Journalist: Objektivität oft Wunschtraum (Foto: pixelio.de, S. Hofschlaeger)

New York Times rüttelt an heiliger Objektivität – Ethik-Instanz bevorzugt in einigen Fällen offengelegte Abhängigkeiten

New York – Margaret Sullivan, die bei der New York Times (NYT) die Schnittstelle zur Öffentlichkeit in Belangen von Ethik und journalistischer Qualität besetzt, sorgt mit der Aussage für Aufregung, dass das Strebern nach absoluter Objektivität als journalistischer Grundsatz vielleicht nicht mehr in allen Fällen zeitgemäß ist, wie PaidContent berichtet. Der Grund für die Aussage ist ein Artikel mit Interview eines NYT-Journalisten über einen ehemaligen Informanten aus CIA-Kreisen, dem für die Weitergabe von geheimen Informationen jetzt eine Haftstrafe droht. Der Reporter hat die Geschichte geschrieben, obwohl er damals einer der Abnehmer der geheimen Infos war.Journalist: Objektivität oft Wunschtraum (Foto: pixelio.de, S. Hofschlaeger)

Transparenz statt Objektivität

 

Andere Medien haben die NYT kritisiert und angemerkt, dass ein anderer Journalist die Geschichte über den Informanten schreiben hätte müssen. Der Miami Herald beispielsweise sprach von einem „augenscheinlichen Interessenkonflikt“. Sullivan hält dagegen, dass kein anderer Reporter in der Lage gewesen wäre, die Geschichte so detailreich zu erzählen. Die Form, in welcher der Bericht erschienen sei, habe den Lesern Einblicke in die Funktionsweise von Journalismus und Politik gebracht. Schon in einem früheren Artikel hat Sllivan argumentiert, dass der Versuch absolut objektiv zu sein für Journalisten hinderlich sein kann.

Das standpunktlose Schreiben könne in manchen Fällen zu nutzlosen „er sagt/sie sagt“-Artikeln führen. Das führe unter Umständen zu einem Vertrauensverlust bei den Lesern. Das transparente Beziehen eines Standpunkts, bei dem der Journalist seine Sichtweise offenlegt und genau begründet, könne in manchen Fällen eine vertrauenswürdigere Herangehensweise darstellen. Die radikale Formulierung „Transparenz ist die neue Objektivität“, die am Berkman Center for Internet and Society“ geprägt wurde, will Sullivan so aber dennoch nicht unterschreiben.

Mythos Unabhängigkeit

„Dass Leser die Beweggründe, Arbeitsweise und Persönlichkeit eines Journalisten kennenlernen, hat aber Vorteile“, schreibt Sullivan. Das bedeute aber nicht, dass Journalisten in öffentlichen Debatten Partei ergreifen sollen. „Die Times sollte jene Regeln, die es Journalisten verbieten offensichtlich politisch Position zu beziehen, weiterhin mit Nachdruck durchsetzen. Das betrifft etwa die Unterstützung von Kampagnen aller Art, die Teilnahme an Kundgebungen oder die Unterstützung von Kandidaten“, so die NYT-Mitarbeiterin.

Werkzeuge wie soziale Medien, die auch im Journalismus längst zum Alltag gehören, machen die Einhaltung solcher Regeln allerdings schwierig. Vor kurzem hat die NYT einer Korrespondentin eine Social-Media-Anstandsdame zur Seite gestellt (pressetext berichtete: http://pte.com/news/20121130028 ), weil sie ihre Meinung über Twitter kundgetan hatte. Da absolute Objektivität ohnehin nicht erreichbar ist, suchen viele Journalisten, die längst nicht mehr anonym sind, sondern im Netz als Persönlichkeiten aufscheinen und mit ihren Fans kommunizieren, nach einem Ausweg.

Alex Howard von O’Reilly Media etwa schlägt vor, künftig einen wissenschaftlichen Ansatz zu verfolgen, bei dem Journalisten Hypothesen aufstellen und diese auch in ihren Geschichten mit Beweisen untermauern. In einem Punkt sind sich aber alle einig: Werte wie Fairness und Genauigkeit in der Berichterstattung müssen auch in Zukunft hochgehalten werden, egal wie der Journalismus aussieht.

pressetext.redaktion
Ansprechpartner: Markus Keßler
Journalist: Objektivität oft Wunschtraum (Foto: pixelio.de, S. Hofschlaeger)