Kurz vor dem 70. Jahrestag des Kriegsendes hat Bundeskanzlerin Angela Merkel davor gewarnt, einen „Schlussstrich“ ziehen zu wollen. Unter Geschichte gebe es keinen Schlussstrich, sagt Merkel in ihrem neuen Video-Podcast.
„Wir Deutschen haben hier schon eine besondere Verantwortung, aufmerksam, sensibel und auch kundig mit dem umzugehen, was wir in der Zeit des Nationalsozialismus angerichtet haben“, sagt die Bundeskanzlerin. Das gelte auch mit Blick auf langandauernde Verletzungen und Sorgen in anderen Ländern. „Ich habe da volles Verständnis“, so Merkel.
Die Bundeskanzlerin betont, es werde für sie „ein sehr wichtiger Moment sein“, wenn sie am 10. Mai nach Russland fahre. Merkel wörtlich: „Wir haben mit Russland im Augenblick sehr tiefgehende unterschiedliche Meinungen – gerade auch über die Fragen dessen, was in der Ukraine abläuft. Und trotzdem ist es mir wichtig, am 10. Mai dort gemeinsam mit dem russischen Präsidenten einen Kranz am Mahnmal des unbekannten Soldaten niederzulegen, um der Millionen Toten zu gedenken, die Deutschland aus dem Zweiten Weltkrieg heraus zu verantworten hat.“
Ausdrücklich widerspricht Merkel der Einschätzung, die Forderung „Nie wieder!“ sei zu einer Floskel geworden. Man müsse allerdings dafür arbeiten, dass sie „nicht zur Alltäglichkeit wird, ohne dass man fragt: Was steckt dahinter?“ „Nie wieder!“ bedeute einerseits, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen – „mit der Geschichte des Nationalsozialismus, mit der Geschichte der Konzentrationslager, mit der Geschichte der Verfolgung von Minderheiten, Andersdenkenden und mit der Geschichte des Holocaust“. Andererseits bedeute „Nie wieder!“, darauf aufzupassen, „dass unsere Ideale, unsere Wertvorstellungen auch wirklich gelebt werden“.
Die Bundeskanzlerin sagt, eigentlich sei es eine Schande, dass vor jeder jüdischen Einrichtung in Deutschland Polizisten stehen müssten, um sie zu bewachen. „Es ist nicht in Ordnung“, so Merkel weiter, „dass anders denkende oder anders aussehende Menschen oft auch Rassismus und Extremismus ausgesetzt sind.“ Hier heiße „Nie wieder!“: „Wehret den Anfängen, seid aufmerksam.“ Das gelte für die Politik wie für jeden Einzelnen. Und glücklicherweise gebe es viele, viele Beispiele, „wo Menschen dagegen aufstehen – gerade auch junge Menschen“.
Die Bundeskanzlerin hält Gedenktage für notwendig. Sie verhinderten, dass man die Beschäftigung mit der Geschichte immer wieder verschiebe, weil sich gerade scheinbar etwas Anderes in den Vordergrund dränge. Gedenktage allein reichten aber nicht, betont Merkel. Gedenken könne man nur, wenn man die Zusammenhänge kenne. Notwendig sei ein „Grundwissen“, das in Schule und Gesellschaft verbreitet werden müsse. Eine kontinuierliche Schulbildung, auch kontinuierliche Möglichkeiten der Weiterbildung und das Begehen von Gedenktagen gehörten für sie unauflöslich zusammen, erklärt die Bundeskanzlerin.
Merkel ruft auch Menschen mit Migrationshintergrund dazu auf, sich mit der deutschen Geschichte zu beschäftigen. Integration bedeute „natürlich auch, Teilhabe an der Vergangenheit einer Gesellschaft, zu der ich heute gehöre“. Man könne in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nur ankommen, wenn man sich auch ein Stück weit für die Geschichte interessiere, vielleicht auch seine eigenen Erfahrungen aus seinem Herkunftsland mit einbringe. „Daraus kann im Übrigen eine sehr spannende Diskussion werden“, meint die Bundeskanzlerin. „Denn Krieg, Verfolgung, Vertreibung, Minderheiten, die keine Rechte haben – das gibt es leider noch viel zu viel auf der Welt. Und gerade viele Migranten, die zu uns kommen, können davon berichten.“ Hinweis:
Der Video-Podcast ist unter www.bundeskanzlerin.de abrufbar.
Aussender: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Redaktion: TG / Hallo-Holstein