Niko Paech: sieht Massenkonsum kritisch (Foto: Universität Oldenburg)

Ökonom: Weg mit dem Überfluss! „Gesellschaft braucht Therapie, nicht Reformen“

Oldenburg – Die Weltkonjunktur schwächelt, die Euro-Zone kriselt und steuert erstmals seit 2009 wieder auf eine neue Rezession zu. Während viele nach Formen suchen, wie die Entwicklung wieder auf Wachstum getrimmt werden kann, fordert der Ökonom Niko Paech genau das Gegenteil: Die Wirtschaft muss schrumpfen, so seine Botschaft im Buch „Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“. Im Interview mit pressetext erklärt der prominente Wachstumskritiker von der Universität Oldenburg http://produktion.uni-oldenburg.de seine Ideen.Niko Paech: sieht Massenkonsum kritisch (Foto: Universität Oldenburg)

 

pressetext: Herr Paech, was stört Sie am Wachstum?

 

Paech: Unser ständiges Verlangen nach Mehr vernichtet Rohstoffe, zerstört die Umwelt und beutet andere Menschen aus. Die Folgen sind Klimawandel, Knappheiten und letztlich auch die derzeitige finanzielle Instabilität, die einen Wandel unabdingbar machen. Aufgrund unserer Konsum- und Mobilitätsabhängigkeit halten wir aber fest an einem Versorgungsmodell des ständigen BIP-Wachstums. Unsere Gesellschaft ist deshalb nicht nur reform- sondern therapiebedürftig. Als Alternative bietet sich die Postwachstumsökonomie als radikalisierter Ansatz der nachhaltigen Entwicklung an.

pressetext: Kann eine Gesellschaft ohne Wachstum auskommen?

Paech: Ziel meines Ansatzes ist eine robuste, stabile Gesellschaft, die resilient gegenüber Krisen ist. Um das zu erreichen, muss sie sich entrümpeln, vor allem von den materiellen Artefakten, Routinen und Versorgungsmustern, die zuviel Geld oder Ressourcen verbrauchen und damit abhängig machen. Dabei geht es nicht um Verzicht, sondern um Optimierung. Insgesamt sollte es den industrialisierten Ländern gelingen, auf Dauer die Wirtschaftskraft um die Hälfte zu reduzieren.

pressetext: Wie sieht das konkret aus?

Paech: Wenn die geldbasierte Wirtschaft halbiert würde, ergäbe sich eine 20-Stunden-Arbeitswoche und eine Abnahme der Produktion. Aber gleichzeitig werden dabei 20 Stunden frei, durch die wir gemeinschaftlich mit anderen zu urbanen Selbstversorgern werden können. Erstens produzieren wir wieder selbst, wie etwa das Urban Gardening zeigt, zweitens tauschen wir Gebrauchsgegenstände in nahegelegenen sozialen Netzen, beispielsweise das Auto, den Rasenmäher, die Waschmaschine oder die Digitalkamera. Drittens kommen wir mit der die Hälfte der Produkte aus, wenn wir deren Nutzungsdauer verdoppeln – indem wir wieder lernen, Dinge selbst zu reparieren.

pressetext: Klingt nach einem Rückschritt in die Steinzeit.

Paech: Rückschritt ist negativ konnotiert. Ich sehe es als Fortschritt, wenn wir uns von der sklavischen Abhängigkeit des Kaufens von Produkten befreien, die ohnehin bald wieder kaputtgehen. Wir müssen uns von einemTeil des Konsum- und Mobilitätsballastes befreien. Wer dem Hamsterrad der käuflichen Selbstinszenierung entkommt, wird unabhängig von Konzernen und steigert sein Selbstwertgefühl. Soziale Kontakte im Zuge der Gemeinschaftsnutzung und des Tausches ersetzen einen Teil der Produktion und erhöhen die Lebenszufriedenheit.

pressetext: Bei vielen Hightech-Produkten ist eine Eigenreparatur durch Laien jedoch undenkbar.

Paech: Klar, wir brauchen Gesetze gegen geplante Obsoleszenz – die intendierte Vergänglichkeit der Produkte, auf der die Wegwerfgesellschaft basiert – sowie für die Reparierbarkeit, damit nicht jeder Elektrotechniker sein muss, um Kaputtes wieder herzurichten. Zur Förderung von Improvisation und Handwerksgeschick sind die Bildung und Internet-Plattformen wie ifixit http://www.ifixit.com gefragt.

pressetext: Welche Folgen hätte das?

Paech: Alles, was zu viel Energie, Flächen oder Rohstoffe verschlingt, wird es schwer haben angesichts neuer Ressourcenknappheiten. Einige Branchen werden nicht zu retten sein: Die fossile Energie, der Flugverkehr oder die Autobranche etwa, da selbst Elektromobilität auf seltene Erden angewiesen ist und die Fortbewegung nicht verändert. Im Baugewerbe hören Neubauten auf, doch die Nachfrage für Erhalt, Renovierung oder Umbau kann noch steigen. Einbrüche gibt es auch in der Textilherstellung, während Änderungsschneidereien profitieren. Manche Branchen wie Gesundheit und Bildung dürften noch viel wichtiger werden.

pressetext: Alle „grünen“ Effizienzsteigerungen sind demnach unsinnig?

Paech: „Green Economy“ lehne ich ab, insoweit man sie mit „grünem Wachstum“ verbindet. Es gibt keine Lösungen, die gleichzeitig das BIP steigern und die Ökosphäre entlasten. Nur wenn das BIP nicht wächst, werden Bumerangeffekte vermieden, die jede Effizienz- und Konsistenz zunichte machen. Technische Lösungen können jedoch auch in einer Postwachstumsökonomie sinnvoll sein, wenn sie an geringere Nachfrage gekoppelt sind und die menschliche Arbeitskraft nicht vollständig ersetzen. Solar- und Windenergie sind zu verantworten, wenn sie keine neuen Flächen beanspruchen oder Landschaften zerstören. Die Passivbauweise ist zur Optimierung des Immobilienbestandes, jedoch nicht für den Neubau interessant.

pressetext: Braucht der Wandel Krisen wie die aktuelle in Europa?

Paech: Nur Krisen lassen uns spüren, dass wir über unsere Verhältnisse leben. Denn es ist fraglich, ob moderne Industrienationen allein durch einen Kultur- und Bewusstseinswandel reformfähig werden. Es braucht daher wohl weitere Rezessionen und Zuspitzungen, ehe die Postwachstumsökonomie auf die politische Agenda rückt. Wer aber schon jetzt bescheidenere, sesshafte und teilweise an moderner Selbstversorgung ausgerichtete Lebensstile einübt, wird es einfacher haben und kann gelassen in die Zukunft schauen.

pressetext: Danke für das Gespräch!

pressetext.redaktion
Ansprechpartner: Johannes Pernsteiner
Niko Paech: sieht Massenkonsum kritisch (Foto: Universität Oldenburg)