Berlin, 21. Mai 2015. Ob Käfig-, Bodenhaltungs-, Freiland- oder sogar Bio-Ei: Keine Haltungsform garantiert die tiergerechte Haltung von Legehennen. Hohe Krankheits- und Sterberaten, Verhaltensstörungen wie Federpicken oder Kannibalismus und das millionenfache Töten männlicher Küken sind in allen Haltungsformen an der Tagesordnung. Verbraucher haben keine Möglichkeit, sich beim Einkauf für ein garantiert tiergerecht erzeugtes Ei zu entscheiden.
Das ist das Fazit des Reports „Ich wollt‘, ich wär‘ kein Huhn“ über die Zustände in der Legehennenhaltung, den die Verbraucherorganisation foodwatch heute in Berlin vorgestellt hat.
foodwatch spricht sich – über die Legehennenhaltung hinaus – für eine grundlegende Tierhaltungswende aus. Das Ziel: Nur noch solche tierischen Lebensmittel dürfen in den Handel kommen, die nachweislich tiergerecht erzeugt wurden. Daher müsse die Europäische Union erstmals verbindliche Zielvorgaben für die Tiergesundheit festlegen und die bestmögliche Haltungsform als Standard für alle Nutztiere vorschreiben.
Dass die Verbraucher bei frischen Eiern anhand der Kennzeichnung zwischen Käfig-, Boden-, Freiland- oder Biohaltung entscheiden können, reicht nach Auffassung von foodwatch bei weitem nicht aus, um Tiergerechtigkeit durchzusetzen. Studien zeigen: Die Gesundheit der Hennen hängt nicht nur von der Haltungsform ab, sondern mindestens ebenso stark vom Betriebsmanagement. Wie gesund die Legehennen sind, wird derzeit weder systematisch überprüft noch gibt es Vorgaben für die Halter. Ob die Hennen unter haltungsbedingten Krankheiten oder Verhaltensstörungen leiden müssen, wissen die Verbraucher beim Einkauf nicht.
„Die Verbraucher können anhand der Kennzeichnung zwar zwischen verschiedenen Haltungsformen wählen, aber nicht gezielt Eier von gesunden Hennen kaufen. Ein nachweislich tiergerecht erzeugtes Ei können sie im Handel nicht erkennen. Weder die Haltungsform noch freiwillige Siegel und Initiativen gewährleisten, dass die Halter ihre Tiere auch gesund halten und optimal betreuen“, kritisierte Luise Molling, Expertin für Tierhaltung bei foodwatch. „Das Wohlergehen der Tiere darf nicht von den Kaufentscheidungen Einzelner abhängen. Eine Tierhaltungswende bedeutet: Der Gesetzgeber muss die bestmögliche Haltungsform als Mindeststandard vorschreiben und erstmals verbindliche Vorgaben für die Tiergesundheit machen.“ Es sei nicht tragbar, so Molling, dass es für die Gesundheit der Tiere bislang weder Vorgaben noch eine systematische Kontrolle gibt.
foodwatch startete heute eine E-Mail-Aktion an Bundesagrarminister Christian Schmidt. Unter www.tierhaltungswende.de können Bürger die Bundesregierung auffordern, sich auf EU-Ebene für eine echte Tierhaltungswende und verbindliche Vorgaben für die Tiergesundheit einzusetzen.
Professor Tobias Stoll, Direktor der Abteilung für internationales Wirtschafts- und Umweltrecht des Instituts für Völkerrecht der Universität Göttingen, bestätigte in einem Gutachten, dass die Forderungen von foodwatch europarechtlich umsetzbar sind und auch das internationale Handelsrecht dem nicht grundsätzlich im Wege steht. „Die EU ist politisch für die Verbesserung des Tierschutzes zuständig und sogar dazu rechtlich verpflichtet“, erklärte Professor Stoll. Er verwies darauf, dass der Tierschutz Teil der europäischen „Verfassung“ sei – so heißt es im Grundlagenvertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV, Artikel 13): „Bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union in den Bereichen Landwirtschaft, Fischerei, Verkehr, Binnenmarkt, Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt tragen die Union und die Mitgliedstaaten den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung (…).“
Aus Sicht von foodwatch ist die EU angesichts der Zustände in der Tierhaltung zum Handeln verpflichtet. Luise Molling: „Wenn wir uns dafür entscheiden, Tiere für die Lebensmittelproduktion zu halten, dann schulden wir jedem einzelnen eine tiergerechte Behandlung. Wir müssen die Tiere vor dem Wettbewerb schützen, anstatt den Wettbewerb weiter auf dem Rücken der Tiere auszutragen.“ In Zukunft müssten sich Verbraucher darauf verlassen können, dass alle im tierischen Lebensmittel im Handel garantiert tiergerecht erzeugt wurden. Für nicht tiergerecht erzeugte Produkte forderte foodwatch ein europaweites Vermarktungsverbot. Damit wäre sichergestellt, dass in Zukunft nicht Billig-Importe von außerhalb der EU die tiergerecht hergestellten Produkte europäischer Anbieter verdrängen können.
Die Tierhaltungswende muss nach foodwatch die Ansprüche der Nutztiere in den Mittelpunkt stellen, denen sich Wettbewerb sowie Gewinn- und Verbraucherinteressen unterordnen müssen. Deshalb fordert foodwatch konkret:
1. Eine möglichst tiergerechte Haltungsform muss Mindeststandard werden. Die Tierhaltung wird den Bedürfnissen der Nutztiere angepasst – und nicht länger die Tiere an die Haltung. Die EU muss entsprechende Vorgaben (Inputkriterien) gemäß dem jeweils aktuellen wissenschaftlichen Stand vorschreiben.
2. Die EU muss erstmals Zielvorgaben für die Tiergesundheit in jedem Betrieb vorschreiben. Dazu legt sie überprüfbare Outputkriterien (z.B. bei Legehennen: Sterblichkeitsrate, Gefieder- und Fußballenzustand, Kammfarbe, Verhalten, Parasitenbefall, etc.) fest.
3. Das Kontrollsystem muss effizient und transparent werden. In jedem Betrieb wird die Einhaltung von Input- und Outputvorgaben systematisch und unabhängig überwacht. Alle Kontrollergebnisse werden veröffentlicht.
4. Verstöße werden konsequent geahndet: Hält ein Betrieb die Input- und Output-Vorgaben dauerhaft nicht ein, darf er seine Produkte nicht vermarkten. Bei jedem tierischen Lebensmittel im Handel muss gewährleistet sein, dass die formalen Vorgaben für die Haltungsbedingungen und die Zielvorgaben für die Tiergesundheit im Betrieb erfüllt wurden.
Link:
– E-Mail-Aktion: www.tierhaltungswende.de
– Report „Ich wollt‘, ich wär‘ kein Huhn“: www.legehennen-report.foodwatch.de
Aussender: Foodwatch, Martin Rücker
Redaktion: TG / Hallo-Holstein