Schleswig-Holstein, 09.03.17 – Die Versuche von Extremisten aus allen Phänomenbereichen, andere zu radikalisieren, wurden in jüngster Zeit offensichtlicher. Prominentes Beispiel hierfür sind die – mittlerweile verbotenen – kostenlosen Koranverteilungen der Organisation „Die Wahre Religion“, die auch in Schleswig-Holstein stattgefunden haben…
„Ich freue mich daher, dass Sie so zahlreich zu dieser absolut zeitgemäßen Tagung gekommen sind“, sagte Innenminister Stefan Studt. Vor allem junge Menschen würden vom religiösen Extremismus gezielt und systematisch angelockt. „Dies gilt es zu verhindern“, so der Minister. Prävention spiele hierbei eine wichtige Rolle und sei ein entscheidender Baustein der Sicherheitsarchitektur Schleswig-Holsteins. „Wir haben sowohl im Bereich Rechtsextremismus als auch im Bereich des religiös motivierten Extremismus Projekte angeschoben und unsere Arbeit intensiviert“, so Studt. Das Ministerium für Inneres und Bundesangelegenheiten habe dazu ein Landesprogramm zur Vorbeugung und Bekämpfung von religiös motiviertem Extremismus in Schleswig-Holstein, das seit Anfang 2015 läuft, entwickelt und eine landesweite Beratungsstelle aufgebaut. „Ab 2017 stehen hierfür 7,5 Stellen und ein Volumen von 480.000 Euro pro Jahr bereit. Auch für die Bekämpfung des Rechtsextremismus haben wir zu Beginn dieses Jahres den Mitteleinsatz um 100.000 Euro pro Jahr erhöht“, sagte Studt.
„Wir wollen Schulen mit der Thematik der religiösen und rechtsextremen Radikalisierung von Jugendlichen nicht allein lassen“, sagte Petra Fojut, Abteilungsleiterin Fort- und Weiterbildung des Instituts für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH). Daher finde seit 2015 gemeinsam mit dem Landespräventionsrat Schleswig-Holstein und den Kooperationspartnern Aktion Kinder- und Jugendschutz, der Türkischen Gemeinde in Schleswig-Holstein mit der PROvention als einem Träger im Landesprogramm gegen religiös motivierten Extremismus, dem Ministerium für Inneres und Bundesangelegenheiten und dem Ministerium für Schule und Berufsbildung jährlich ein landesweiter Fachtag für Schulleitungen, Lehrkräfte und Sozialarbeitende sowie Vertreterinnen und Vertreter von Schulaufsicht, städtischen und kommunalen Einrichtungen statt. „Die Vorträge sollen grundlegende Informationen vermitteln, während die praxisnahen Workshops Hilfestellungen geben und den Austausch ermöglichen sollen“, so Fojut zur Zielsetzung der Veranstaltung. In diesem Jahr ginge es zum Beispiel um die Beantwortung der Fragen: Ab wann muss man bei Jugendlichen von einer Radikalisierung sprechen? Welche Äußerungen und Verhaltensweisen sind im Rahmen entwicklungsbedingter Abgrenzungen „normal“? Wie lassen sich dagegen radikale, fundamentalistische und gefährliche Entwicklungen erkennen? Und welche Möglichkeiten haben Pädagoginnen und Pädagogen, mit auffälligen Jugendlichen umzugehen? Mit über 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sei das Interesse am Fachtag erneut groß.
„Aktuelle Tendenzen deuten auf eine wachsende Problematik“, sagte Thomas-Michael Kassun, Geschäftsführer des Landespräventionsrates Schleswig-Holstein. „Auch in 2016 mussten Anstiege bei der politisch motivierten Kriminalität einschließlich der entsprechenden Gewaltdelikte registriert werden. Damit ist auch klar, dass es eine der vordringlichsten Aufgaben sein muss, Radikalisierungstendenzen früh zu erkennen und auf gefährdete Personen positiv einzuwirken“, betonte Kassun. Speziell bei Jugendlichen und zum Teil auch Kindern bestehe einerseits die Chance einer Immunisierung gegen radikale und vereinfachende Ansichten, aber auch das Risiko, durch Fehldeutung oder Überbewertung jugendtypisch provokativer Äußerungen problematische Entwicklungen noch zu verstärken.
Michael Fischer vom Verfassungsschutz Schleswig-Holstein informierte in seinem Vortrag über Radikalisierungstendenzen in Schleswig-Holstein. Kurt Edler von der Deutschen Gesellschaft für Demokratieförderung e. V. beschrieb die Identitätsfindung und Radikalisierung von Jugendlichen, und Dr. Lena Frischlich von der Universität Münster berichtete über die Wirkungen von Propaganda und medialen Gegenangebote. Die fünf Workshops widmeten sich dem „Umgang mit menschenverachtenden, rassistischen und antisemitischen Verhaltensweisen“, der „Sensibilisierung religiös begründeter Verhaltensweisen im Klassenzimmer am Beispiel Dschihad“, der „Radikalisierung in Ultranationalismen des Nahen Ostens am Beispiel der Grauen Wölfe“, „Hatespech – mediale Verbreitung von extremen Positionen“ und der „Phänomenübergreifenden Betrachtungsweise – Gemeinsamkeiten und Unterschiede von politischem und religiös begründetem Extremismus“.
Zu Wort kamen in einem von der im IQSH für das Thema zuständigen Koordinatorin Heike Kühl-Frese moderierten Interview auch die beiden Aussteiger aus der salafistischen und der rechten Szene, Dominic Schmitz und Philip Schlaffer.
Aussender: Petra Haars, Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein
Redaktion: Torben Gösch