BROKDORF/KIEL, 20.02.17 – Im Kernkraftwerk Brokdorf wurden im Rahmen des laufenden Brennelementwechsels an einzelnen Brennstäben auffällige Oxidschichten festgestellt. Gezielte Messungen ergaben Schichtdicken, die die Grenzwerte und Zuwachsprognosen an einigen Stellen deutlich überschreiten…
„Dieser Befund ist ernst zu nehmen. Dass Brennstäbe außen oxidieren, ist üblich. Aber ein solch schnelles und starkes Anwachsen der Schicht ist in Deutschland noch nicht bekannt geworden. Das darf nicht geschehen. Im Augenblick sind damit die zentralen Annahmen, wie Brennstäbe sich im Kern des Reaktors bei laufendem Betrieb verhalten, in Frage gestellt. Erst, wenn die Ursache geklärt und ausgeschlossen ist, dass sich das Problem an anderen Brennstäben wiederholt, kommt ein Wiederanfahren des Kernkraftwerks in Betracht“, sagte der für die Reaktorsicherheit zuständige Umweltminister Robert Habeck. Er betonte zugleich: „Es bestand zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für Mitarbeiter oder für die Bevölkerung.“
Das meldepflichtige Ereignis der Kategorie („E“) hat die PreussenElektra-Betreibergesellschaft fristgerecht der Atomaufsichtsbehörde (Energiewendeministerium) gemeldet.
Im Kernkraftwerk Brokdorf läuft derzeit die jährliche Revision, weshalb es momentan nicht am Netz ist. Beim planmäßigen Wechseln der Brennelemente waren im Reaktorwasser außergewöhnlich viele Schwebstoffe festgestellt worden, die sich als abgelöste Teile der Oxidschicht herausstellten. Bei den anschließenden Messungen wurden überhöhte Oxidschichtdicken gemessen
Der Grenzwert für die gesamte Einsatzdauer eines Brennelementes (in der Regel bis zu 5 Zyklen, das entspricht etwa 5 Jahren) liegt bei einer Oxidschichtdicke von höchstens 100 Mikrometer (ein Mikrometer entspricht einem tausendstel Millimeter). Dieser Grenzwert wurde bei mehreren Brennstäben erreicht oder überschritten, obwohl sie erst zwei Zyklen im Einsatz waren – davon war der letzte Zyklus eher kurz. In einem Fall wurde punktuell sogar eine Oxidschicht von 152 Mikrometer gemessen.
Die Ursache für die außergewöhnliche Zunahme der Oxidschichtdicke wird derzeit unter Einbeziehung des Brennelementherstellers untersucht. Die Atomaufsicht hat Sachverständige hinzugezogen und die Bundesaufsicht (BMUB) informiert.
Die auffälligen Brennelemente sind für den Einsatz im nächsten Zyklus nicht geeignet. Welche weiteren Konsequenzen sich noch ergeben, hängt von den weiteren Untersuchungsergebnissen ab. „Es muss sichergestellt sein, dass die Brennstäbe der im nächsten Zyklus eingesetzten Brennelemente nicht noch einmal so stark oxidieren. Die Oxidschichtdicken müssen ohne Frage die Grenzwerte einhalten. Sonst können und werden wir keine Zustimmung zum Wiederanfahren erteilen“, sagte Habeck.
Hintergrund
Im Kernkraftwerk Brokdorf befinden sich im Reaktordruckbehälter insgesamt 193 Brennelemente. Sie bilden den Reaktorkern. In einem Brennelement sind 236 Brennstäbe – bestehend aus einem Hüllrohr aus einer Zirkonlegierung und dem eigentlichen Brennstoff in Form einzelner Uranpellets. In jedem Betriebszyklus werden teilweise neue und teilweise bereits zuvor verwendete Brennelemente eingesetzt. In der Regel werden Brennelemente für insgesamt bis zu fünf Betriebszyklen genutzt.
Die Brennstäbe werden im Reaktorkern mit boriertem Wasser gekühlt. Der im Kühlmittel enthaltene Sauerstoff und der Wasserstoff reagieren dabei im Reaktorbetrieb mit der heißen Metalloberfläche des Brennstabhüllrohres. Dort bildet sich dann eine leichte Oxidschicht aus. Dies ist also normal. Die Schichtdicke darf ein bestimmtes Maß jedoch nicht überschreiten, da dann das Hüllrohr unzulässig geschwächt wird. Ab einer Schichtdicke von 160 Mikrometer ist nicht ausgeschlossen, dass es zu einem Integritätsverlust des Hüllrohres kommt – es mithin nicht mehr vollständig dicht ist. Außerdem kann bei einer zu starken Oxidschicht die Wärme von Brennstab in das Kühlmittel nicht mehr so abgeführt werden wie vorgesehen.- der Wärmeübertrag wird also unzulässig beeinflusst.
Bei jedem Brennelementwechsel wird mit visuellen Inspektionen im Rahmen von repräsentativen Stichproben der Zustand der Brennelemente auf Auffälligkeiten überprüft. Dabei zieht die Atomaufsichtsbehörde (Energiewendeministerium) Sachverständige hinzu. Zeigen sich Auffälligkeiten, erfolgen konkrete Messungen der Oxidschichtdicke.
Erläuterung zu den Kategorien der meldepflichtigen Ereignisse:
Orientiert an sicherheitstechnischer Bedeutung und Eilbedürftigkeit von Abhilfemaßnahmen werden Meldepflichtige Ereignisse in Deutschland in verschiedene Kategorien eingeteilt, von denen insb. die Normalmeldung (N, Meldefrist fünf Arbeitstage), die Eilmeldung (E, Meldefrist 24 Stunden) und die Sofortmeldung (S) Relevanz haben.
Aussender: Nicola Kabel, Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (SH)
Redaktion: Torben Gösch