- Menschenrechtsverteidiger werden weltweit bedroht, angegriffen und kriminalisiert. In Europa gilt dies aktuell ganz besonders für diejenigen, die sich für Menschen auf der Flucht einsetzen.
- Sie sind nicht nur Anfeindungen ausgesetzt, sondern auch Regierungen gehen in zunehmendem Maße gegen sie vor, weil sie Menschen in Not helfen.
- Zu diesen Menschenrechtlern gehören zehn Besatzungsmitglieder des Schiffs „Iuventa“, die im Mittelmeer geflüchtete Menschen vor dem Ertrinken gerettet haben. Die italienische Justiz ermittelt seit Monaten gegen sie – auf Grundlage haltloser Vorwürfe. Für Amnesty International sind die Iuventa10 Vorbilder für menschenrechtliches Engagement, das unterstützt und geschützt werden muss und nicht kriminalisiert.
BERLIN, 11.02.2020 – Rund 200 Crewmitglieder haben zwischen Juli 2016 und August 2017 auf dem Rettungsschiff „Iuventa“ ehrenamtlich gearbeitet. In dieser Zeit haben sie unter Wahrung internationalen Rechts mehr als 14.000 Menschen aus Seenot gerettet – und wurden dafür von den italienischen Strafverfolgungsbehörden ins Visier genommen…
Die Iuventa wurde verwanzt, Telefonate abgehört, verdeckte Ermittler eingesetzt. Zehn Besatzungsmitglieder aus Deutschland, England, Spanien und Portugal stehen seit zwei Jahren im Fokus dieser politisch motivierten Ermittlungen.
„Die Iuventa-Crew steht für all die freiwilligen Helferinnen und Helfer, die sich auf dem Wasser und auf dem Land für das Überleben von Schutzsuchenden einsetzen. Amnesty International zeichnet sie daher stellvertretend für all diese Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger mit dem Amnesty Menschenrechtspreis 2020 aus“, sagt Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International Deutschland. „Sie alle verdienen Anerkennung, Unterstützung und Schutz – statt Anfeindungen, Bedrohungen oder – wie in diesem Fall – politisch motivierter Verfolgung durch Behörden.“ Der Einsatz der Iuventa10 war durch internationales Seerecht gedeckt und erfolgte auf Anweisung der Rettungsleitstelle in Rom. Eine unabhängige Untersuchung von Logbüchern, meteorologischen Daten und Aufnahmen der Agentur Reuters durch die Rechercheagentur Forensic Architecture belegt zudem, dass die Vorwürfe der italienischen Justiz falsch sind. „Die Fakten lassen nur einen Schluss zu: Die italienische Staatsanwaltschaft muss das Verfahren gegen die Iuventa10 sofort und ohne Auflagen einstellen“, so Beeko.
„Der Amnesty Menschenrechtspreis ist ein klares Bekenntnis“, sagt Sascha, Einsatzleiter auf der Iuventa. „Nicht nur zu uns zehn, sondern zu all diejenigen, die sich organisieren: zusammen mit Freund_innen, Nachbar_innen und Arbeitskolleg_innen, auf den Straßen oder in sozialen Zentren, um der Doktrin der Abschottung und Marginalisierung die gelebte Solidarität zwischen den Menschen entgegenzusetzen.“ Iuventa-Kapitän Dariush sagt: „Der Preis zeigt, dass wir mit unserem Kampf nicht allein sind. Ich hoffe wir können all denen, die gegen menschenverachtende Gesetze kämpfen, die Opfer von Repressionen werden oder die gezwungen sind, sich in Lebensgefahr zu begeben, um einen sichereren Ort zu erreichen, ein wenig von diesem Gefühl zurückgeben: Ihr seid nicht allein.“
Amnesty International beobachtet nicht nur auf dem Mittelmeer, dass gegen Menschenrechtler in ihrem Einsatz für die Rechte von Menschen auf der Flucht strafrechtlich ermittelt wird. In den USA musste sich Scott Warren vor Gericht verantworten, weil er Menschen in der Wüste Arizonas mit Wasser und Brot versorgte. In Griechenland drohen Sarah Mardini und Seán Binder bis zu 25 Jahre Gefängnis, weil sie Menschen, die aus der Türkei geflohen waren, erste Hilfe geleistet haben. In Ungarn werden Organisationen von Regierungsmitgliedern öffentlich diffamiert und kriminalisiert, weil sie sich für die Rechte von geflüchteten Menschen einsetzen. Und die EU leistet dieser Kriminalisierung Vorschub: 2002 erließ sie eine Richtlinie, die vor allem genutzt werden sollte, um gegen Schlepper vorzugehen. Diese wird inzwischen von mehreren europäischen Regierungen dazu missbraucht, Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten juristisch zu drangsalieren und einzuschüchtern.
Amnesty fordert die EU-Kommission dazu auf, diese Richtlinie zu korrigieren. „Die Richtlinie erlaubt derzeit Staaten und Behörden, Lebensretterinnen und Lebensretter zu kriminalisieren. Sie muss zukünftig humanitäre Hilfeleistung eindeutig anerkennen und schützen. Menschenrechtsverteidiger genießen laut einer entsprechenden UN-Erklärung und EU-Guidelines internationalen Schutz“, sagt Beeko. „Wer Menschen aus Seenot rettet, wer Hungernden Essen gibt, wer Menschen vor dem Tod bewahrt, darf dafür nicht verfolgt werden.“
Hintergrund
Mit dem Menschenrechtspreis zeichnet die deutsche Amnesty-Sektion alle zwei Jahre Persönlichkeiten und Organisationen aus, die sich unter schwierigen Bedingungen für die Menschenrechte einsetzen. Ziel des Preises ist es, das Engagement dieser Menschen zu würdigen, sie zu unterstützen und ihre Arbeit in der Öffentlichkeit bekannter zu machen. Unterstützt wird der Preis von der Stiftung Menschenrechte – Förderstiftung Amnesty International. 2020 wird der Menschenrechtspreis zum zehnten Mal verliehen, er ist mit 10.000 Euro dotiert. Die Verleihung findet am 22. April im Gorki-Theater in Berlin statt.
Bisherige Preisträger sind unter anderem: das Nadeem-Zentrum für die Rehabilitierung von Opfern von Gewalt und Folter in Kairo (2018), Henri Tiphagne aus Indien (2016) und Alice Nkom aus Kamerun (2014).
Aussender: AMNESTY INTERNATIONAL DEUTSCHLAND e. V.
Redaktion: Torben Gösch