Kritiker sehen Twitter als eine „Echokammer“, in der User nur Stimmen politisch Gleichgesinnter hören. Doch das stimmt nicht wirklich, so das Ergebnis einer Studie von Forschern der New York University. Zwar ist bei echten Politik-Themen sehr wohl eine deutliche Lagerspaltung zu erkennen, doch weicht diese bei weniger politischen Themen deutlich auf. Zudem kann sich im Laufe der Zeit ändern, ob Diskurse auf Twitter eine starke Polarisierung zeigen oder nicht.
Das NYU-Team hat einen neuen Ansatz genutzt, um die ideologische Position von Nutzern abzuschätzen und dann die Dynamik von Diskussionen zu zwölf großen Themen zu verfolgen. Dabei haben sie annähernd 150 Mio. Tweets mit passenden Schlüsselwörtern von etwa 3,8 Mio. US-Nutzern erfasst. Gängige Lehrmeinung sei, dass eine solche Online-Umgebung sozialen Extremismus und politische Polarisierung fördert, so Studienleiter Pablo Barberá. „Doch wir haben festgestellt, dass Online-Kommunikationsstrukturen sehr flexibel und situationsspezifisch sind.“
Politik am polarisierendsten
Bei offensichtlich politischen Themen wie der US-Regierungskrise 2013 hat die Analyse sehr wohl bestätigt, dass Nutzer bevorzugt Informationen mit anderen ähnlicher ideologischer Zugehörigkeit teilen. „Selbst bei den polarisierendsten Themen, wie der Präsidentenwahl 2012, haben wir keine totale Spaltung gesehen“, betont jedoch Barberá. Twitter-Nutzer stießen auch da auf Meinungen, die im deutlichen Widerspruch zur jeweils eigenen stehen.
Bei weniger politischen Themen wie dem Bombenattentat beim Boston Marathon 2013 oder dem Super Bowl 2014 hat es den Forschern zufolge eher so etwas wie ein „nationalen Diskurs“ gegeben. In solchen Fällen teilen Nutzer eher auch Tweets von Usern, die andere ideologische Ansichten haben. Demnach sind Liberale eher bereit, auch Nachrichten von Konservativen wiederzugeben als umgekehrt. Lediglich bei den Olympischen Winterspielen 2014 haben beide Seiten gleicht intensiv auch über ideologische Trennlinien hinweg retweetet.
Wandelbarer Diskussionsstil
Im Rahmen der in „Psychological Science“ veröffentlichten Studie haben die NYU-Forscher auch festgestellt, dass sich der Twitter-Diskussionsstil zu einem Thema sehr dynamisch ändern kann. Beim Newtown-Massaker 2013 beispielsweise ging der Diskurs angesichts der Grundschul-Tragödie ziemlich neutral los. Doch dem folgte eine zunehmende Polarisierung, weil zunehmend die in den USA politisch hochbrisante Frage der Reglementierung von Waffenbesitz in den Vordergrund rückte.
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Redaktion: TG / Hallo-Holstein