Hamburg – Beim Einsatz von Kampf-Drohnen greifen US-Geheimdienste auch auf Informationen zurück, die von Asylbewerbern in Deutschland stammen. Nach Angaben eines früheren hochrangigen Pentagon-Mitarbeiters fließen solche Erkenntnisse in das „Zielerfassungssystem“ der US-Dienste ein. Scheinbar banale Informationen könnten ausreichen, „ein Ziel zu bestätigen – und vielleicht auch dafür, einen Tötungsbefehl auszulösen“. Deutsche Behörden würden angeblich die USA systematisch mit Hinweisen versorgen, die von Flüchtlingen stammen. Dazu können auch die Handydaten von Terrorverdächtigen gehören.
Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung und des Norddeutschen Rundfunks spielt dabei die geheimnisumwitterte „Hauptstelle für Befragungswesen“ (HBW), die dem Kanzleramt untersteht, eine zentrale Rolle. Detaillierte Auskünfte der Asylsuchenden zur Sicherheitslage in ihren Heimatländern und zu einzelnen Personen, etwa zu islamischen Extremisten, sollen auch von den Militärgeheimdiensten der USA und Großbritanniens ausgewertet werden. Deutsche Asylrechtler und Innenpolitiker halten die Praxis für rechtswidrig und fordern Aufklärung durch die Bundesregierung.
In einem Interview berichtet ein somalischer Flüchtling von Gesprächen mit deutschen Offiziellen, in denen er nach Anführern der islamistischen Al-Schabaab-Miliz gefragt worden sei und unter anderem eine Telefonnummer und Details zum Aufenthaltsort eines Milizenführers offenbart habe. Die Befrager hätten sich nicht als Geheimdienstler zu erkennen gegeben. Ein Übersetzer solcher Gespräche sagte, die Fragesteller seien als „Praktikanten“ vorgestellt worden. Nach Angaben ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter aus den USA und Großbritannien gab die „Hauptstelle für Befragungswesen“ Informationen aus Gesprächen mit Flüchtlingen an sie weiter. Manchmal hätten amerikanische oder britische Agenten auch selbst an Befragungen teilgenommen. Laut einem langjährigen Pentagon-Mitarbeiter, der selbst in Deutschland Asylbewerber befragt hat, flossen die Aussagen der Asylbewerber in die Zielerfassung für Bombardierungen ein.
Eine Sprecherin der Bundesregierung bestätigte NDR und SZ, dass knapp 40 Mitarbeiter der 1958 gegründeten „Hauptstelle für Befragungswesen“ Asylbewerber und Aussiedler befragten, die aus Krisenregionen kämen und aus Staaten, „denen besondere Bedeutung in außen- und sicherheitspolitischen Fragen zukommen“. Die Teilnahme an den Befragungen sei freiwillig. Über die Inhalte der Gespräche, die Weitergabe von Informationen an ausländische Dienste und über eine Verwendung der Daten für Militäroperationen wollte die Bundesregierung mit Verweis auf Geheimhaltungsvorschriften nicht Stellung nehmen.
Der Frankfurter Asylrechtsanwalt und Mitbegründer der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, Victor Pfaff, sieht in dieser Praxis der Geheimdienste einen „Missbrauch des Asylverfahrens und einen Missbrauch des Vertrauens, welches man von dem Antragsteller erwartet“. Die verdeckte Informationssammlung im Rahmen des Verfahrens verstößt nach Pfaffs Ansicht gegen deutsches und europäisches Asylrecht sowie gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Der innenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Michael Hartmann, sagte NDR und SZ, „es wäre keinen Moment hinnehmbar, wenn auch nur indirekt gezielte Tötungen ermöglicht würden durch eine Befragung deutscher Sicherheitsbehörden“. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele bezeichnete deutsche Stellen als strafrechtlich möglicherweise „mitschuldig“ an illegalen Tötungsaktionen der USA.
Der Norddeutsche Rundfunk und die Süddeutsche Zeitung berichten seit Freitag, 15. November, in der mehrteiligen Serie „Geheimer Krieg“ darüber, wie das US-Militär und amerikanische Geheimdienste den Kampf gegen den Terror von Deutschland aus steuern. Die Ergebnisse der Recherche werden als Artikel-Serie in der Süddeutschen Zeitung, in Fernsehbeiträgen des NDR im Ersten, im Radioprogramm NDR Info, in dem Buch „Geheimer Krieg“ sowie im Internet auf „geheimerkrieg.de“ veröffentlicht. Am 28. November sendet das Erste einen Schwerpunkt zu dem Thema, der mit einer monothematischen Ausgabe des Polit-Magazins „Panorama“ um 21. 45 Uhr beginnt.
NDR / Das Erste