Gesundheitsminister Dr. Garg im Bundesrat: Notfall-Versorgung durch erweiterte Portalpraxen verbessern – Zustimmung zur Ausschussüberweisung

BERLIN, 23.03.18 – Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg hat heute (23.3.) eine Bundesratsinitiative für die Weiterentwicklung von Portalpraxen in den Bundesrat eingebracht. Mit dem entsprechenden Gesetzesantrag soll das Sozialgesetzbuch V geändert werden, um die Voraussetzungen der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit im ärztlichen Notdienst zu verbessern. ..

Die von Schleswig-Holstein beantragte Ausschussüberweisung zur weiteren fachlichen Beratung hat am Vormittag die Zustimmung der Länder erhalten. Die Vorlage wird damit in den Fachausschüssen des Bundesrates beraten, um dann in einer weiteren Bundesratssitzung (voraussichtlich Ende April) in der Sache abzustimmen.

Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg betonte in seiner Rede im Bundesrat zum eingebrachten „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit im ärztlichen Notdienst mittels weiterentwickelter Portalpraxen“:

„Was so sperrig klingt, ist nicht mehr und nicht weniger als ein zukunftsorientierter Beitrag zur Verbesserung der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit – hier im ärztlichen Notdienst. Und ein Beitrag zum planbaren Einsatz von den knappen Ressourcen Personal und Geld. Die Idee nimmt einen Lösungsvorschlag auf, der vor zweieinhalb Jahren schon einmal das Licht des Gesundheitsausschusses des Bundes erblickt hatte. Jetzt wird es hohe Zeit, dieses Thema ernsthaft anzupacken, denn die Situation hat an Dramatik nicht verloren – die Schlagzeilen der Grippewelle der vergangenen Wochen sprechen für sich: „Notaufnahmen der Krankenhäuser platzen aus allen Nähten“. Die Grippe hat da deutlich zugespitzt – aber auch ohne ihre Wellen sprechen die Zahlen für sich.

Die ambulante Versorgung akuter Erkrankungen hat sich in den letzten Jahren mit einer jährlichen Steigerungsrate von 8 – 10 Prozent in Richtung Krankenhäuser verschoben. Immer mehr Patientinnen und Patienten suchen eigenständig die Notaufnahmen der Krankenhäuser auf. Dabei handelt es sich zu einem hohen Anteil um Patienten mit nicht akutem Behandlungsbedarf – also um Patienten, die ambulant versorgt werden sollen und können. Damit werden Ressourcen in Anspruch genommen, die eigentlich für die Versorgung von Menschen mit akut lebensbedrohlichem Behandlungsbedarf zur Verfügung stehen sollten. In echten Zahlen heißt das: Etwa 20 Millionen Menschen suchen die Notaufnahmen der Krankenhäuser auf.

Davon wird die Hälfte stationär aufgenommen (ca. 10 Millionen, die übrigens auch die Hälfte der überhaupt stationär aufgenommenen Fälle darstellen). Die anderen 10 Millionen werden ambulant behandelt, mit Gliederung in 3 Gruppen:

  • Gruppe 1: 10 % (also ca. 1 Million) benötigen keine dringliche Diagnostik und Therapie
  • Gruppe 2: 87 % (also ca. 8,7 Millionen) werden wie in der vertragsärztlichen Versorgung behandelt.
  • Gruppe 3: ca. 3 % (also ca. 300.000) haben schwerwiegendere Erkrankungen.

Vor dem Hintergrund dieser Zahlen muss jedem und jeder der dringende Handlungsbedarf geradezu ins Auge springen! Um die Notaufnahmen in den Krankenhäusern zu entlasten, brauchen wir eine gezielte sektorenübergreifende Koordination. An erster Stelle steht die Frage: Wer kann die Patientinnen und Patienten am besten angemessen versorgen? Portalpraxen an den Kliniken sollen nach unserem Vorschlag dabei als Wegweiser dienen. Und zwar nicht nur, wie bislang, außerhalb der bisherigen ambulanten Bereitschaftsdienstzeiten, sondern auch während der Sprechzeiten. Die so weiterentwickelten Portalpraxen sorgen dafür, dass Notfallkapazitäten denen zugutekommen, die sie wirklich benötigen. Das schont Ressourcen, die anderswo dringender benötigt werden. Und es verbessert die Situation der Patientinnen und Patienten, die gezielt und mit möglicherweise überschaubarer Wartezeit gleich in die richtigen versorgenden Hände geleitet werden. Natürlich wird eine Patientin oder ein Patient dann möglicherweise auch nur die Information bekommen, dass ein Besuch beim Hausarzt oder Facharzt zur Abklärung ausreichend ist. Das Angebot soll explizit nicht den Praxisbesuch bei einer niedergelassenen Hausärztin oder einem niedergelassen Hausarzt ersetzen.

Zurzeit ist es so, dass ambulante Notfallpatienten gemäß des in § 75 SGB V den Kassenärztlichen Vereinigungen zugewiesenen Sicherstellungsauftrages rund um die Uhr im vertragsärztlichen Bereich versorgt werden sollen. Der im Gesetz als „Notdienst“ definierte ärztliche Bereitschaftsdienst ist Teil des Sicherstellungsauftrages gemäß § 75 Absatz 1 b SGB V. Allerdings umfasst dieser Notdienst derzeit nur die sprechstundenfreien Zeiten, ansonsten sind die Praxen der niedergelassenen Ärzte oder andere Einrichtungen der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung zuständig.

In Schleswig-Holstein betreibt die Kassenärztliche Vereinigung auf dieser Grundlage bereits seit längerem 33 so genannter  „Anlaufpraxen“ die gleichmäßig über das Land verteilt sind und sich meist in Krankenhäusern befinden – also in räumlicher Nähe zur Notfallambulanz. Dort findet bei uns die vertragsärztliche Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Sprechzeiten statt. Mit diesem System haben wir in Schleswig-Holstein gute Erfahrungen gemacht. Deshalb sagen wir voller Überzeugung: Wir wollen den nächsten Schritt gehen.

Mit unserem Gesetzesentwurf wollen wir diese „Anlaufpraxen“ da, wo es versorgungspolitisch sinnvoll ist, zu echten „Portalpraxen“ ausweiten, die auch während der Sprechzeiten der niedergelassenen Ärzte – also rund um die Uhr (24/7/365) – geöffnet haben. Dabei haben wir sowohl die Kassenärztliche Vereinigung als auch die Krankenhausgesellschaft in Schleswig-Holstein an unserer Seite. Diese Öffnung ist nicht nur Grundvoraussetzung für einen sektorenübergreifenden Versorgungsansatz. Sie ist letztendlich auch notwendiger Bestandteil der gemeinsamen Vorschläge von KBV und Marburger Bund sowie des Sachverständigenrats „zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen zur Reform der Notfallversorgung“. Mit anderen Worten: diese Bundesratsinitiative ist der erste wichtige Meilenstein auf dem Weg zu einer grundlegenden Reform der Notfallversorgung.

Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet  Änderungen in den Paragraphen 75 und 105 SGB V  – um in begründeten Ausnahmefällen die Option der Entlastung der Notaufnahmen der Krankenhäuser auch während der Sprechstundenzeiten zu ermöglichen. Die jetzt schon möglichen Kooperationsverträge sollen erweitert werden, um die unmittelbare ambulante Versorgung der Patienten in den Portalpraxen auch während der Sprechstundenzeiten zu ermöglichen, wenn dies als medizinische Akutversorgung erforderlich ist.

Wir greifen damit einen Aspekt heraus, der auch Gegenstand der Diskussionen in einer geplanten Arbeitsgruppe der Gesundheitsministerkonferenz  zum Ausbau und zur Verbesserung der sektorenübergreifenden Versorgung sein könnte. Aber, wie eben schon ausgeführt –  der Druck auf die Notaufnahmen der Krankenhäuser, insbesondere in ländlichen Regionen, ist so massiv angestiegen, dass wir jetzt handeln müssen.

Wir sagen: Ermöglichen wir es den Ländern, in ihrem eigenen Tempo und ihrer eigenen Prioritätensetzung zu Werke zu gehen. Länder wie Schleswig-Holstein, die hierzu bereits konkrete Pläne und bestehende Strukturen haben, können schon loslegen – ohne dabei andere Länder auf einen Lösungsweg festzulegen. Es würde mich freuen, wenn wir im Bundesrat gemeinsam dieses Zeichen zur Entlastung der Notfallambulanzen und für eine zukunftsorientierte sektorenübergreifende Versorgung setzen.“

Info zum Bundesratsantrag und Gesetzentwurf: www.bundesrat.de/SharedDocs/beratungsvorgaenge/2018/0001-0100/0071-18.html

Weitere fachliche Info: http://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/VIII/_startseite/Artikel2018/III/180308_Portalpraxen.html

Aussender: Christian Kohl, Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren (SH)
Redaktion: Torben Gösch