Wiesbaden – Rückgang der Zahl von Ermittlungsverfahren beim Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung: Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 392 Ermittlungsverfahren und damit knapp acht Prozent weniger Verfahren als 2013 abgeschlossen.
Dennoch hat sich die Situation nicht entspannt. Menschenhandel ist eines der Kriminalitätsphänomene, das durch eine hohe Dunkelziffer gekennzeichnet ist. Häufig werden strafbare Handlungen erst durch Kontrollen durch Polizei- und Ordnungsbehörden sowie Gesprächen mit Opfern bekannt. Komplexe Tatstrukturen und die Abhängigkeiten der Opfer von den Tätern erschweren die Ermittlungen. Ohne konkrete und detaillierte Opferaussagen ist der Straftatbestand kaum nachzuweisen.
Einhergehend mit den Ermittlungsverfahren ging auch die Anzahl der Tatverdächtigen zurück: von 625 im Jahr 2013 auf 507 im Jahr 2014. Deutsche Tatverdächtige machten mit 24 Prozent den größten Anteil aus, gefolgt von rumänischen (21 Prozent) und bulgarischen (20 Prozent).
Die Anzahl der Opfer ist mit 557 um knapp drei Prozent gegenüber dem Vorjahr (2013: 542) gestiegen.
Mehr als zwei Drittel aller Opfer stammten aus Ost- und Südosteuropa, vor allem aus Rumänien (38 Prozent) und Bulgarien (16 Prozent). Opfer aus diesen Herkunftsländern kommen überwiegend aus schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen und sind häufig abhängig von familiären oder regionalen Clanstrukturen. Dies hat – nicht zuletzt aufgrund von Bedrohung und Erpressung – Auswirkungen auf die Aussagebereitschaft der Opfer.
Opfer aus Nigeria machten mit drei Prozent nur einen kleinen Anteil der in Ermittlungsverfahren in Deutschland festgestellten Opfer aus. Eine statistische Erhebung von Eurostat 2014 belegt aber, dass in den Jahren 2010 bis 2012 insgesamt 1.322 nigerianische Opfer identifiziert wurden und damit in den EU-Staaten die größte Gruppe der Drittstaatler darstellten.
„Der nigerianische Menschenhandel ist ein europäisches Problem. Täter und Opfer sind netzwerkartig über Gesamteuropa verteilt. Der modus operandi ist geprägt von der Einschüchterung der Opfer und deren Verschuldung, die den überwiegend meist jungen Frauen keine andere Wahl lässt, als in der Prostitution zu arbeiten“, sagt der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA) Holger Münch.
Um auf dieses Kriminalitätsphänomen zu reagieren, wurde im Jahr 2012 unter deutschem Vorsitz das von der EU-Kommission geförderte Projekt zur Bekämpfung des „Nigerianischen Menschenhandels“ initiiert. Das Projekt will Organisationsstrukturen und kriminelle Netzwerke nigerianischer Straftäter europaweit erkennen und die Prostitutionsopfer in den verschiedenen Ländern identifizieren und schützen.
Nach verschiedenen Kontrolltagen in den vergangenen Jahren richtete das BKA vom 29. bis 30. September 2015 eine internationale Konferenz aus, an der neben Sicherheitsbehörden und NGO’s aus 17 europäischen Staaten erstmals auch eine Delegation von nigerianischen Behörden teilnahm, darunter Vertreter des dortigen Justizministeriums, Polizei-, Finanz- und Migrationsbehörde, sowie die Vertreterin einer in Nigeria aktiven NGO. Unterstützt durch Europol und Eurojust diente die Konferenz in Amsterdam/NL unter anderem der Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten und Nigeria sowie der Absprache gemeinsamer Maßnahmen, um den Grundstein für die Zerschlagung von Täternetzwerken zu legen.
BKA-Präsident Holger Münch: „Menschenhandel verletzt die Opfer an Leib und Seele und bedarf einer konsequenten Aufklärung durch die Strafverfolgungsbehörden. Ich begrüße daher ausdrücklich die Regulierung der Prostitution, durch die sich nicht nur die Rahmenbedingungen im Prostitutionsmilieu verändern, sondern auch einheitliche Begriffsbestimmungen und Definitionen für alle Bereiche der Prostitution geschaffen werden. Je mehr Fälle des Menschenhandels wir aufdecken, desto mehr Täter können wir strafrechtlich verfolgen und Opfer schützen.“
Zukünftig wird – neben dem Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und der Ausbeutung der Arbeitskraft – eine weitere Form des Menschenhandels die Lageentwicklung in Deutschland beeinflussen. Die aktuelle Gesetzesinitiative zur Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU sieht unter anderem die Einführung eines Straftatbestandes „Menschenhandel durch Ausbeutung der Bettelei“ vor. Die bisherigen Erkenntnisse lassen darauf schließen, dass bei einem Großteil der in Deutschland auftretenden ausländischen Bettlerinnen und Bettler organisierte Ausbeutung vorliegt. Auch erste Erfahrungen aus anderen europäischen Staaten weisen auf ein umfangreiches Ausmaß der organisierten Bettelei hin.
Weitere Informationen zum Phänomenbereich Menschenhandel – auch zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft – finden Sie auf der BKA-Homepage unter www.bka.de.
Aussender: Bundeskriminalamt
Redaktion: TG