- Schleswig-Holstein, Hamburg und Baden-Württemberg wollen, dass Kinder und Jugendliche besser Schreiben lernen
NORDERSTEDT, 08.12.18 – „Zu viele Mädchen und Jungen verlassen die Grundschulen nach vier Jahren, ohne richtig schreiben zu können – das können wir nicht länger zulassen…
Wir kennen die Fakten, wir müssen handeln“, sagte gestern (7. Dezember) die schleswig-holsteinische Bildungsstaatssekretärin Dr. Dorit Stenke auf der Fachtagung „Orthographie lehren und lernen an Grundschulen“, zu der das Bildungsministerium mit dem Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen (IQSH) nach Norderstedt eingeladen hatten. Diese Tagung ist nach einer Konferenz zum Thema Lesen in der schleswig-holsteinischen Landesvertretung in Berlin das erste Fachleute-Treffen in Schleswig-Holstein im Rahmen einer Kooperation mit den Ländern Hamburg und Baden-Württemberg sowie der Bund-Länder-Initiative Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS). Dafür waren der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe und die baden-württembergische Ministerialdirektorin Gerda Windey nach Norderstedt gekommen. Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache, vertrat BiSS. Weitere Kongresse in Hamburg und Baden-Württemberg werden folgen.
Bildungsstaatssekretärin Stenke betonte, die Befunde der jüngsten IQB-Studie (2016) zur Rechtschreibkompetenz der Grundschülerinnen und Grundschüler seien alarmierend gewesen. 21,8 Prozent der Grundschülerinnen und -schüler in Schleswig-Holstein – in anderen Bundesländern sei das ähnlich – erreichten nicht einmal die Mindeststandards. „Das ist für eine hochentwickelte Industrie- und Wirtschaftsnation ein schon fast beschämender Befund“, sagte Stenke. Die länderübergreifende Kooperation sei daher sehr wertvoll. Denn wenn man weiterkommen wolle, müsse man seine jeweilige Expertise zusammenwerfen: „Unsere Form der Zusammenarbeit bringt vielleicht eine neue Facette in die Föderalismusdebatte. Wir können eigene Länderkonzepte entwickeln, voneinander lernen, uns austauschen, gemeinsam handeln, wo es zielführend ist“, sagte Stenke zu der Kooperation. Zwar liege die grundsätzliche Stärke des föderalen Bildungssystems darin, maßgeschneiderte Antworten auf regionale Erfordernisse zu finden. Aber das müsse nicht heißen, dass jeder für sich allein agierte: „Wir zeigen, dass das auch anders geht“, sagte Stenke und dankte dem Mercator-Institut für die Konzeption und die wissenschaftliche Beratung.
Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe: „Wer lernen will, muss vor allem Lesen und Schreiben können. Das gilt für das Fach Deutsch genauso wie für Mathematik oder Fremdsprachen. Wenn wir wollen, dass unsere Schülerinnen und Schüler in allen Fächern besser werden, müssen wir gerade bei den Schlüsselkompetenzen Lesen und richtiges Schreiben ansetzen. In Hamburg haben wir deswegen bereits 2014 Maßnahmen wie einen verbindlichen Basiswortschatz und regelmäßige Überprüfungen der Rechtschreibleistungen durch die Hamburger Schreibprobe auf den Weg gebracht. Das hat in den letzten Ländervergleichen schon erste Früchte getragen. Trotzdem können und müssen wir hier noch viel besser werden – gerade auch im internationalen Vergleich. Deswegen ist es klug, wenn wir nicht in jedem Bundesland das Rad neu erfinden, sondern wie heute mit länderübergreifenden Kooperationen Synergien schaffen und nutzen.“
„Korrekte Rechtschreibung ist und bleibt eine grundlegende Kulturtechnik. Auf ihre Vermittlung muss in der Schule ein besonderes, stetiges Augenmerk gelegt werden. In Baden-Württemberg stärken wir die Schulen bei dieser elementaren Aufgabe mit dem Rechtschreibrahmen, der seit diesem Schuljahr die verbindliche Grundlage für den Rechtschreibunterricht bildet“, sagte Gerda Windey, Amtschefin des baden-württembergischen Kultusministeriums. Der Rechtschreibrahmen sei als Orientierung, Hilfestellung und Unterstützung für die Deutschlehrkräfte entwickelt worden und zeige den Lehrerinnen und Lehrern auf, wie sich die Unterrichtsinhalte über die einzelnen Klassenstufen hinweg entwickelten. Strategien, die zum Erwerb der Rechtschreibkompetenz hilfreich sein können, würden mit geeigneten Aufgabenformaten verknüpft und durch Beispiele verdeutlicht. Windey: „Kultusministerin Susanne Eisenmann hat schon im Dezember 2016 mit einem Schreiben an die Grundschulen in Baden-Württemberg verdeutlicht, dass auf die Vermittlung der Rechtschreibung von Anfang an ein besonderes und kontinuierliches Augenmerk gelegt werden muss. Die Grundschulen wurden dazu aufgefordert, Rechtschreibung vom Anfang bis zum Ende der Grundschulzeit zentral in allen Unterrichtsfächern zu verankern und systematisch zu üben.“ In der gemeinsamen Fortbildungsinitiative mit Schleswig-Holstein und Hamburg sowie dem Mercator-Institut seien die wichtigen Aspekte des Rechtschreibenlernens hervorragend abgebildet und miteinander verbunden. Auch der Rechtschreibrahmen Baden-Württemberg werde hier entsprechend integriert werden.
„Aus der Forschung wissen wir, dass Lehrkräfte den Unterricht auf ihre Schüler abstimmen müssen. Eine Debatte über einzelne Methoden greift zu kurz, denn die Vermittlung von Rechtschreibung erfordert umfassende didaktische Konzepte. Dafür sollten Lehrkräfte aus- und fortgebildet werden“, erläuterte Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache und Sprecher des Trägerkonsortiums der Bund-Länder-Initiative Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS).
Der Direktor des IQSH, Dr. Thomas Riecke-Baulecke, hob hervor, dass mit dieser Kooperation ein Meilenstein zur Nutzung digitaler Medien in der länderübergreifenden Lehrerfortbildung gesetzt werde, weil ein Großteil der Veranstaltungen mit Hilfe von sogenannten Webinaren – webgestützten Fortbildungen – durchgeführt werde. „Damit wird es möglich, hochwertige Lehrerfortbildung in die Fläche zu bringen und für alle Lehrkräfte zu öffnen: Mit Hilfe eines PCs und mit einem Internetanschluss können Lehrkräfte aus allen beteiligten Ländern an den Fortbildungen in einfacher und Fahrzeiten einsparender Weise teilnehmen“, so Riecke-Baulecke.
Rechtschreibung sei neben dem Lesen die Kulturtechnik, ohne die die meisten wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Entwicklungen nahezu undenkbar wären, sagte Staatssekretärin Stenke. Die großen Kulturtechniken machten nicht vor Landesgrenzen halt, daher sei es wichtig, genau hinzuschauen, wie es um die Orthographie-Kenntnisse von Grundschülerinnen und Grundschülern wirklich steht. „Es liegt in unserer Verantwortung, als Lehrkräfte, als Politikerinnen und Politiker, den Weckruf zu hören und in Handeln zu überführen“, hob Stenke hervor. Es müsse gelingen, dass möglichst jedes Kind am Ende der vierten Klasse mindestens einen soliden Regelstandard in Schreiben und Lesen in die weiterführende Schule mitbringe.
Seit dem Schuljahr 2014/15 werde in Schleswig-Holstein an inzwischen 170 Grundschulen das Projekt „Niemanden zurücklassen – Lesen macht stark“ zur Förderung schriftsprachlicher Kompetenzen durchgeführt, und im Sommer seien die neuen „Fachanforderungen Deutsch Primarstufe“ in Kraft getreten. Sie rückten den Rechtschreiberwerb wieder stärker in den Fokus des Unterrichts, betonte Stenke. Richtiges Schreiben sei eine lebenslange Aufgabe und es erfordere viel Übung – „ein Aspekt, der in den vergangenen Jahren bei all den Dingen, die Grundschule heute leisten soll, vielleicht zu kurz gekommen ist“, so die Staatssekretärin. Die drei kooperierenden Länder wollten besser werden: Sie seien sich einig, dass die Lehrkräfte an Grundschulen noch besser befähigt werden müssten, den Schülerinnen und Schülern die deutsche Orthographie zu vermitteln. Vor diesem Hintergrund haben sie beschlossen, gemeinsam mit der Bund-Länder-Initiative BiSS und dem Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache eine gemeinsame, länderübergreifende Fortbildungsinitiative zum Thema „Orthographie lehren und lernen an Grundschulen“ zu starten.
Aussender: Thomas Schunck, Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (SH)
Redaktion: Torben Gösch