Frankfurt am Main – Samenausbreitende Vögel und Bestäuberinsekten in den Tropen sind entgegen bisheriger Lehrmeinungen weit weniger spezialisiert. Ein internationales Forscherteam, dem auch zwei Wissenschaftler des Biodiversität und Klima Forschungszentrums (BiK-F) http://bik-f.de und der Universität Göttingen angehören, berichten in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Current Biology, dass manche Tierarten von weit mehr Pflanzenarten fressen als bisher angenommen.
„Ein Beispiel ist etwa der Andenfelsenhahn, der Früchte von mehr als 100 verschiedenen Pflanzenarten frisst und deren Samen verbreitet“, erklärt Studienleitautor Matthias Schleuning vom BiK-F im pressetext-Interview. „Damit befindet er sich in guter Gesellschaft, denn auch andere samenausbreitende Vögel und bestäubende Insekten sind in den Tropen weniger auf einzelne Pflanzen spezialisiert als ihre Gegenparts in den gemäßigten Breiten.“
Einblicke in komplexe Ökosysteme
Das Forschungsergebnis ist einigermaßen überraschend, denn seit Darwin war man davon ausgegangen, dass sich in den Tropen viele samenausbreitende Vögel und bestäubende Insekten auf einen kleinen Teil der vorhandenen Pflanzenarten spezialisiert haben“, so Schleuning. Diese Ko-Evolution gegenseitiger Spezialisierung war bislang eine wichtige Erklärung dafür, dass in den Tropen mehr Arten leben als in den gemäßigten Breiten.
„Die aktuellen Studienergebnisse zeigen auch, dass Spezialisierung zwischen Tier- und Pflanzenarten eher eine Folge der aktuell vorhandenen Ressourcen ist als das Ergebnis langfristiger Anpassungsprozesse“, so der Experte. Diese Annahme werde durch einen weiteren Befund der Studie untermauert: Gegenwärtige Klimabedingungen und die Pflanzenvielfalt in einem Ökosystem haben mehr Einfluss auf die Wechselbeziehungen zwischen Tieren und Pflanzen als frühere Klimaschwankungen.
Viele Vorteile der Generalisten
„Eine einfache Erklärung für die Generalisierung in den Tropen könnte darin liegen, dass die große tropische Pflanzenvielfalt für die Tiere viele verschiedene Ressourcen in geringer Dichte bietet“, meint Studienautor Jochen Fründ von der Universität Göttingen. „Wer nicht besonders wählerisch ist, hat Vorteile, denn dann ist der Weg zur nächsten Nahrungsquelle nicht so weit und die Nahrungsaufnahme wird effizienter.“
Vorteile hat die Generalisierung in den Tropen auch für die Pflanzen, denn sie sind besser gegen das Aussterben gerüstet, wenn sie von mehreren Tierarten angeflogen werden. „Daher vermuten wir, dass bestimmte Ökosystemfunktionen wie Bestäubung und Samenausbreitung in den Tropen weniger anfällig gegen Störungen sind als in den gemäßigten Breiten“, meint Schleuning. Das zeige sich etwa anhand des aktuellen Bienensterbens in den USA, das zu hohen Kosten in der Landwirtschaft führt, da alternative Bestäuber fehlen.
Entwarnung zur rücksichtslosen Ausbeutung und Vernichtung der tropischen Wälder gebe es allerdings nicht, betont der Experte. „Auch wenn die Bestäuber-Funktionen von mehreren Arten erfüllt werden können, wirkt sich eine grobe Störung im Beziehungsgefüge zwischen Tieren und Pflanzen massiv auf ein Ökosystem und seine Dienstleistungen aus.“
pressetext.redaktionAnsprechpartner: Wolfgang Weitlaner
Andenfelsenhahn: frisst viele verschiedene Früchte (Foto: M. Dehling)