Mexiko: Enorme Aufgaben erwarten den neuen Präsidenten (Foto: Flickr/Hutchinson)

Mexikos Wirtschaft ohne Konzept für Kehrtwende – Experte: Auch neuer Präsident hilft Schwellenland nicht über Schwelle

Hamburg – Mexikos Wirtschaft wird unter dem künftigen Präsidenten Enrique Peña Nieto kaum der Schwenk in Richtung nachhaltige Entwicklung gelingen. Zentrale Konzepte fehlen dem frischgewählten Wahlsieger aus den Reihen der „Partido Revolucionario Institucional“ (PRI), um die brennenden Aufgaben im Land zu bewältigen, urteilt Christof Parnreiter, Wirtschaftsgeograf an der Uni Hamburg http://uni-hamburg.de , im pressetext-Interview.Mexiko: Enorme Aufgaben erwarten den neuen Präsidenten (Foto: Flickr/Hutchinson)

 

Größte Hürde China

 

Als aktuell „größte wirtschaftliche Herausforderung“ des 112-Mio.-Einwohner-Landes in Mittelamerika bezeichnet Parnreiter China. „Vor drei Jahrzehnten beschritt Mexiko den Weg in die Exportproduktion mit seinem Konzept der Maquiladora-Fließbandfabriken. Dieses schuf zwar eine Mio. Arbeitsplätze, doch extrem wenig Wertschöpfung. Seit dem Mitbewerb Chinas wurde es endgültig zur Sackgasse.“ Der Unterschied: Während Mexiko in einer Schwächephase 1986 – vier Jahre nach der Staatspleite – den Welthandel betrat, tat China dies 2001 nach 20-jähriger Vorbereitung, in welcher der asiatische Riese erstarkte.

Chronik des Scheiterns

„Mexiko war vor 25 Jahren ein Schwellenland und hat die Schwelle bis heute nicht überwunden“, beschreibt der Experte die Folgen. Mexikos Wirtschaft wächst heute langsamer als in den 1960er- und 1970er-Jahren und wurde von Brasilien und Argentinien abgehängt. Der BIP-Anteil der Industrie sinkt, die Landwirtschaft ist „desaströs“. Die Folgen: Der reale Mindestlohn fiel seit den 1980ern um 60 Prozent und stagniert derzeit, 36 Prozent der Bevölkerung lebte 2010 unter der Armutsgrenze und acht Prozent von einem Euro täglich.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele Gebrauchsgüter wie Maismehl, Mobilfunk, Internet oder Strom überteuert sind, da im Binnenmarkt zahlreiche Oligo- und Monopole regieren. Peña Nietos Ratlosigkeit auf die Frage, wie viel ein Kilogramm Tortilla kostet, war eines der Hauptargumente seiner Gegner im Wahlkampf. Parnreiter gesteht dem künftigen Präsidenten kaum Kompetenz für eine Kehrtwende zu. „Er wird die verfehlte Wirtschaftspolitik fortsetzen. Die PRI hat außer Globalisierung keinen Wirtschaftsplan.“ Gegenüber dem Handelsblatt http://bit.ly/Nfg7PZ setzte Peña Nieto vor allem auf den Energiesektor.

Drogen: Konfrontation geht weiter

Ein den Lebensalltag prägendes Thema ist der Kampf gegen die Drogenkartelle mit bisher über 50.000 Todesopfern. Vor der Wahl bemühten sich alle Kandidaten um Distanz zur Kriegstaktik von Präsident Felipe Calderon (PAN), der auf die Ergreifung von Drogenbossen abzielte. Die Konfrontation wird Peña Nieto nicht erspart bleiben – statt wie bisher das Heer will er künftig die Polizei einsetzen, gab er bekannt. US-Experten in der New York Times halten es für „unwahrscheinlich“, dass Mexiko die US-Militär- und Finanzhilfe dafür aufgibt.

Auch in Mexikos Wirtschaft ist der Drogenkrieg allgegenwärtig: Die Frachtkosten steigen, da etwa Container mit teuren Exportgütern bewaffneten Geleitschutz benötigen. Firmen verzichten teils auf Nachtschichten, da sich Mitarbeiter nicht im Dunkeln aus dem Haus wagen, und ausländische Top-Fachkräfte sind immer schwerer zu gewinnen. „Bei der Ansiedlung neuer Unternehmen wird Sicherheit immer mehr zu einem Standortfaktor, was speziell für den Norden Mexikos ein enormes Problem darstellt“, bestätigt auch Parnreiter.

Hoffnungsfunke Binnenmarkt

Was Mexiko langfristig helfen könnte, ist in den Augen des Hamburger Wirtschaftsgeografen ein stärkerer Fokus auf den Binnenmarkt. „Mexiko hat hohe Exporte, importiert jedoch noch mehr, was zur negativen Handelsbilanz führt. Ein Umdenken würde hier mehr Löhne generieren und die Binnennachfrage stärken.“ Statt Lohnfertigung sei zudem die Erzeugung höherwertiger Produkte sinnvoll, die allerdings mehr Augenmerk auf Bildung erfordert.

Deutschland ist von der künftigen Entwicklung Mexikos in hohem Maß betroffen: Über 1.000 Firmen mit deutschem Kapital aus den Sektoren Automobilindustrie und deren Zulieferern sowie Pharma und Chemie sind im mexikanischen Wirtschaftsministerium registriert. Sie bringen es auf ein akkumuliertes Kapital von rund 25 Mrd. Dollar und beschäftigen über 120.000 Mitarbeiter. Deutschland ist laut dem Auswärtigen Amt http://bit.ly/M0vm1O wichtigster EU-Handelspartner Mexikos.

pressetext.redaktion
Ansprechpartner: Johannes Pernsteiner
Mexiko: Enorme Aufgaben erwarten den neuen Präsidenten (Foto: Flickr/Hutchinson)