Leuchtender Globus: grüne Wirtschaft noch zu wenig sozial (Foto: Flickr/Sears)

Green Economy verabsäumt soziale Nachhaltigkeit – Entwicklungsexperte: „Erde kein Perpetuum mobile“

Rio/Brighton/Berlin – Das Wirtschaftsmodell der „Green Economy“ wird bisher kaum dem Anspruch gerecht, neben Kohlenstoff- und Ressourceneffizienz auch soziale Nachhaltigkeit zu garantieren. CO2-Kompensationen, Naturschutz und Ökotourismus gehen oft an beteiligten Menschen vor Ort völlig vorbei und fördern die Armut, belegen Forscher um Melissa Leach vom britischen Institute of Development Studies http://ids.ac.uk durch Fallstudien aus drei Kontinenten. Fraglich ist, ob die am morgigen Mittwoch anlaufende Rio+20-Konferenz http://uncsd2012.org hier Lösungen bringt. Welthungerhilfe-Sprecher Ralf Schneider http://welthungerhilfe.de rät allerdings zur Geduld für langsame, dafür langfristige Fortschritte.Leuchtender Globus: grüne Wirtschaft noch zu wenig sozial (Foto: Flickr/Sears)

 

Green Grabbing

 

Zu den Beispielen, die Leach im „Journal of Peasant Studies“ aufzählt, gehört das Ökotourismus- und Naturschutzprojekt „Maya-Biosphäre“ in Guatemala, bei dem Anrainer oft mit Gewalt ausgeklammert bleiben. Biokohle-Unternehmen in Ost- und Südostafrika bringen Bauern und Hirten um ihre Ressourcen und vertreiben sie immer wieder, und auch bei den Waldschutzprogrammen REDD bzw. REDD+ häufen sich Hinweise auf Enteignungen. Schneider fügt Erfahrungen aus Kambodscha oder Sierra Leone hinzu: Nur wenige Anrainer profitieren bei Plantagenerrichtungen durch neue Arbeitsplätze und Ausgleichszahlungen.

Hintergründe für dieses als „Green Grabbing“ bezeichnete Problem erklärt Ralf Schneider von der Welthungerhilfe im pressetext-Interview. „Der Schwenk von fossiler auf erneuerbare Energien kurbelt die Agrarproduktion an. Man erzeugt vorrangig in Entwicklungsländern Palmöl, Biomasse oder Soja, doch auch der deutsche Raps für Biogas oder Biodiesel fällt ins Gewicht: Da wir immer mehr Felder damit bepflanzen, werden Obst und Gemüse importiert, was anderswo zusätzliche Flächen erfordert.“ Green Economy dürfe nachwachsende Rohstoffe nicht überstrapazieren – zumal vielfach schon heute Kapazitätsgrenzen erreicht seien.

Umdenken statt Technik

Während Studienautorin Leach in den Beispielen die „Dunkle Seite der Green Economy“ sieht, pocht Schneider darauf, dass die Ausgestaltung der grünen Wirtschaft noch nicht fixiert ist. Bisherige Textentwürfe zu Rio+20 betonen drei Säulen der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit. Was dies bedeute, sei den wenigsten klar, behauptet der Welthungerhilfe-Experte. „Diese Formulierung impliziert eine Anpassung des Lebensstandards an die Umwelt. Für die Industrienationen bedeutet das Einschränkungen etwa bei Treibstoff, Flugreisen oder Fleisch – also eher eine Vollbremsung als Wachstum.“

Immerhin gab es seit dem ersten Rio-Treffen 1992 Fortschritte, zu denen Schneider das FCKW-Verbot zur Einschränkung des Ozonproblems, die Katalysatoren-Pflicht zur Bekämpfung des sauren Regens oder die verbesserten Kläranlagen zählt. Die Strategie, Probleme mit Technik aus der Welt zu schaffen, stößt jedoch an ihre Grenzen: „Armut, Ungleichheit und Mensch-Natur-Konflikte gibt es weiterhin. Wir brauchen nicht nur Katalysatoren und Baumpflanzungen, sondern ein komplettes Umdenken. Die Erde ist kein Perpetuum Mobile.“

Ziele für nachhaltige Entwicklung

Angesichts der vielen Skepsis, die bisher vor Rio+20 sowie auch beim alternativen Rio-Gipfel laut wurde, mahnt Schneider zu Geduld. „Ein Rio allein genügt nicht für den Wandel. Hoffen darf man darauf, dass das Bewusstsein der Politiker – nicht nur aus den Umwelt-, sondern auch aus den Wirtschafts- und Finanzressorts – geschärft wird. Ein wichtiges Ziel wäre, nachhaltige Entwicklungsziele zu formulieren. Das braucht jedoch seine Zeit: Auch das Ausverhandeln der 2015 auslaufenden Millenniums-Entwicklungsziele hat zwölf Jahre gedauert.“

Leach fordert eine Agenda, die Wirtschaftssysteme nicht nur grüner, sondern auch gerechter macht. Grundsätze wie Transparenz, Verantwortlichkeit und freie, informierte Zustimmung müssten etwa bei Landumwidmungen zum Standard werden. Keine Lösung seien hingegen Ansätze der Industrieländer, sich durch Ökonomisierung anderer Ökosysteme der Verantwortung für fehlende Nachhaltigkeit zu entledigen. „Man darf bei allen Versuchen, durch Handel und Kompensation die zerstörte Natur zu reparieren, nicht übersehen, welche Strukturen den ursprünglichen Schaden ausgelöst haben“, so die Forscherin.

Volltext der Studie unter http://bit.ly/L0vmvL

Übersichtskarte Handel mit Land: http://landportal.info/landmatrix

pressetext.redaktion
Ansprechpartner: Johannes Pernsteiner
Leuchtender Globus: Grüne Wirtschaft noch zu wenig sozial (Foto: Flickr/Sears)