Wien – Gehirne in Miniaturgröße hat das Institut für Molekulare Biotechnologie http://de.imba.oeaw.ac.at im Labor hergestellt. Das könnte das Verständnis neurologischer Erkrankungen verändern. Die erbsengroßen Strukturen erreichten den gleichen Entwicklungstand wie ein neun Wochen alter Fötus. Sie sind jedoch nicht in der Lage, Gedanken zu formulieren. Die in Nature veröffentlichte Studie wurde bereits eingesetzt, um neue Einblicke in seltene Krankheiten zu erhalten.
Nach acht Wochen vier Millimeter groß
Das menschliche Gehirn gilt als eine der komplexesten Strukturen des Universums. Jetzt wurden die frühesten Stadien der Entwicklung dieses Organs im Labor nachgebildet. Dafür wurden weder embryonale Stammzellen noch Hautzellen von Erwachsenen eingesetzt. Konkret wurde jener Teil des Embryos hergestellt, der sich in das Gehirn und das Rückenmark entwickelt, also das Neuroektoderm. Es wurde in winzige Tropfen eines Gels platziert, um dem Gewebe für das Wachstum ein Gerüst zu geben. In einem nächsten Schritt wurde es in einen sich drehenden Bioreaktor gegeben, in eine Lösung aus Nährstoffen und Sauerstoff.
Es gelang den Zellen zu wachsen und sich selbst in verschiedene Regionen des Gehirns zu organisieren. Dazu gehörten die Großhirnrinde, die Retina und in seltenen Fällen sogar ein früher Hippokampus, der bei einem voll entwickelten Gehirn eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung des Gedächtnisses gespielt hätte. Laut den Forschern entspricht diese einem Gehirn sehr ähnliche, aber nicht perfekte Struktur, dem Gehirn eines Fötus im Alter von neun Wochen. Die maximale Größe der Struktur lag nach zwei Monaten bei rund vier Millimetern.
Keine Blutversorgung, nur Gehirnmasse
Die Minigehirne überlebten fast ein Jahr, wuchsen jedoch nicht mehr weiter. Es gibt keine Blutversorgung, sondern nur Gehirnmasse. Das bedeutet auch, dass die Nährstoffe und der Sauerstoff nicht in das Innere der Struktur gelangen können. Laut Jürgen Knoblich, einem der Autoren der Studie, sind diese organoiden Strukturen ideal für die Erstellung von Modellen der Entwicklung des Gehirns. „Irgendwann würden wir uns gerne auch mit häufigeren Erkrankungen wie Schizophrenie oder Autismus beschäftigen. Sie werden erst bei Erwachsenen sichtbar. Es wurde jedoch bereits nachgewiesen, dass die zugrundeliegenden Defekte bei der Entwicklung des Gehirns eintreten.“
Das Verfahren könnte auch dazu eingesetzt werden, Mäuse und Ratten in der Erforschung von Medikamenten zu ersetzen. Neue Behandlungsmöglichkeiten könnten direkt am Gewebe des Gehirns getestet werden. Wissenschaftlern ist es bereits in der Vergangenheit gelungen, Gehirnzellen im Labor herzustellen. Die aktuellen Studienergebnisse reichen jedoch am nächsten an die wirkliche Nachbildung eines menschlichen Gehirns heran.
pressetext.redaktionAnsprechpartner: Michaela Monschein
Querschnitt eines vollständigen cerebralen Organoids (Foto: de.imba.oeaw.ac.at)