksam begegnen zu können.

Dementsprechend ist es im Falle der Weigerung einzelner Kreise, fristgerecht eine gesetzeskonforme Schülerbeförderungssatzung zu erlassen, meine Aufgabe als Innenminister, durch geeignete kommunalaufsichtliche Maßnahmen einen rechtskonformen Zustand herbeizuführen.

Auch mit Blick auf die weit überwiegende Zahl der Kreise, die der Gesetzesumsetzung trotz zum Teil kontroverser Debatten vor Ort selbstverständlich gefolgt sind, konnte – und durfte – ich hier nicht untätig bleiben.

Was also, so frage ich die den Antrag stellende Fraktion, wollen Sie da missbilligen lassen?

Das Innenministerium wird in enger Abstimmung mit dem fachlich zuständigen Bildungsministerium auch weiterhin alles Gebotene dafür tun, dass zum 1. August in allen Kreisen eine gesetzeskonforme Satzungsregelung besteht. Vorgaben wurden den sich widersetzenden Kreisen im ersten Schritt nur insoweit gemacht, als die Anordnung getroffen wurde, eine – wie es das Schulgesetz vorsieht – „angemessene“ Beteiligung sicherzustellen.

Die Ausgestaltung dieses unbestimmten Begriffs obliegt in dieser Phase selbstverständlich den Kreistagen; das wiederum ist Ergebnis der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie und letztlich auch des ebenfalls dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Verhältnismäßigkeitsprinzips. Deshalb zeugt auch der Vorwurf, ich wollte eigene inhaltliche Vorgaben durchsetzen, erneut von elementarer Rechtsunkenntnis.

Ebenso sind die Ausführungen im Änderungsantrag der SPD nicht „auf der Höhe des Rechts.“ Einmal ernsthaft gefragt: Woraus soll sich die Unverhältnismäßigkeit einer Ersatzvornahme bei solchen Kreisen ergeben, die sich grundsätzlich weigern, geltendes Recht anzuerkennen? Das von Ihnen angeführte Recht auf kommunale Selbstverwaltung eröffnet den Kreistagen gerade keine Befugnis, das Rechtsstaatsprinzip zur Disposition zu stellen.

Und noch eine Bemerkung zur Begründung des SPD-Antrags: Es ist sicherlich richtig, dass das Schulgesetz keine konkrete Vorgabe zur Höhe der Eigenbeteiligung macht. Aber: Gefordert ist schon jetzt eine „angemessene“ Beteiligung. Deshalb sind bloße symbolische Beteiligungen – 1 Euro – ebenso wenig gesetzeskonform wie der von der SPD-Kreistagsfraktion Stormarn in die Diskussion eingebrachte Vorschlag einer Beteiligung von Einkommensbeziehern von mindestens 100.000 Euro, weil dies die grundsätzlich geforderte Beteiligung von Eltern und volljährigen Schülern praktisch zur Ausnahme machen würde.“

Thomas Giebeler | Innenministerium | Kiel |