Religionen: zuweilen fortschrittsfeindlich (Foto: pixelio.de, geralt)

Orthodoxe religiöse Strömungen verdammen Web – Angriff auf Deutungshoheit führt zu totalitären Abwehrreflexen

New York – Konservative Strömungen innerhalb der großen monotheistischen Religionen sehen technologischen Fortschritt oft als Bedrohung ihrer althergebrachten Wertesysteme an. Momentan fühlen sich einige Splittergruppen vor allem durch das Internet bedroht. Den neuesten Angriff auf die technologische Vernetzung planen konservative jüdische Geistliche in New York. Am 20. Mai soll in einer Massenkundgebung im Stadtteil Queens gegen „den bösen Einfluss des Internets und moderner Elektronik auf die Jugend“ mobil gemacht werden, berichten die Jewish Daily News.Religionen: zuweilen fortschrittsfeindlich (Foto: pixelio.de, geralt)

„Totalitärer Ansatz“

 

„Monotheistische Religionen glauben, dass Gott das Wort ist. Im Internet kann das Wort beliebig verändert werden. Medien konstruieren Realität, was dem totalitären Anspruch der Ein-Gott-Religionen nach einer Wahrheit, einer Welt und einem Gott zuwiderläuft. Das Netz und Medien im Allgemeinen hinterfragen alles und bewegen sich deshalb immer an der Grenze zur Blasphemie. Schon der Buchdruck löste Kritik aus“, erklärt Thomas Bauer vom Publizistik-Institut der Universität Wien http://univie.ac.at/Publizistik im Gespräch mit pressetext. Diese Angst vor der Infragestellung göttlicher Autorität führt teilweise zu drastische Reaktionen.

Die in New York geplante Kundgebung soll 1,5 Mio. Dollar verschlingen. „Es wird eine Veranstaltung von unerreichtem Ausmaß für das US-amerikanische orthodoxe Judentum“, sagt ein Veranstalter. Geplant sind Gebete und die Informierung der Massen über die „Gefahr für die Heiligkeit israelischer Haushalte durch Technologie“. Organisiert wird die Kundgebung von einer Gruppe Rabbiner, die sich „the Great Men of Israel Shlita“ nennen. Die Abneigung gegen moderne Technik existiert in extrem konservativen jüdischen Gemeinschaften auf der ganzen Welt.

Schlechte Lösungen

„Monotheistische Religionen tendieren zu in sich starr organisierten Gesellschaften. Alles was Unordnung bringt, wird ausgeschlossen. Die naive Vorstellung, dass Medien Einfluss auf Menschen ausüben, verlagert die Verantwortung auf die Technologie. Das Fernhalten der Kinder von der Technik ist in unserer mediatisierten Gesellschaft ein repressiver pädagogischer Ansatz. Die Schaffung eines Umfeldes, in dem Kinder sich die nötige Kompetenz erwerben können, wäre zielführender“, so Bauer.

Andere Religionen gehen in ihrer Abneigung gegen die Moderne sogar noch einen Schritt weiter. Die Amischen leben teilweise noch wie ihre Vorfahren und verzichten komplett auf zeitgemäße Technologie. „Das ist nur in gesellschaftlichen Inseln möglich. Diese extreme Form der Fortschrittsverweigerung richtet sich gegen die Aufklärung und die Möglichkeit des Menschen sich weiterzuentwickeln. Die Menschen werden durch Schuldgefühle und psychologische Repression in einem traditionellen Wertesystem festgehalten“, sagt Bauer.

In Krisenzeiten erfährt religiöser Fundamentalismus erfahrungsgemäß verstärkt Zulauf. „Hierarchische Modelle entlasten den Einzelnen von komplexen Entscheidungen“, erklärt Bauer. Momentan scheint die Macht religiöser Institutionen trotz unsicherer Zukunft aber abzunehmen. „Die institutionelle Macht der Religionen geht zurück. Die moralische Macht, die tief in der Gesellschaft verankert ist, sucht sich deshalb neue Ventile. Das führt zu einem Anstieg von Spiritualität und esoterischen Strömungen“, so Bauer.

pressetext.redaktion
Ansprechpartner: Markus Keßler
Religionen: zuweilen fortschrittsfeindlich (Foto: pixelio.de, geralt)