KIEL/BERLIN. Bei Netzengpässen soll der Strom aus Erneuerbaren Energien nach dem Willen des Bundesrates verstärkt genutzt statt abgeschaltet werden. Die Länderkammer votierte heute (18. Dezember 2015) für einen entsprechenden Antrag Schleswig-Holsteins.
„Statt Strom aus Wind, Sonne und Biomasse zwangsweise abzuschalten, wenn das Netz nicht ausreicht, können wir ihn nutzen. Damit lassen sich auch die volkswirtschaftlichen Kosten für die Engpassbewirtschaftung reduzieren“, sagte Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Robert Habeck in Berlin. Der Bund müsse deshalb für die entsprechenden Rahmenbedingungen sorgen. Eine Verordnung für zuschaltbare Lasten wäre ein wichtiges Signal.
Habeck betonte: „Schleswig-Holstein macht seine Hausaufgaben beim Netzausbau, aber im Rest der Republik drohen Verzögerungen. Wir müssen beim Netzausbau endlich in die Puschen kommen. Bis dahin kann das Modell der zuschaltbaren Last die gesamtgesellschaftlichen Kosten senken. Gleichzeitig können die Zuschaltbaren Lasten-Projekte wie NEW 4.0 eine flexible Industrieproduktion und eine vermehrte Sektorenkopplung, d.h. die Nutzung von ansonsten abgeregeltem Strom im Wärme- und im Verkehrssektor, unterstützen. “Welchen Bedarf es kurzfristig für zuschaltbare Lasten gibt, zeigt auch die Zunahme der Abregelung von Strom aus Erneuerbaren Energien. Wie ein aktuell vorgelegtes Faktenpapier der Betreiber der schleswig-holsteinischen Stromnetze und des MELUR zeigt, wurden 2014 in Schleswig-Holstein 1.092 Gigawattstunden Strom aus Wind, Sonne und Biomasse abgeregelt, weil die Netze ihn nicht aufnehmen konnten. Das entspricht 8 Prozent der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien in Schleswig-Holstein. 2013 waren es noch 239 Gigawattstunden und 2,2 Prozent.
Die Entschädigungsansprüche von Betreibern von Erneuerbaren Energien-Anlagen stiegen gemäß Abschätzung der Netzbetreiber auf rund 109 Millionen Euro nach knapp 25 Millionen im Jahr 2013. Der Bau der Westküstenleitung wird hier bereits ab 2016 Stück für Stück Abhilfe für einen großen Teil des heute abgeregelten Stroms schaffen. „Wir kommen bei der Westküstenleitung gut voran. Auch für die Ostküstenleitung laufen die Planungen“, sagte Habeck.
Die Netzengpässe haben sich durch Netzausbau- und -optimierungsmaßnahmen dabei in den letzten Jahren weg von der Landes- hin in die bundesweite Höchstspannungsebene verlagert. 94 Prozent der in Schleswig-Holstein im Jahr 2014 veranlassten Abschaltungen von Strom betrafen das Netz des zuständigen Höchstspannungsnetzbetreibers TenneT. Entsprechend werden die Kosten im Netzgebiet der TenneT, das bis nach Bayern reicht, umgelegt.
Einen detaillierten Bericht zu dem Abschaltungen von Strom aus Erneuerbaren Energien in Schleswig-Holstein finden Sie im Internet unter: http://www.schleswig-holstein.de/DE/Schwerpunkte/Energiewende/Strom/_documents/einspeisemanagement.html
Hintergrund zu zuschaltbaren Lasten
Durch die zielgerichtete Zuschaltung von kosteneffizienten Lasten vor einem Netzengpass können die temporären Abschaltungen von Erneuerbare Energien-Anlagen reduziert und die Kosten der Engpassbewirtschaftung (z.B. Redispatch, Beschaffung von Regelleistung) gesenkt werden.
Zuschaltbare Lasten sind zugleich ein wichtiger Schritt in ein von Erneuerbaren Energien durchdrungenes Energiesystem. Anstatt Windräder, PV-Anlagen und Biogasmotoren vor dem Netzengpass abzuschalten, gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Strom sinnvoll zu nutzen und die Flexibilität des Netzes zu erhöhen. Dieser Ansatz wird auch im Förderprojekt NEW 4.0 verfolgt. (Norddeutsche Energiewende, nähere Informationen unter: http://www.new4-0.de/ )
Durch die Umwandlung von Strom in Wärme („Power to Heat“), Wasserstoff, weitere Speichermedien, Industrieanwendungen, Kühlhäuser, Elektromobilität und vieles mehr können Lasten zugeschaltet werden. Die konkrete Form der zuschaltbaren Last lässt sich wettbewerblich und diskriminierungsfrei ermitteln. Durch die Nutzung des Stroms werden nicht nur die Kosten der Engpassbewirtschaftung reduziert, sondern wird auch die Energiewende in den Sektoren Wärme, Verkehr und Industrie unterstützt.
Das Instrument der zuschaltbaren Lasten ist grundsätzlich schon im Energiewirtschaftsgesetz angelegt: § 13 (1) EnWG lässt bei kurzfristigen Netzengpässen die Zuschaltung von Lasten durch den Übertragungsnetzbetreiber zu. Allerdings wird dieses Instrument bislang nicht angewandt, da die Rahmenbedingungen nicht hinreichend ausgereift sind. Anders als bei den abschaltbaren Lasten, für die eine Verordnung mit näheren Ausführungen besteht, hat der Bund bei den zuschaltbaren Lasten noch keine Konkretisierung durch eine Verordnung vorgenommen.
Bereits in den Jahren 2018 bis 2020 werden sich aller Voraussicht nach in Deutschland vermehrt Situationen ergeben, in denen es zu großräumigen (länderübergreifenden) Netzengpässen kommen kann.
Die Bundesregierung wird daher gebeten, gemeinsam mit den relevanten Akteuren kurzfristig Handlungsoptionen für die Nutzung zuschaltbarer Lasten zur Engpassbewirtschaftung zu prüfen und noch in dieser Legislaturperiode konkrete Umsetzungsvorschläge vorzulegen. Voraussetzung ist, dass die volkswirtschaftlichen Kosten gesenkt und die Stromverbraucher entlastet werden.
Aussender: Nicola Kabel, Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (SH)
Redaktion: TG