Die chinesische Regierung hat anscheinend genug von den zunehmend frecher werdenden Kommentaren in den nationalen sozialen Netzwerken. Ab dem 16. März sind deshalb keine anonymen Accounts mehr möglich. Online-Profile mit großer Gefolgschaft müssen künftig zudem von den Betreibern der Medien inhaltlich geprüft werden. Die automatische Löschung von Postings bleibt ebenfalls in Kraft. Trotzdem finden kreative Chinesen immer wieder Wege, der Online-Zensur ein Schnippchen zu schlagen, berichtet die New York Times. Vor allem das Ersetzen gefährlicher Begriffe durch ähnlich klingende Wörter ist sehr beliebt.
Kulturtechnik Wortspiel
„Schon vor 20 oder 30 Jahren haben findige Journalisten in Printmedien Wege gefunden, Kritik an der Regierung zu äußern, indem sie Codewörter verwendet haben. Alle wussten, was gemeint war, trotzdem waren die Aussagen vage genug, um eine Verhaftung zu vermeiden. Die Chinesen sind sehr geübt in der Kunst der versteckten Kritik. Die Sprache ist gut geeignet für solche Wortspiele“, sagt Barbara Trionfi vom internationalen Presseinstitut (IPI) http://www.freemedia.at gegenüber pressetext.
Jedes sechste Posting zensuriert
Das Verstecken von Kritik wird künftig wieder größere Bedeutung erlangen. Kurzzeitig hat es zwar so ausgesehen, als ob die sozialen Medien eine neue Ära der freien Meinungsäußerung einleiten, inzwischen hat die Regierung aber Gegenmaßnahmen gestartet. Laut einer Studie der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, für die 70 Mio. Postings analysiert wurden, werden inzwischen mehr als 16 Prozent der Mitteilungen in Chinas Social Media gelöscht (siehe: http://bit.ly/JNAyS ). Beinahe 300 verschiedene Begriffe triggern der Untersuchung zufolge den automatischen Content Filter der Regierung.
Durch die Einführung des Klarnamenzwangs und die Verpflichtung der Internet Service Provider als weitere Zensurinstanz wird die Redefreiheit im Internet zusätzlich eingeschränkt. Eine kürzlich beschlossene Strafrechtsreform gibt dem Staat zusätzlich neue Möglichkeiten, Regimekritiker zum Schweigen zu bringen. So dürfen Abweichler künftig bis zu sechs Monate lang an unbekannten Orten festgehalten werden.
Fa Kè Yóu
„Die harten Strafen und die Instrumentalisierung der Provider sind psychologische Maßnahmen. Viele kritische Stimmen werden zwar verstummen, aber hundertprozentige Effektivität ist bei fast 500 Mio. Internetnutzern nicht möglich. Einzelne werden weiterhin Wege finden, Kritik zu äußern. Der Kampf geht weiter“, sagt Trionfi. Schon jetzt bilden sich im Netz laufend neue Begriffe, die an der Zensur vorbei Kritik ermöglichen. Ein beliebtes Beispiel ist das „Gras Schlamm Pferd“ (Cao Ni Ma). Der Begriff klingt in Standard-Chinesisch sehr ähnlich wie eine derbe Beschimpfung und wird deshalb synonym verwendet.
Für Europäer eher verständlich ist die Phrase Fa Kè Yóu. Wörtlich übersetzt handelt es sich dabei um einen französisch-kroatischen Tintenfisch. Verwendet wird der Begriff aber wie die aus dem Englischen bekannte Beschimpfung, die ähnlich klingt und aussieht. Insgesamt hat sich der Grad der erlaubten Meinungsäußerung in der Volksrepublik durch die Einführung des Internets vergrößert, auch wenn aktuelle Rückschläge Zweifel aufkommen lassen. „Es gibt eine generelle Öffnung in China, auch was die Meinungs- und Redefreiheit angeht. Die Bewegung ist zwar sehr langsam, aber wahrnehmbar“, glaubt Trionfi.
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Repression: nimmt in China zu (Foto: pixelio.de, sokaeiko)