– Rechtsgutachten belegt: Nicht nur Bundestag, sondern auch Bundesrat muss CETA zustimmen
– Neue Handelsabkommen wie TTIP, CETA und JEFTA gefährden Souveränität der EU-Mitgliedstaaten
– Bundesverfassungsgericht muss „schleichende Kompetenzausweitung“ der EU stoppen
Berlin, 05.07.17 – Das Freihandelsabkommen CETA muss nicht nur vom Bundestag, sondern auch vom Bundesrat beschlossen werden. Vorher kann der geplante Handelsvertrag zwischen der EU und Kanada nicht von Deutschland ratifiziert werden. Das belegt ein neues Gutachten des renommierten Staatsrechtlers Prof. Martin Nettesheim im Auftrag von Mehr Demokratie, foodwatch und Campact…
Auf Grund der knappen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat und zahlreicher verfassungsrechtlicher Bedenken gegen CETA, bestehen demnach gute Chancen, das Abkommen von deutscher Seite aus noch zu stoppen.
Prof. Nettesheim (Universität Tübingen) zeigt in seinem Gutachten zudem, dass neuartige Handelsabkommen wie CETA die politische Eigenständigkeit der EU-Mitgliedstaaten gefährden. Unter Berufung auf den Außenhandel würden auf EU-Ebene außerparlamentarische Gremien installiert und weitreichende politische Entscheidungen getroffen – ohne ausreichende demokratische Rückkopplung in die EU-Mitgliedstaaten. Die nationalen Parlamente drohten wichtige Gestaltungskompetenzen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Wirtschaft einzubüßen. „Die EU-Mitgliedstaaten verlieren erhebliche Teile ihrer Befugnis zur völkerrechtlichen Gestaltung sozial-, umwelt-, und wirtschaftsrechtlicher Fragen. Diese schleichende Kompetenzausweitung ist demokratisch nicht hinnehmbar“, so das eindringliche Fazit des Rechtsgutachtens.
Thilo Bode, Geschäftsführer von foodwatch International, erklärt: „Die EU dehnt ihren Einfluss auf die Politik der Mitgliedstaaten unbemerkt aus. Die Zuständigkeit der EU für den Außenhandel wird als Hebel genutzt, um nahezu alle Politikbereiche in den Mitgliedstaaten zu harmonisieren und zu regulieren. Dieser schleichende Demokratieabbau birgt die Gefahr, den Europa-Frust zu stärken, anstatt die notwendige Debatte darüber zu führen, welches Europa die Bürgerinnen und Bürger haben wollen.“
„CETA, TTIP, JEFTA und die anderen derzeit verhandelten Abkommen sind nicht vergleichbar mit früheren Handelsverträgen“, sagt Maritta Strasser, Teamleiterin Kampagnen bei Campact. „Die Menschen spüren die tiefe Ungerechtigkeit, die darin liegt, dass Investoren eine exklusive Paralleljustiz bekommen. Deshalb hat unser Appell gegen JEFTA, das Abkommen zwischen EU und Japan, innerhalb von Tagen schon mehr als 300.000 Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden. Sie fordern, dass Handelsverträge transparenter verhandelt werden und dass Umwelt- und Gesundheitsstandards sowie Arbeitnehmerrechte neben ihnen vollumfänglich Bestand haben.“
Die Chancen, CETA von Deutschland aus zu stoppen, seien gut, meint Roman Huber, geschäftsführender Bundesvorstand von Mehr Demokratie. „Um CETA im Bundesrat zu beschließen, braucht es 35 Ja-Stimmen von insgesamt 69 Stimmen. Diese Mehrheit ist rein rechnerisch kaum zu erreichen, wenn Grüne und Linke bei der von ihnen versprochenen Linie bleiben und CETA nicht zustimmen. Gerade haben wir mit einer Bürgerinitiative in Schleswig-Holstein die neue Jamaika-Koalition zu dem Versprechen bewegt, sich bei der Abstimmung im Bundesrat zu enthalten. Außerdem steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über CETA noch aus und das neue Gutachten liefert weitere Hinweise darauf, dass CETA nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.“
Zahlreiche rechtliche Fragen sind bei CETA nicht ausreichend geklärt: Offen ist beispielsweise, welche Bestandteile des Abkommens in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen und welche politischen Gremien für welche Bereiche die Verantwortung tragen. „Es muss sichergestellt werden, dass die CETA-Vertragsgremien in Fällen, in denen es um Zuständigkeiten der EU-Mitgliedstaaten geht, nur unter Mitwirkung eines vetoberechtigten deutschen Repräsentanten entscheiden“, so Nettesheim. Zudem müsse Deutschland klarstellen, dass der Bundestag bei wesentlichen Entscheidungen zustimmen muss und dass CETA einseitig von deutscher Seite gekündigt werden kann, wenn die eigenen gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt werden.
Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu CETA steht noch aus. Prof. Nettesheims Einschätzung ist deutlich: „Das Bundesverfassungsgericht ist aufgerufen, dem Prozess der schleichenden Kompetenzverlagerung Grenzen zu ziehen.“
Aussender: Campact, Svenja Koch; foodwatch, Andreas Winkler; Mehr Demokratie, Anne Dänner
Redaktion: Torben Gösch