KIEL, 07.03.18 – Schleswig-Holsteins Innenminister Hans-Joachim Grote hat heute (07. März 2018) gemeinsam mit Professor Thomas Bliesener und Christoffer Glaubitz vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) und dem Leitenden Kriminaldirektor Peter Fritzsche (LKA) die Studie zur Kriminalität durch Zuwanderer vorgestellt…
„Schleswig-Holsteins Strafverfolgungsbehörden sind bereits gut aufgestellt, um Kriminellen unabhängig von ihrem Wohnsitz und/oder ihrer Nationalität das Handwerk zu legen. Die Erkenntnisse der heutigen Studie geben uns allerdings wichtige Hinweise, wie wir noch besser werden können. Das gilt besonders für die künftige Arbeit bei der Integration von Zuwanderern. Denn die beste Prävention ist eine gelungene Integration“, so Grote.
An dieser Querschnittsaufgabe seien in Schleswig-Holstein neben der Integrations- und Polizeiabteilung des Innenministeriums auch das Bildungs-, Wirtschafts-, Sozial- und Justizministerium beteiligt, die jetzt auf Landesebene gemeinsam die notwendigen Schlüsse aus den Ergebnissen der Studie ziehen würden.
Wie der Innenminister betonte, werde allerdings auch Handlungsbedarf im Bereich der Bundesgesetzgebung deutlich, für den Schleswig-Holstein weiter werben werde. Dazu gehöre die Frage des Familiennachzuges. Integration gelinge viel einfacher, wenn die Familie dabei ist.
Auch würden Asylverfahren immer noch zu lange dauern. Grote: „Wir brauchen entweder schnell klare Bleibeperspektiven mit Integrationsangeboten oder eine schnelle Ablehnung mit anschließender Rückführung.“ Nicht zuletzt bleibe Schleswig-Holstein bei der Forderung nach einer schnellen Einigung auf ein Fachkräftezuwanderungsgesetz. „Nur wenn wir auf legalem Weg geeigneten Fachkräften die Einreise ermöglichen, werden wir Schleppern das Handwerk legen“, so Grote
In der Studie würden Menschen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit, die sich nicht nur vorübergehend in Schleswig-Holstein aufhalten, sondern bei uns und unter uns leben, als Gruppe der Zuwanderer definiert und betrachtet. Es gehe also ausdrücklich nicht um durchreisende Personen oder Menschen, die sich kurz in Schleswig-Holstein aufhalten, um hier Straftaten zu begehen. Grote: „Um es ganz klar zu sagen: Auch diese Gruppe gibt es. Die Landespolizei hat erst vorvergangene Woche am Beispiel des Wohnungseinbruchdiebstahls dargestellt, wie intensiv sie gerade diese Formen der Kriminalität im Blick hat. Sie stand jedoch nicht im Fokus der Studie.“
Zur Untersuchungsmethode
In der Untersuchung wurde durch das KFN ein Maß für die Kriminalitätsbelastung der nichtdeutschen Personen bestimmt, die im Ausländerzentralregister (AZR) in Schleswig-Holstein registriert sind. Dabei wurde die Anzahl der in Schleswig-Holstein im AZR registrierten nichtdeutschen Tatverdächtigen zu der Anzahl der insgesamt in Schleswig-Holstein im AZR registrierten Nichtdeutschen ins Verhältnis gesetzt. Dieses als Tatverdächtigenrate bezeichnete Maß ermöglicht direkte Vergleiche zu der Kriminalitätsbelastung der in Schleswig-Holstein gemeldeten Deutschen.
In früheren Studien waren Vergleiche zwischen deutschen und nichtdeutschen Tatverdächtigen stark dadurch beeinträchtigt, dass in die Bestimmung der Kriminalitätsbelastung von Nichtdeutschen auch Straftaten eingingen, die von Nichtdeutschen begangen werden, welche sich nur kurzfristig im Land aufhalten (zum Beispiel Durchreisende, Touristen und Grenzpendler). Der Ansatz des KFN berücksichtigt diese Schwierigkeit.
Die Zahl der im AZR für Schleswig-Holstein registrierten Nichtdeutschen ist seit 2013 deutlich angestiegen, wobei dieser Zuwachs stärker auf junge Menschen als auf ältere und eher auf Männer als auf Frauen zurückgeht. Zum Ende des Jahres 2016 zählte das AZR circa 228.700 in Schleswig-Holstein registrierte Nichtdeutsche. Die Zahl der im Bundesland gemeldeten Deutschen blieb über den Zeitraum recht stabil und lag Ende 2016 bei circa 2.678.700 Personen.
Das KFN führte für diese Untersuchung unter strengen Datenschutzauflagen Informationen aus den Datenbanken des polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystems, der Ausländerbehörden und der Polizeilichen Kriminalstatistik auf Personenebene zusammen und analysierte diese. Ausländerrechtliche Delikte wurden bei der Berechnung der Tatverdächtigenrate ausgeklammert, um eine bessere Vergleichbarkeit zwischen Deutschen und Nichtdeutschen, aber auch zwischen Personengruppen aus EU-Staaten gegenüber Drittstaaten zu ermöglichen.
Zusammenfassung der Ergebnisse
Insgesamt ergaben die Analysen, dass die registrierte nichtdeutsche Bevölkerung eine höhere Tatverdächtigenrate aufweist als die deutsche Meldebevölkerung. Dieses Ungleichverhältnis ist über den Zeitraum von 2013 zu 2016 leicht angestiegen. Während der Anteil der deutschen Schleswig-Holsteiner, die polizeilich als Tatverdächtige eingestuft wurden, in diesem Zeitraum von 1,9 auf 1,8 Prozent gesunken ist, ist der Anteil der nichtdeutschen Schleswig-Holsteinern, die als Tatverdächtige registriert wurden, in dieser Zeit von 3,8 auf 4,2 Prozent gestiegen. Das heißt, die Tatverdächtigenrate der nichtdeutschen Meldebevölkerung ist gegenüber der deutschen Meldebevölkerung in den untersuchten Kalenderjahren um das 2,0 bis 2,3-fache erhöht gewesen. „Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Nichtdeutschen einen erheblich größeren Anteil an jungen Männern aufweisen als die Deutschen“, sagte KFN-Direktor Prof. Thomas Bliesener. Es handele sich, so Bliesener, um einen sehr gut gesicherten kriminologischen Befund, dass junge Männer zu allen Zeiten und in allen bislang untersuchten Kulturen häufiger kriminell würden. Dies habe man daher in einem weiteren Auswertungsschritt berücksichtigt.
Würden die Nichtdeutschen die gleiche Altersstruktur aufweisen wie die Deutschen, läge die Kriminalitätsbelastung der Nichtdeutschen in den Jahren 2013 bis 2016 um das 1,6-bis 1,8-fache höher als bei den Deutschen, so die Berechnung der Studie. In diesem Falle wären in 2016 noch 3,2 Prozent der Nichtdeutschen als Tatverdächtige registriert worden. Die Berücksichtigung der Geschlechterverteilung führt ebenfalls zu einer Reduktion der Unterschiede zwischen Deutschen und Nichtdeutschen, hat jedoch deutlich geringeren Einfluss als die Berücksichtigung des Alters.
Diesen Auswertungen zufolge ist die Kriminalitätsrate auch unter Berücksichtigung der Alters- und Geschlechterverteilung bei den nichtdeutschen Schleswig-Holsteinern immer noch höher als bei den deutschen Schleswig-Holsteinern. Als Gründe hierfür nehmen die Wissenschaftler vom KFN einen tendenziell geringeren sozioökonomischen Status, geringere gesellschaftliche Teilhabechancen, z.B. aufgrund geringerer Ausbildungsabschlüsse, sowie eine Überrepräsentation nichtdeutscher Personen in urbanen Gebieten, also Räumen mit mehr Tatgelegenheiten, an. Zudem könnte unter anderem eine höhere Wahrscheinlichkeit angezeigt zu werden dazu führen, dass Nichtdeutsche bei der Polizei eher als Tatverdächtige registriert werden als Deutsche. Die Größe entsprechender Einflüsse konnte im Rahmen der Studie nicht untersucht werden, sie seien jedoch in anderen Forschungen gut belegt, so Bliesener.
Die Untersuchung der Deliktstrukturen unter den Nichtdeutschen zeigte in den Jahren von 2013 bis 2016 eine leichte Steigerung im Bereich der sogenannten Rohheitsdelikte, welche zum überwiegenden Anteil Körperverletzung darstellen. Ebenfalls eine Zunahme in diesem Zeitraum verzeichnen die Sexualdelikte. Bei der Interpretation dieser Ergebnisse als einen tatsächlichen Trend müsse man jedoch sehr vorsichtig sein, erläuterte der Verfasser der Studie, Christoffer Glaubitz. Insgesamt seien die Sexualdelikte so selten, dass bereits wenige Vorfälle zu deutlichen Schwankungen bei den Zahlen führen würden. Eine deutliche Steigerung ließ sich im Bereich des einfachen Diebstahls feststellen. Eine Abnahme ergab sich für Rauschgiftdelikte sowie für Vermögens- und Fälschungsdelikte.
Zudem zeigte sich unter den Nichtdeutschen im Zeitraum von 2013 zu 2016 ein leichter Anstieg an Personen, die wiederholt polizeilich als Tatverdächtige registriert wurden: von 0,76 Prozent auf 0,82 Prozent. Dies könne ein Resultat des starken Zuwachses des Bevölkerungsanteils der Jugendlichen und Heranwachsenden über diesen Zeitraum sein, erklärte Glaubitz. Diese Altersgruppen wiesen laut Glaubitz sowohl in der deutschen als auch in der nichtdeutschen Bevölkerung die höchsten Mehrfachtäterquoten auf. Der Anteil derjenigen, die öfter als vier Mal innerhalb eines Jahres als Tatverdächtige in Erscheinung traten, blieb von 2013 zu 2016 hingegen stabil bei 0,1 Prozent. Das heißt, dass eine von 1.000 nichtdeutschen Personen mindestens fünf Mal im Kalenderjahr einer Straftat verdächtigt wird.
Die Untersuchung der Opferstruktur ergab, dass die Opfer von Straftaten, für die nichtdeutsche Personen als Tatverdächtige ermittelt wurden, mehrheitlich ebenfalls Nichtdeutsche sind. In 2016 lag dieser Anteil bei 53,8 Prozent. Dies sei bemerkenswert, so Glaubitz, weil der Anteil der Nichtdeutschen an der Gesamtbevölkerung in diesem Jahr gerade einmal 7,9 Prozent beträgt. Zudem bestand bei einem Großteil der Fälle eine Vorbeziehung zwischen Opfer und Täter, was bei deutschen Tatverdächtigen ebenfalls häufig der Fall ist.
Zusätzlich hat das KFN Unterschiede zwischen den 12 Herkunftsstaaten analysiert, welche in der nichtdeutschen Bevölkerung Schleswig-Holsteins am stärksten vertreten sind. Zwischen den Personengruppen der verschiedenen Nationalitäten existieren deutliche Unterschiede hinsichtlich der Tatverdächtigenrate. Bezogen auf die EU-Länder weisen dänische Staatsangehörige mit Abstand die geringste Kriminalitätsbelastung auf, wohingegen sich die höchste Kriminalitätsbelastung für die östlichen EU-Staaten Rumänien und Bulgarien findet. Aus den herkunftsstärksten Nationen im Zuge des Flüchtlingszustroms im Jahr 2015 weisen Personen syrischer Staatsangehörigkeit die geringste Tatverdächtigenraten auf, gefolgt von Afghanistan und dem Irak.
In einer weiteren Betrachtung nahm das KFN auch Straftaten unter die Lupe, die von Nichtdeutschen begangen wurden, welche nicht im schleswig-holsteinischen Ausländerzentralregister registriert sind. Zu diesen Personen gehören beispielsweise Durchreisende, Touristen und Grenzpendler. Der Anteil der Tatverdächtigungen, der auf diese nicht registrierten Personen zurückzuführen ist, unterscheidet sich zwischen den einzelnen Nationen deutlich. Ein hoher Anteil lässt sich insbesondere für die Länder Rumänien, Polen und auch Dänemark feststellen. Laut KFN scheinen nicht in Schleswig-Holstein wohnhafte Personen insbesondere im Bereich der Diebstahlsdelikte eine besondere Rolle zu spielen.
Polizeiliche Maßnahmen und Handlungsempfehlungen
Die Landespolizei hat auf die sich ab 2015 verschärfende Flüchtlingslage in Schleswig-Holstein mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen reagiert. Ein Teil dieser Maßnahmen steht auch im Zusammenhang mit der durch Zuwanderer begangenen Kriminalität. Dazu zählen personelle und organisatorische Konsequenzen wie zum Beispiel die Einrichtung einer Zentralstelle für Flüchtlingsangelegenheiten im Landespolizeiamt und einer zentralen Auswertestelle für straffällige Zuwanderer im Landeskriminalamt. Mit Schulungen und Handlungsanleitungen wurde aber auch die operative Arbeit vor Ort auf die veränderte Lage eingestellt. „In Hinblick auf die besonders relevante Gruppe der „jungen männlichen ausländischen Tatverdächtigen“ werden die bewährten Instrumente aus dem Bereich der Jugendkriminalität angewandt. Von Diversion über beschleunigte Verfahren bis zu Intensivtäter-Konzepten wird lageangepasst reagiert“, sagte Peter Fritzsche, leitender Kriminaldirektor im LKA.
Auch für besondere Phänomene wie „häusliche Gewalt“ in Flüchtlingsunterkünften oder „neue Sexualdelikte“ wurden Einsatzkonzepte für das polizeiliche Einschreiten erarbeitet. „Die Veränderungen der ursächlichen Rahmenbedingungen liegen nicht in der Hand der Polizei“, betonte Fritzsche.
Die Studie zum Download: http://kfn.de/wp-content/uploads/Forschungsberichte/FB_137.pdf
Aussender: Dirk Hundertmark, Tim Radtke, Ministerium für Inneres, ländliche Räume und Integration (SH)
Redaktion: Torben Gösch