Berlin – Die Deutschen frohlocken: Auf über 20 Milliarden Euro belaufen sich die Überschüsse der Krankenkassen. Nach zahlreichen Diskussionen über die Verwendung dieser immensen Reserven vermeldeten einige wenige Krankenkassen eine teilweise Ausschüttung an ihre Versicherten, andere möchten die Überschüsse für den Ausbau weiterer Leistungen verwenden. Selbst die Praxisgebühr wird zum 1. Januar 2013 abgeschafft.
Doch verschleiern all diese Erfolgsmeldungen die besorgniserregende Situation in der Pflege, die trotz eines ebenfalls vermeldeten Überschusses von etwa 310 Millionen Euro zum Ende des Jahres 2011 prekär bleibt. Laut Bundesministerium für Gesundheit beläuft sich der Mittelbestand auf 5,4 Milliarden Euro, was lediglich 2,9 Monatsausgaben entspricht.
Zwar wird zum 1. Januar 2013 der Beitrag zur Pflegeversicherung um 0,1 Prozent erhöht, diese Mehreinnahmen sind jedoch in Gänze bereits für bestimmte Leistungsanhebungen verplant. Das Bundesministerium für Gesundheit geht in den nächsten Jahren von einer weniger positiven Finanzentwicklung aus, gibt jedoch zeitgleich Entwarnung: „Gleichwohl würden die Einnahmen und der Mittelbestand zur Finanzierung der derzeitigen Leistungen noch einige Jahre reichen.“ Eine verwunderliche Zuversicht, die in Anbetracht der eigenen Hochrechnungen des Ministeriums einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt: So soll die Zahl der Pflegebedürftigen von 2,32 Millionen im Jahr 2011 auf 4,21 Millionen 2050 steigen. Unter Berücksichtigung des wahrscheinlichen Bevölkerungsrückgangs auf 74 Millionen Bundesbürger, von denen dann 32 Prozent 65 Jahre und älter sein werden, bleibt kaum Raum für zuversichtliche Zukunftsprognosen.
Statt einer Diskussion um Entlastung der rund 70 Millionen Krankenversicherten, die sich nun in der Abschaffung der Praxisgebühr von zehn Euro pro Quartal erschöpft hat, wäre es der richtige Zeitpunkt für notwendige grundlegende Veränderungen und einer strukturellen Neuausrichtung in der Pflege gewesen, die das unausgegorene Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz (PNG) trotz seiner großen Ankündigung ebenfalls nicht erfüllt.
Allerorts wecken die Milliardenüberschüsse Begehrlichkeiten, nirgends sind sie berechtigter als in der Pflege. Immerhin wird seit Jahren über einen Fachkräftemangel in der Pflege debattiert, über die Entlastung von pflegenden Angehörigen. Es wird gesprochen über Zuwanderung von Pflegerinnen und Pflegern aus der europäischen Union, diese wird jedoch kaum unterstützt, obwohl der großflächige institutionelle Verzicht auf diese Arbeitskräfte fast schon an Fahrlässigkeit grenzt. Für eine Vielzahl an Menschen ist eine 24-Stunden-Betreuung ohne osteuropäische Pfleger und Haushaltshilfen finanziell und zeitlich kaum noch möglich. Die angestrebte Besserstellung Demenzkranker wird in ihrer jetzigen Form keine wünschenswerten Dimensionen erreichen, wenn diese keine pflegerische Unterstützung enthält. Die deutsche Pflegesituation ist und bleibt prekär, eine Entspannung ist nicht in Sicht. Darüber können weder Milliardenüberschüsse noch Zuversichtsbekundungen hinwegtrösten.
Bundesverband Haushaltshilfe und SeniorenBetreuung e.V. (BHSB e.V.)