BROKDORF/KIEL. 30.07.17 – Die Atomaufsicht des Energiewendeministeriums hat am Samstagabend die Zustimmung zum Wiederanfahren des Kernkraftwerks Brokdorf erteilt. Wie das Ministerium heute (30. Juli 2017) mitteilte, kann die Anlage damit nach Abschluss des jährlichen Brennelementwechsels und der damit verbundenen Jahresrevision zu ihrem 30. Betriebszyklus wieder ans Netz gehen…
Mehrmonatiger Stillstand nach Oxidbefunden an Brennstäben
Das Kernkraftwerk Brokdorf war am 4. Februar 2017 vom Netz genommen worden. Die diesjährige Revision war ursprünglich für etwa drei Wochen geplant, zog sich aber über einen Zeitraum von mehr als fünf Monaten hin, unter anderem weil an einigen Brennstäben ungewöhnlich dicke Oxidschichten festgestellt worden waren und entsprechend umfangreiche Untersuchungen notwendig wurden. Nach Abschluss dieser Untersuchungen wurden Maßnahmen gegen ein erneutes Auftreten der starken und schnellen Oxidation festgelegt, so dass die Atomaufsicht am 14. Juli 2017 der Beladung des Reaktorkerns mit Brennelementen zustimmte. Dass für die Kernbeladung eine Zustimmung erforderlich ist, ist Inhalt einer nachträglichen Auflage, die die Atomaufsicht in die Betriebsgenehmigung eingefügt hatte. Ebenso wurde der Betreiber PreussenElektra per Auflage verpflichtet, die Befunde künftig bei der Prognose der Oxidbildung adäquat zu berücksichtigen.
Maßgeblich für die Zustimmung war, dass die Anlage im kommenden Zyklus nur unter eingeschränkten Bedingungen betrieben wird. Insbesondere wird die Leistung auf 95 Prozent reduziert und die Lastwechselgeschwindigkeit halbiert. Bis eine der weiteren Einschränkungen – die Absenkung der mittleren Kühlmitteltemperatur – vollständig regulatorisch umgesetzt ist, wird das Kernkraftwerk sogar nur mit 88 Prozent Leistung betrieben. Weitere Einzelheiten zur Problematik der verstärkten Oxidbildung sind auf der Homepage des Energiewendeministeriums zu finden (siehe Link unten).
Während des diesjährigen Anlagenstillstands wurden 72 neue Brennelemente in den Reaktordruckbehälter geladen. Schwerpunkte der Revision lagen neben den Oxidbefunden in umfangreichen Prüfungen, Instandhaltungsarbeiten und Maßnahmen zum Erhalt und zur Erhöhung der Sicherheit der Anlage. Sämtliche Arbeiten wurden von der Atomaufsicht des Energiewendeministeriums und den von ihr hinzugezogenen Sachverständigenorganisationen intensiv kontrolliert und überwacht.
Fünf meldepflichtige Ereignisse festgestellt
Im Laufe des sechsmonatigen Anlagenstillstandes hat die Betreiberin fünf weitere meldepflichtige Ereignisse gemeldet, die sämtlich der Kategorie „N“ (Normalmeldung) zuzuordnen waren. Die Einteilung meldepflichtiger Ereignisse orientiert sich an ihrer sicherheitstechnischen Bedeutung und der Eilbedürftigkeit von Abhilfemaßnahmen. Danach werden meldepflichtige Ereignisse in Deutschland in drei Kategorien eingeteilt: Normalmeldung (N) = Meldefrist fünf Arbeitstage, Eilmeldung (E) = Meldefrist 24 Stunden und Sofortmeldung (S).
So starteten im März aufgrund eines fehlerhaften Reaktorschutzsignals ungewollt zwei Kühlwasserpumpen. Als Ursache konnte ein defekter Kondensator auf einer elektronischen Baugruppe im Reaktorschutzsystem identifiziert werden. Diese wurde daraufhin ausgetauscht.
Ebenfalls im März kam es zu einer knapp 30-minütigen Überschreitung des maximalen Betriebsunterdruckes von 30 Millibar und des Prüfunterdruckes von 45 Millibar im Reaktorsicherheitsbehälter. Bei der Inbetriebnahme der Lüftungsanlage blieb die Zuluft aufgrund eines Fehlers abgesperrt, wodurch sich im Reaktorsicherheitsbehälter der Unterdruck erhöhte. Nach Erkennen des Unterdruckanstieges und dessen Ursache wurde die Zuluft geöffnet, was zu einer Normalisierung des Betriebsunterdruckes führte. Die Atomaufsicht wurde Anfang Mai über das Ereignis informiert und zog Sachverständige hinzu. Die Betreiberin analysierte auf Veranlassung der Atomaufsicht die Umstände ganzheitlich und leitete daraus Maßnahmen zur Verbesserung der Betriebsabläufe und der Kommunikation zwischen den Organisationseinheiten sowie der Anlagentechnik ab Schäden infolge des aufgetretenen Unterdruckes wurden nicht festgestellt. Die Sachverständigen haben die Unversehrtheit des Reaktorsicherheitsbehälters bestätigt.
Im Mai waren zudem im Rahmen einer wiederkehrenden Prüfung an einer Notspeisepumpe erhöhte Oberflächentemperaturen an der zugehörigen Betriebsölpumpe festgestellt worden, so dass der Betrieb der Notspeisepumpe vorsorglich abgebrochen wurde. Die Notspeisepumpe wird im abgeschalteten Zustand des Kraftwerkes nicht benötigt und die Auffälligkeit hatte keine Auswirkungen auf den Anlagenbetrieb.
Die Ölpumpe wurde ausgetauscht. An den drei redundanten Ölpumpen waren bei den vergangenen wiederkehrenden Prüfungen keine Auffälligkeiten festgestellt worden.
Im Juni waren bei einer Funktionsprüfung der Neutronenflussmessung in zwei Messkanälen unplausible Signalverhältnisse aufgetreten. Als Ursache wurde jeweils ein defekter Transistor auf einer elektronischen Baugruppe identifiziert. Die betroffene Neutronenflussmessung hat die Aufgabe nachzuweisen, dass der Reaktor sicher abgeschaltet (unterkritisch) ist. Da sich seit Mitte Februar im Reaktor keine Brennelemente befanden, kam es zu einer besonderen elektrischen Beanspruchung der Transistoren auf der Baugruppe. Bei entladenem Reaktor bestehen keine Anforderungen an eine Neutronenflussüberwachung, so dass die betroffenen Baugruppen zukünftig während dieser Zeit elektrisch deaktiviert werden.
Im Rahmen einer wiederkehrenden Prüfung öffnete darüber hinaus am Freitag (28. Juli) eine Klappe in dem Ladeluftsystem eines Notstromdiesels nicht. Dadurch erreichte der Notstromdiesel nicht die spezifizierte Leistung. Ursächlich ist vermutlich ein Fehler in der Steuerung der Klappe. Die Instandsetzung ist durch Austausch erfolgt und wurde im Beisein der Sachverständigen mit einer erfolgreichen Abnahme- und Funktionsprüfung abgeschlossen. Die Übertragbarkeitsprüfungen ergaben keine Auffälligkeiten.
Bei keinem der meldepflichtigen Ereignisse bestand die Gefahr einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen.
Einen weiteren Schwerpunkt während der Revision bildeten Prüfungen im Zusammenhang mit einem meldepflichtigen Ereignis eines anderen Kernkraftwerks, bei dem beschädigte Verbindungsbolzen an Halterungen im Notspeisegebäude vorgefunden wurden. Im Rahmen einer GRS-Weiterleitungsnachricht (GRS = Gesellschaft für Reaktorsicherheit) wurden Empfehlungen zur Überprüfung in den Kernkraftwerken bundesweit ausgesprochen. Ursächlich für die Beschädigungen der Verbindungsbolzen war eine Überlastung durch zu geringe Spaltmaße zwischen Gebäudedecken und Trennwänden im Gebäude, die im Falle von Erschütterungen z.B. bei Erdbeben eine Entkopplung bewirken sollen. Aufgrund der GRS-Empfehlungen wurden umfangreiche Überprüfungen an den sicherheitstechnisch wichtigen Gebäuden im Kernkraftwerk Brokdorf vorgenommen. Die von der Aufsichtsbehörde hinzugezogenen Sachverständigen haben abschließend bestätigt, dass die vorhandenen Abstände ausreichend bemessen und die GRS-Empfehlungen umgesetzt sind.
Nachdem die zum Wiederanfahren des Kernkraftwerkes Brokdorf erforderlichen Maßnahmen getroffen worden sind und die erforderliche Schadensvorsorge festgestellt wurde, konnte die Zustimmung zum Wiederanfahren der Anlage KBR erteilt werden.
Hintergrund: Die nach der Betriebsgenehmigung des Kernkraftwerk Brokdorf erforderliche Zustimmung der Atomaufsicht zum Wiederanfahren der Anlage wird u.a. abhängig gemacht von der Behebung aufgetretener Mängel, der Erfüllung von Anordnungen und Auflagen und der Realisierung von Ertüchtigungsmaßnahmen.
Das Kernkraftwerk Brokdorf ist eines von drei Kernkraftwerken in Schleswig-Holstein. Während die Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel in Folge des Atomausstiegs keine Berechtigung zum Leistungsbetrieb mehr haben, darf Brokdorf laut Gesetz noch bis längstens Ende 2021 Strom produzieren.
Nähere Informationen zu den Oxidbefunden an einigen Brennstäben finden Sie hier: http://www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/R/reaktorsicherheit/faq_KKW_Brokdorf_Stillstand.html
Aussender: Jana Ohlhoff, Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung (SH)
Redaktion: Torben Gösch