BERLIN, 23.03.18 – Der Bundesrat hat heute (23.3.) dem Entschließungsantrag zur Verbesserung der Situation der Pflege durch Pflegepersonaluntergrenzen mit der Stimme Schleswig-Holsteins zugestimmt…
Mit der Entschließung, zu der in der Sache abgestimmt wurde, wird u.a. die Bundesregierung zu verschiedenen Maßnahmen aufgefordert, insbesondere auch im Klinik-Bereich (nähere Informationen, siehe Top 6 unter: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/TO/966/tagesordnung-966.html). Schleswig-Holstein hatte sich in der vorangegangenen Ausschussbefassung dafür eingesetzt, dass die Situation in ländlichen Regionen sowie die Fachkräftegewinnung besondere Berücksichtigung findet und den Antrag entsprechend ergänzt. Auch diese Ergänzung wurde angenommen.
Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg betonte anlässlich der Bundesratsbefassung:
„Die noch immer andauernde, in diesem Jahr besonders heftige und langwierige Grippesaison, führt uns gerade massiv vor Augen welche Auswirkungen der Pflegenotstand in den Krankenhäusern hat. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krankenhäusern arbeiten schon heute an der Belastungsgrenze und oftmals auch darüber hinaus. Dieser Tage kann man in den Krankenhäusern erleben, was uns droht, wenn wir jetzt nicht umsteuern. Heute ist es eine zugespitzte Situation, eine akute Krise, die Ausnahme bedingt durch die Grippe: Flurbetten, Schließung von OPs, Verschiebung von elektiven Eingriffen, überlaufende Notaufnahmen und erschöpfte Intensivkapazitäten.
Aber: Das droht in der Zukunft der Normalzustand zu werden, wenn wir jetzt nicht endlich handeln. Im Mai 2017 hat die Bertelsmann Stiftung eine Studie veröffentlicht, wonach aktuell über 100.000 Vollzeitkräfte in den Kliniken fehlen. Damit befindet sich die Bertelsmann Stiftung in guter Gesellschaft, ver.di bezifferte bereits im Jahr 2013 anhand einer Befragung von 200 Krankenhäusern, die Zahl der unbesetzten Stellen allein im Pflegedienst auf rund 70.000.
Dieses Problem ist seit langem bekannt, aber bislang umkreisen wir alle gemeinsam das Problem am liebsten auf Zehenspitzen, wie einen schlafenden Riesen. Ja nicht aufwecken. Dann kommt man vielleicht davon. Fakt ist: wir haben einen massiven Personalmangel in der Pflege, was zu Qualitätsverlusten führt.
Ich sage ganz offen: Ich war bei diesem Instrument Personaluntergrenzen auch lange skeptisch. Aber Skepsis und lehrbuchmäßige Krankenhausökonomie verbessern die Situation nicht. Weder für Patientinnen und Patienten, noch für das Personal. Schleswig-Holstein wird heute in der Ausschussfassung daher zustimmen. Klar ist: Verpflichtende Personaluntergrenzen werden für die Krankenhäuser zusätzliche Personalkosten zur Folge haben. Mit diesen Mehrkosten können wir die Krankenhäuser nicht alleine lassen, diese Kosten werden aus GKV-Mitteln zu erbringen sein.
Und dies muss auch umsetzbar sein vor dem Hintergrund des Fachkräftebedarfes, und dies fehlte im Ursprungs-Antrag, das haben wir auf Initiative Schleswig-Holsteins im Gesundheitsausschuss in den Ziffern 8 und 9 ergänzt:
1. Wir müssen sicherstellen, dass es durch verpflichtende Personaluntergrenzen nicht zu einer Verschlechterung der Versorgungssituation, gerade in ländlichen Regionen, kommt.
2. Wir müssen alle gemeinsam mehr tun, damit die dringend benötigten Fachkräfte auch zur Verfügung stehen.
Wozu Personalvorgaben ohne begleitende Maßnahmen führen, können wir bereits heute sehen am Beispiel der Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeboren (QFR-RL). Die hat in der Historie zunächst nachvollziehbare, gerechtfertigte Forderungen an die Strukturqualität von Perinatalzentren formuliert. Mit diesen Strukturen gab es eine deutliche Verbesserung der Versorgung in den Perinatalzentren. Angesichts der eng gefassten Vorgaben zur Personalmindestvorhaltung beim Pflegepersonal sehen wir heute jedoch die Gefahr, dass sich die Versorgungsqualität verschlechtert. Heute gibt es erhebliche Probleme, die Mindestpersonalvorgaben der Richtlinie zu erfüllen. Dieses begründet sich nicht aus mangelndem Engagement bei der Personalrekrutierung, sondern an den besonderen Vorgaben. Die Richtlinie sieht eine Personalvorhaltung für Auslastungsspitzen und besondere Ereignisse vor, die weder organisatorisch leistbar sind noch vom Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt werden können.
Wozu führt das in der Konsequenz? Einige große Zentren müssen die Versorgungssicherheit von Regionen mit mehr als 700.000 Einwohnern sicherstellen. Das bedeutet lange Wege aber vor allem eine Verschlechterung der Versorgungssituation. Dabei ist die Unterschreitung der Mindestpersonalvorgaben nicht sanktionsbehaftet. Allein das hohe Haftungsrisiko, dem sich die Kliniken ausgesetzt sehen bei einer Unterschreitung der Vorgaben, wird zum Versorgungsproblem.
Und: Selbst wenn die Kliniken wollten und ausreichend Mittel zur Verfügung stünden – das benötigte Fachpersonal kann auf dem Arbeitsmarkt derzeitig gar nicht rekrutiert werden. Hier stehen wir Bund, Länder und die Partner der Selbstverwaltung gemeinsam in der Verantwortung.
Wir müssen es schaffen, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Und dabei müssen wir es schaffen, unterschiedliche, differenzierte Einstiege und Aufstiegsmöglichkeiten zu bieten. Wir müssen neue Formen der Delegation in den Krankenhäusern schaffen, um Ärztinnen und Ärzte zu entlasten und Pflegekräfte entsprechend ihrer Qualifikation optimal einzusetzen, und es muss uns gelingen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dauerhaft in dem Beruf zu halten. Dabei müssen Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungssituation und Erhöhung der Absolventenzahlen Hand in Hand gehen mit Maßnahmen zur besseren Fachkräfterekrutierung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Vor uns liegt keine einfache Aufgabe, es gibt keine einfache Lösung.
Wir müssen den Gleichklang schaffen – Verpflichtende Personaluntergrenzen sind nur ein Instrument auf dem Weg zur Lösung. Dennoch ist es richtig und wichtig sie einzuführen, jedoch nicht losgelöst sondern eingebettet in ein Gesamtpaket.“
Aussender: Christian Kohl, Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren (SH)
Redaktion: Torben Gösch