Marco Polo: Aufschneider, aber kein Lügner (Foto: Wikimedia)

Kein Lügner: Marco Polo war wirklich in China – Sinologe: Berichte entsprechen Schriften aus Reich der Mitte

Tübingen – Marco Polo war kein Schwindler, sondern bereiste tatsächlich China und berichtete aus erster Hand über seine Erlebnisse und Recherchen. Eine Lanze für den berühmtesten Reisenden des Mittelalters, dessen Schilderungen bis heute immer wieder Zweifler finden, bricht der Tübinger Sinologe Hans Ulrich Vogel. „Marco Polo war ein Übertreiber, aber kein Schwindler. Die Datenlage spricht eindeutig dafür, dass er selbst in China war“, erklärt der Experte im pressetext-Interview.Marco Polo: Aufschneider, aber kein Lügner (Foto: Wikimedia)

Schon zu Lebzeiten bezweifelt

 

Seit dem 18. Jahrhundert bis heute behaupten einzelne Historiker immer wieder medienwirksam, Marco Polo (1254-1324) sei statt nach China bloß ans Schwarze Meer, Konstantinopel oder bis ins Reich der Ilkhane in Persien gelangt und hätte seine Informationen dort von Kaufleuten oder persischen Handbüchern bekommen. „Schon zu Lebzeiten glaubte man Polo nicht, waren doch seine Schilderungen zu unvorstellbar. In Anspielung an die von ihm überlieferten Zahlen wurde er immer wieder als ‚Il Milione‘ bezeichnet“, sagt Vogel.

Skeptiker an Polos Chinareise stützen sich auf wenige Probleme, die jedoch erklärbar sind, so der Tübinger Forscher. Leicht zu widerlegen ist etwa das Argument, der Reiselustige aus Venedig habe nie von der chinesischen Mauer berichtet: Die damaligen Lehmwälle waren zerfallen und besaßen im mongolischen Weltreich kaum Bedeutung, während die heutige große Mauer erst später in der Ming-Dynastie (1368-1644) entstand.

Berichtdetails geben Polo recht

Ein anderes Argument der Zweifler ist, dass keine chinesische Quelle Marco, seinen Vater und seinen Onkel erwähnt. Doch auch andere teilen dieses Schicksal – etwa der päpstliche Gesandte Giovanni de Marignolli, der China im frühen 14. Jahrhundert mit 32 Begleitern bereiste. „Solange chinesische Aufzeichnungen fehlen, wird immer Raum für Spekulationen bleiben. Eindeutig für Marco Polo spricht aber die erdrückende Mehrzahl von präzisen Informationen, die sehr genau mit den chinesischen Quellen übereinstimmen“, sagt Vogel.

Eine Vielzahl von bisher unbekannten Beispielen dafür führt der Autor in seinem Buch auf – speziell aus Polos Schilderungen der Geldwirtschaft, des Salzhandels, der Geografie und der Finanzeinkünfte Chinas. „Polos Beschreibungen zu diesen Fachgebieten sind derart komplex, dass sie bisher in der Literatur nie zur Kenntnis genommen wurden. Da diese Inhalte in der chinesischen Literatur erst später verschriftlicht wurden, kann Marco Polo sie nur aus eigener Einsicht in administrative Prozesse erfahren haben.“

Neuer Horizont

Die Bedeutung von Marco Polo könne man kaum überschätzen, betont Vogel, sei doch durch ihn der ostasiatische Raum erstmals in den Horizont Europas gekommen. „Die Rezeption seiner Beschreibungen war gewaltig: 140 Handschriften unterschiedlicher Herkunft beschäftigen sich mit ihnen.“ Nach Polo wurde es in dieser Beziehung still: Erst nach einer jahrhundertelangen Pause kamen mit den Portugiesen und jesuitischen Missionaren wieder Europäer nach China – und belebten Marco Polos Rezension neu.

pressetext.redaktion
Ansprechpartner: Johannes Pernsteiner
Marco Polo: Aufschneider, aber kein Lügner (Foto: Wikimedia)