Stuttgart – Die Diskussion um die Preise der  Lebensmittel verkennt die Tatsache völlig, dass billige Nahrung im  Supermarkt der Gesellschaft meist viel teurer zu stehen kommen als  qualitativ hochwertige. Das erklärt Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow  Food Deutschland http://slowfood.de , am Rande der Slow Food Messe http://messestuttgart.de/slowfood in Stuttgart. Der Verein, der am 1. Juni sein 20-jähriges Bestehen in  Deutschland feiert, will künftig politischer auftreten als bisher,  kündigt die Kulturwissenschaftlerin im Interview mit pressetext an.
pressetext: Slow Food startete als Reaktion auf den Fastfood-Trend. Wie steht es um das Essen heute?  
Hudson: Wir essen heute in sehr heterogenen, vielfältigen Formen, da  sich auch unsere Lebensweisen immer mehr ausdifferenzieren. Speziell in  Deutschland spielt der Preis für die Mehrheit der Bevölkerung eine  wichtige Rolle. Gleichzeitig ist jedoch das Essen und Trinken als ein  kulturelles Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen: Skandale um  verseuchte Nahrung, das Aufdecken der unglaublichen Mengen an  weggeworfenen Lebensmitteln oder die oft nicht nachhaltige und  ungerechte Art, wie diese produziert werden, rütteln Menschen auf.
pressetext: Welche Antwort liefert hier Slow Food?  
Hudson: Slow Food grenzt nicht ab, sondern zeigt positive  Alternativen: Lebensmittel, die aus nachhaltiger Produktion stammen, die  Ressourcen schonen und vor allem Qualität und Vielfalt im Geschmack  bieten. Nachhaltiges Essen gehört zu den wenigen Beiträgen in der  Umwelt- und Klimadiskussion, die positiv besetzt sind: Weniger ist mehr,  so die Botschaft. Konsumiert man seltener Fleisch, das dann dafür  qualitativ hochwertiger ist als früher, so kann dies lustvoll und auch  finanziell günstiger sein. Dazu kommt noch das Gemeinschaftserlebnis des  Essens: Mahlzeiten sind gesellig, während man Entscheidungen etwa zum  Kauf einer strom- und wassersparenden Waschmaschine alleine fällt.
pressetext: Demnach ist Ernährung ein politischer Akt? 
Hudson: Ja, und deshalb haben wir in den vergangenen zwei Jahren  versucht, Essen aus der privaten in die politische Sphäre zu holen. Die  Wahl der Nahrung bestimmt immer, welche Landwirtschaft man unterstützt.  Deshalb ist uns die Teilnahme an Aktionen wie „Teller statt Tonne“, der  Protesttafel oder Vernetzungen mit anderen Akteuren wichtig, die  Erzeuger und Konsumenten zugleich ansprechen. „Slow Food und Ökolandbau  sind keine Wohlfühl- oder Gourmetprojekte, sondern Ansätze für eine  tatsächliche Alternative zu unserem derzeitigen Lebensmittelsystem. Sie  zeigen alternative Pfade auf, die zum Weg der gesellschaftlichen  Mehrheit werden könnten“, hat Felix Prinz zu Löwenstein bei der  Eröffnung der Messe formuliert.
pressetext: Manchmal scheint es, als ob Slow Food nur eine Elite  ansprechen oder höhere Preise rechtfertigen will. Taugt es als Konzept  für die Masse? 
Hudson: Die Diskussion um die Lebensmittelpreise läuft völlig  falsch. Seit der Verordnung zum E10-Benzin verwendet jeder das teuerste  Motoröl, im Supermarkt kauft man aber Olivenöl um 1,98 Euro.  Vermeintlich billige Lebensmittel sind jedoch teuer: Durch ihren Kauf  stützt man die EU-subventionierte, industrielle Landwirtschaft, deren  enorme Kosten für Natur und Mensch die Allgemeinheit tragen muss. Würde  man alle externen Kosten einberechnen, wäre eine Biokarotte plötzlich  spottbillig. Mir hat ein junger Student imponiert, der sich kürzlich in  einer Fernsehdebatte meldete. Er kauft trotz geringem Verdienst auf dem  Wochenmarkt ein, verzichtet aber auf Auto oder Urlaubsreisen. Die  Preisdiskussion bezeichnete er als „blöd“.
pressetext: Was ist nötig, damit sich diese Haltung verbreitet?  
Hudson: Es braucht neue Wertigkeiten, Bewusstsein und Wissen, wo  Lebensmittel herkommen und was sie für uns, jedoch auch für Mensch und  Umwelt jenseits des Tellerrandes bedeuten. Doch auch Grundwissen über  den Umgang mit Lebensmitteln ist nötig: Gut essen und kochen ist  günstig, wenn man kochen kann und weiß, was man mit altem Brot oder  Hühnerschenkeln anstellt. Fehlt dieses Wissen, ist man auf teure,  vorgefertigte Nahrung und Salat aus der Tüte angewiesen. Man muss es wo  gelernt haben, gemeinsam mit anderen zu essen, sich regional zu ernähren  und Geschmack zu erkennen, um die Überhand nehmende geschmackliche  Grundkonditionierung zu überwinden.
pressetext: Geschmack ist also Teil der Bildung? 
Hudson: Für Slow Food ist Geschmacksbildung Oberthema, und je früher  man damit anfängt, umso besser, weshalb wir in schon bei werdenden  Müttern und ihren Babys ansetzen. Wir bieten etwa Verkostungen,  Schulgärten, Besuche auf Bauernhöfen und Produktionsstätten,  Kinderkochclubs oder einen speziellen Sinnesparcour, den die UNESCO 2012  in ihren Kanon für nachhaltige Bildung aufgenommen hat. Doch auch  Erwachsene brauchen bewusste Geschmackserlebnisse. Hier auf der Messe  gibt es etwa einen Metzger, der Wurst mit und ohne Phosphate verkosten  lässt. Das kommt an.
pressetext: Vielen Dank für das Gespräch!
pressetext.redaktionAnsprechpartner: Johannes Pernsteiner
Ursula Hudson: “Einkauf ist politischer Akt“ (Foto: slowfood.de)