12 Jahre nach den fürchterlichen Anschlägen des 11. September muss die Sicherheitsarchitektur grundlegend überholt werden. Erste Priorität muss sein, die Kontrolle der deutschen Dienste vom Kopf auf die Füße zu stellen. Die Geheimdienste gehören „an die enge Leine“ der Politik. So muss nicht nur ein Geheimdienstbeauftragter im Parlamentarischen Kontrollgremium verankert werden. Auch die exekutive Kontrolle der Dienste gehört verstärkt. Auch bedarf es einer gesetzlichen Klarstellung, die eine unzulässige institutionalisierte Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes mit ausländischen Diensten verhindert. Dies betrifft etwa gemeinsame Dateien.
Im Reflex auf die Ängste der Bevölkerung wurden 2001/2002 im parlamentarischen Hauruck-Verfahren so genannte Antiterrorgesetze am Fließband produziert.
Diese Bundesregierung hat diese Entwicklung gestoppt und erstmals eine Trendwende hin zur Stärkung der individuellen Freiheitsrechte geschafft. Die NSA-Enthüllungen bestätigen die Richtigkeit dieser Politik.
Datenschutz, das grundgesetzlich verankerte „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ wird in der Bundesregierung die notwendige Priorität eingeräumt – und nicht wie im Duktus der Vorgängerregierungen als Täterschutz denunziert.
Europa braucht einen einheitlichen Datenschutz, der gerade auch die US-amerikanischen Konzerne bindet, bei den Unmengen an Daten der europäischen Bürger liegen. Deswegen kämpfe ich seit Monaten für die europäische Datenschutzgrundverordnung. Die überfällige Transparenzoffensive der Internetgiganten ändert nichts an der Tatsache, dass Europa im Datenschutz Biss braucht. Das geht nur über eine einheitliche europäische Gesetzgebung, die von Stockholm bis Lissabon die Rechte des Users umfassend stärkt. Die US-amerikanischen Internetgiganten sollten endlich anfangen die Tradition des europäischen Datenschutzes in der Praxis ernst zu nehmen.
Zum Hintergrund:
Auf Grundlage der Empfehlungen der Regierungskommission der Überarbeitung der Sicherheitsarchitektur hat Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger Reformen in vier zentralen Bereichen vorgeschlagen:
1. Kontrolle
a) Stärkung der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste
Die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste muss substantiell gestärkt werden:
Die Mitglieder der G 10-Kommission sollten künftig unter Mitwirkung des Bundestags gewählt werden.
Den jeweiligen Kontrollgremien muss die Möglichkeit eröffnet werden, einen ständigen Sonderbeauftragten zu bestellen, dem ein vollständiges Akteneinsichtsrecht sowie die vollständige Vernehmungsmöglichkeit der Mitarbeiter der Dienste einzuräumen ist. Angehörigen der Dienste muss es jederzeit gestattet sein, sich in dienstlichen Angelegenheiten unmittelbar an die Mitglieder der jeweiligen Kontrollgremien zu wenden.
Die Zuständigkeit des PKGr sollte sich auch auf die Tätigkeit des BKA bei der Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel erstrecken.
Künftig muss die G10-Kommission bereits vor der Übermittlung von Daten an auswärtige Stellen unterrichtet werden und nicht erst nachträglich. Auf Anforderung sollten allen parlamentarischen Kontrollgremien in den Ländern und im Bund das volle Einsichtsrecht in alle Akten der Dienste gewährt werden.
Die Arbeitsfähigkeit der G 10-Kommission und des PKGr muss gewährleistet sein und haushälterisch abgesichert werden.
b) Gesetzliche Regelung des Einsatzes von V-Leuten
Der Einsatz von V-Leuten muss bundesgesetzlich geregelt werden: Das umfasst die qualitativen Voraussetzungen für die Anwerbung und Auswahl der V-Leute sowie die Kontrolle der Auswahl, der Führung und des Ertrags von V-Leuten.
Es muss sichergestellt werden, dass sich die Sicherheitsbehörden über die jeweils eingesetzten V-Leute wechselseitig informieren.
Die Führung von V-Leuten durch einen Mitarbeiter der führenden Behörde muss auf maximal fünf Jahre begrenzt werden. Bei Begehung von Straftaten durch V-Leute muss eine unverzügliche Anzeige an die Staatsanwaltschaft erfolgen.
2. Transparenz
a) Stärkung des Bundesdatenschutzbeauftragten
Die Kontroll- und Prüfungskompetenzen des Bundesbeauftragten für Datenschutz sollten ausgeweitet werden. Der Datenschutz muss in ein System institutioneller checks & balances eingebettet werden: Daten, die von Bundesbehörden verwendet werden, müssen der Kontrolle durch den BfDI zugänglich sein, sofern der Gesetzgeber das nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat. Dies sollte auch für Daten gelten, die von der G 10-Kommission kontrolliert werden. Soweit Bundesbehörden informations-technische Systeme infiltrieren, muss der Quell-Code der genutzten Software dem BfDI zur Kontrolle vorliegen.
Die Bundesregierung soll verpflichtet werden, jeden datenschutzrelevanten Gesetzentwurf mit einer Stellungnahme des BfDI in das Parlament einzubringen.
b) Ausweitung der Benachrichtigungspflichten
Die Pflichten zur Benachrichtigung der von heimlichen Maßnahmen Betroffenen müssen ausgeweitet werden: Eine Benachrichtigung muss spätestens dann erfolgen, sobald das ohne Gefährdung von bedeutenden Verfassungsgütern möglich ist.
Die Verschiebung der Benachrichtigung über fünf Jahre hinaus darf nur von einem Beschwerdegericht bzw. von der G 10-Kommission mit 2/3 Mehrheit beschlossen werden. Die endgültige Verweigerung einer Benachrichtigung darf nur unter den engsten sachlichen und formellen Voraussetzungen erfolgen: Sie darf frühestens nach zehn Jahren durch eine Kammerentscheidung bzw. einstimmige Entscheidung der G 10-Kommission unter gleichzeitiger Löschung der Daten erfolgen.
3. Begrenzung der Befugnisse von Sicherheitsbehörden
a) Gesetzliche Grundlage für die gemeinsamen Zentren
Für die Arbeit der gemeinsamen Zentren muss eine eigenständige gesetzliche Grundlage geschaffen werden, die die Zusammenarbeit regelt und begrenzt:
Die Zusammenarbeit hat in den gemeinsamen Zentren eine Verfestigung, ein Ausmaß und eine Bedeutung erlangt, die eine gesetzliche Regelung hinsichtlich der Errichtung, des Informationsaustauschs und der Informationsverarbeitung in den Abwehrzentren erforderlich macht. Dies insbesondere vor dem Gesichtspunkt, dass in den gemeinsamen Zentren bund- und länderübergreifend Ermittlungsbehörden, Polizei und Nachrichtendienste zusammenarbeiten, was in Anbetracht des verfassungsrechtlichen Trennungsgebotes problematisch ist.
Darüber hinaus ist die behördenübergreifende Analysetätigkeit auf Bereiche zu beschränken, von denen schwerste Gefährdungen für bedeutende Verfassungsgüter drohen. Eine pauschale Ausdehnung auf alle Bereiche des politischen Extremismus begegnet aus verfassungsrechtlichen Gründen Bedenken.
Schließlich muss die gesetzliche Grundlage auch spezifische Kontrollmechanismen für die Einhaltung der Regelungen zur Informationsweitergabe enthalten.
b) Prüfung geheimdienstlicher Befugnisse
Die Befugnisse der Nachrichtendienste müssen im Einzelnen geprüft werden.
Das Bundesverfassungsschutzgesetz muss auf systematische Unstimmigkeiten überprüft werden. Hinsichtlich einiger nachrichtendienstlicher Befugnisse ist es verfassungsrechtlich geboten, das Vorliegen einer Gefahr als Eingriffsvoraussetzung gesetzlich festzulegen.
Bei den Vorfeldbefugnissen des BKA-Gesetzes ist fraglich, ob und inwieweit das BKA für eine effektive Terrorismusabwehr Befugnisse zu verdeckten Ermittlungsmaßnahmen benötigt, die bereits im Vorfeld einer konkreten Gefahr ansetzen.
c) Stärkung des Kernbereichsschutzes
Der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensführung muss gestärkt werden. Weder eine Telekommunikationsüberwachung noch ein sonstiger Eingriff in ein in-formationstechnisches System darf zulässig sein, wenn damit erkennbar und zielgerichtet im Rahmen eines besonderen Vertrauensverhältnisses der Kernbereich berührt werden würde.
Auf Vorschlag des BMJ wurde die Rechtsstellung von Berufsgeheimnisträgern durch eine Verbesserung des Schutzes nach § 160a StPO gestärkt. Dieser Standard muss Eingang in die Gesetze über die Polizei- und Nachrichtendienste des Bundes finden.
d) Stärkung des Richtervorbehalts
Gravierende heimliche Grundrechtseingriffe bedürfen der Kammerentscheidung eines Landgerichts. Maßnahmen wie die heimliche Wohnraumüberwachung oder die Online-Durchsuchung dürfen nicht allein von einem Einzelrichter angeordnet werden.
4. Entflechtung
a) MAD
Die Aufgaben des Militärischen Abschirmdienstes sollen künftig Bundeswehr und Verfassungsschutz wahrnehmen.
b) Bessere Trennung von Polizei und Geheimdiensten
Dem Trennungsgebot von Nachrichtendiensten und Polizei muss wieder stärker zur Geltung verholfen werden. Überschneidungen der Aufgabenbereiche der Nachrichtendienste und der Polizei sollten abgebaut werden. Dafür sollte die nachrichten-dienstliche Zuständigkeit für die Aufklärung des gewaltbereiten Terrorismus eingeschränkt werden.
Unbefristete gemeinsame Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten, die sich sachlich auf einen ganzen Phänomenbereich erstrecken, kollidieren mit dem informationellen Trennungsgebot. Gemeinsame Dateien müssen auf konkrete heraus-gehobene Projektziele beschränkt werden. Die Befristung und Löschung der dort gespeicherten Daten muss geregelt werden.
c) Eindämmung der Vorfeldstrafbarkeit
Durch immer weiter ins Vorfeld verlagerte Strafbarkeit werden Mittel des Strafrechts zur Wahrnehmung klassischer Aufgaben der Gefahrenabwehr benutzt. Die 2009 neu eingeführten §§ 89a, 89b und 91 StGB stellen äußerlich neutrale und nicht besonders schadensträchtige Vorfeldhandlungen unter Strafe. Sie bedienen sich der Mittel des Strafrechts, um klassische Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrzunehmen. Hier muss ernsthaft geprüft werden, wie die strukturelle Gemengelage von präventivpolizeilicher und strafrechtlicher Terrorismusbekämpfung entflochten werden kann.
d) Stärkung des GBA
Um eine effektivere Strafverfolgung im Staatsschutzbereich zu gewährleisten, ist die Stellung des GBA zu stärken. Dies sollte vor allem durch Verbesserung der Informationspflichten von Landesstaatsanwälten und des BKA erfolgen, um dem GBA eine möglichst frühzeitige Prüfung der eigenen Zuständigkeit zu ermöglichen.
Hierzu habe ich schon vor längerer Zeit dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages entsprechende Vorschläge übermittelt.
Neben verbesserten Informationspflichten soll die Zuständigkeit des GBA maßvoll erweitert werden. § 120 Abs. 2 Nr. 3 GVG stellt hohe Anforderungen an die Zuständigkeit des GBA, wobei noch Spielraum hinsichtlich einer Erweiterung besteht. Dieser soll im Interesse einer im Staatsschutzbereich wünschenswerten einheitlichen Ermittlungsführung beim GBA genutzt werden.
e) Umsetzung des BVerfG-Urteils zur Anti-Terror-Datei
Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Anti-Terror-Datei sind – auch hinsichtlich der sich daraus ergebenden Probleme bei Übermittlungsvorschriften – unverzüglich umzusetzen. Die Vorgaben sind auch auf die strukturell vergleichbare Rechtsextremismus-Datei und auf die Projektdateien zu übertragen.
Bundesministerium der Justiz