KIEL. Die liberalen stellvertretenden Ministerpräsidenten haben in der vergangen Woche in Berlin über den steigenden Bedarf an Fachkräften in Deutschland beraten. Nach Auffassung der Beteiligten sind Anstrengungen auf mehreren Gebieten notwendig, um den zukünftigen Fachkräftebedarf und damit den Wohlstand in Deutschland zu sichern.
Arbeitsminister Dr. Heiner Garg betonte dazu: „Wir hatten in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr die Trendumkehr auf dem Arbeitsmarkt: erstmals war die Gruppe der potentiellen Auszubildenden der 15 bis unter 20-jährigen kleiner als die Altersgruppe der 60 bis unter 65-jährigen, die den Arbeitsmarkt potenziell verlassen. Das verdeutlicht: Die Sicherung des Fachkräftebedarfs wird für alle Akteure des Arbeitsmarktes zu der zentralen Herausforderung. In Schleswig-Holstein arbeitet das Bündnis für Fachkräfte gemeinsam daran, diese Aufgabe zu bewältigen. Dabei kommt es auch darauf an, bisher ungenutzte Potentiale zu heben. Positive Beispiele im Land sind unter anderem das in diesem Jahr gestartete Projekt „Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege“ oder auch das Modellprojekt „Übergang Schule & Beruf“.
In den nächsten Jahren wird nach Experteneinschätzung die Nachwuchslücke am Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein demografiebedingt größer. In zehn Jahren beträgt die Differenz zwischen Ab- und Zugängen voraussichtlich rund 67.000 Personen, in 20 Jahren rund 250.000. Die Landesregierung begreift das Thema Fachkräftebedarf als Gemeinschaftsaufgabe. Vor diesem Hintergrund hatte sie auf Initiative des Arbeitsministeriums im Frühjahr diesen Jahres gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit, dem Unternehmensverband Nord, den Industrie- und Handwerkskammern, den Gewerkschaften und anderen Partnern das Bündnis für Fachkräfte geschlossen.
Die in Berlin beschlossenen Positionen der liberalen stellvertretenden Ministerpräsidenten zur Fachkräfte-Initiative finden Sie im Anhang.
Positionen der liberalen Wirtschaftsminister und liberalen stellvertretenden Ministerpräsidenten aus Bayern, Hessen, Niedersachen, Saarland, Sachsen und Schleswig-Holstein:
Die demographische Entwicklung Deutschlands führt unweigerlich zu einer spürbaren Verringerung von Personen im erwerbsfähigen Alter. Nach Schätzungen wird die Erwerbsbevölkerung bis zum Jahr 2060 um 27% zurückgehen. Fehlende Fachkräfte verursachen volkswirtschaftliche Wachstums- und Wohlstandsverluste. Auf die sich abzeichnenden Folgen des in Teilen Deutschlands schon jetzt deutlich spürbaren Bevölkerungsrückgangs muss die Politik mit einer umfassenden und breit angelegten Strategie zur Sicherung des Fachkräftebedarfs antworten. Unabdingbar ist, das Potential der in Deutschland lebenden erwerbsfähigen Bürger erfolgreicher als bisher zu erschließen. Schulische und Berufliche Bildung gehören ebenso dazu wie Integration und eine bessere Vereinbarung von Familie und Beruf sowie die verbesserte berufliche Einbindung älterer Arbeitnehmer. Das allein wird aber nicht reichen: Erforderlich ist auch eine gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften durch eine kluge Zuwanderungspolitik nach klaren und transparenten Kriterien entsprechend der Bedürfnisse des deutschen Arbeitsmarktes.
1. Potentiale erkennen: Schulische und Berufliche Bildung
Die Integration Beschäftigungsloser in den ersten Arbeitsmarkt ist von zentraler Bedeutung. Für Ungelernte und Geringqualifizierte gilt es, deren Beschäftigungsfähigkeit zügig herzustellen bzw. zu verbessern. Dazu müssen die arbeitsmarktpolitischen Instrumente überprüft und überarbeitet werden sowie eng am und auf den ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet werden. Geeignete Nachqualifizierungsprogramme sind systematisch zu entwickeln. Branchenspezifischen Ansätzen kommt eine besondere Bedeutung zu.
Ziel jeder schulischen Ausbildung muss sein, junge Menschen auf den direkten Übergang in das Arbeitsleben vorzubereiten und den Übergangsbereich so weit als möglich zurückzuführen. Die frühzeitige Berufsorientierung muss bereits in der allgemeinbildenden Schule deutlich intensiviert und praxisnah gestaltet werden. Eine verstärkte Zusammenarbeit von Schulen, Unternehmen und Wirtschaftsorganisationen ist hierbei unabdingbar. Betriebliche Praktika, Unternehmenspaten sowie spezifische Unterstützungsangebote können helfen, Schulabbrüche und eine mangelhafte Ausbildungsreife zu verhindern. Der Hauptschulabschluss muss so weiterentwickelt werden, dass er wieder von Wirtschaft, Schülern und Eltern als ein vollwertiger Abschluss betrachtet wird.
Die Bildungspolitik muss das Duale System stärken und seine Attraktivität erhöhen. Schülern und Eltern sollten Berufe mit Zukunft aufgezeigt werden. Hierbei gilt es insbesondere das Interesse von Mädchen und jungen Frauen an technisch orientierten Berufen zu steigern.
Ein durchlässiges Bildungssystem bedeutet mehr Chancen für alle: Spätstarter können vorhandene Potenziale entwickeln und leistungsstarke Jugendliche können sich durch duale Studienangebote doppelt qualifizieren. Modular aufgebaute Qualifizierungsmöglichkeiten gewährleisten das lebenslange Lernen. Weiterbildung muss auch für Ältere, Geringqualifizierte, Teilzeitkräfte oder Beschäftigte nach der Familienpause selbstverständlich werden. Sie muss so organisiert werden, dass sie auch für kleinere und mittlere Unternehmen und deren Beschäftigte attraktiv ist. Die Transparenz der Weiterbildungsangebote und eine qualifizierte Weiterbildungsberatung sind zu stärken.
Um einen effizienten Mitteleinsatz zu gewährleisten, ist eine systematischere und partnerschaftliche Abstimmung des Fördergeschehens von Bund und Ländern dringend geboten. So können nachhaltige und regional passgenaue Maßnahmestrukturen geschaffen und Parallelangebote vermieden werden. Ideal wären Vereinbarungen von Rahmenzielen mit dem Bund und eine Gewährung der Fördermittel nach Landesbedarf.
2. Erweiterung des Erwerbspersonenpotentials
Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist Voraussetzung, um insbesondere die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erhöhen und bisherige Teilzeitarbeitsverhältnisse in Vollzeit zu überführen. Dazu gehören der bedarfsgerechte Ausbau qualitativ hochwertiger Betreuungsangebote mit flexiblen Öffnungszeiten oder auch die Nutzung der Teilzeitausbildung. Ergänzend müssen familienfreundliche Maßnahmen für Männer und Frauen in Betrieben hinzukommen, wie z.B. flexible Arbeitszeitmodelle auch für Führungskräfte.
Für die älteren Arbeitnehmer müssen die Rahmenbedingungen in einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Politik und Unternehmen verbessert werden: Ziel muss eine möglichst lange Teilhabe am Erwerbsleben sein. Ein flexibler Eintritt in die Rente ab dem 60. Lebensjahr bei vollständigem Wegfall aller Zuverdienstgrenzen ist dazu eine Grundvoraussetzung. Die Unternehmen müssen verstärkt darauf hinarbeiten, gerade älteren Beschäftigten neue berufliche Perspektiven zu eröffnen und ihre Belegschaft rechtzeitig mit Blick auf die Zukunft zu qualifizieren.
Der zukünftige Fachkräftebedarf wird sich stark regional und branchenspezifisch unterscheiden. Um auf die künftige Fachkräfteentwicklung frühzeitig reagieren zu können, sind möglichst konkrete auf Berufsgruppen und Qualifikationen bezogene Informationen für die Wirtschaft sehr hilfreich. Die neue Plattform RegioPro (Regionale Beschäftigungsprognose) in Hessen, die zugleich Prognosen zum zukünftigen Bedarf beinhaltet hat hierbei Pilotcharakter.
3. Potentiale erschließen – Gesteuerte Zuwanderung ermöglichen
Im Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte steht Deutschland in weltweiter Konkurrenz. Nur mit attraktiven Rahmenbedingungen gelingt es, hiesige Fachkräfte zu halten und neue Fachkräfte für Deutschland zu gewinnen.
Deutsche Hochschulen – gerade im MINT-Bereich – sind für ausländische Studierende attraktiv. Das Aufenthaltsrecht muss so gestaltet werden, dass diese Studierenden den deutschen Arbeitsmarkt als Chance begreifen. Die Bundesratsinitiative des Freistaat Sachsen zeigt hierzu schnell umsetzbare Möglichkeiten auf. Die Einkommensgrenzen für Hochqualifizierte im Aufenthaltsrecht müssen umgehend gesenkt werden, die Vorrangprüfung ausgesetzt oder zumindest erleichtert werden. Darüber hinaus muss Deutschland aber den Schritt zu einem modernen Zuwanderungsrecht gehen. Dieses muss klare, transparente und gewichtete Zugangskriterien enthalten, wie sie am besten durch ein Punktesystem gewährleistet werden.
4. Potentiale sichern – Abwanderung stoppen und Integration stärken
Das Wissen und Können von Fachkräften aus dem Ausland muss für deutsche Unternehmen auch im Inland besser erschlossen werden.
Das Anerkennungsverfahren für im Ausland erworbene Berufsabschlüsse muss einfacher und transparenter werden. Die Initiative der Bundesregierung zur Verbesserung der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse bildet hierfür die Grundlage. Wichtig ist, dass bei der Umsetzung auf schlanke und effiziente Strukturen sowie Kostenneutralität geachtet wird und den Antragstellern auch aufgezeigt wird, welche Qualifizierungsbausteine für eine Anerkennung nachgeholt werden müssen und wie diese Bausteine erworben werden können.
Für eine bessere Integration von ausländischen Fachkräften auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind weitere Anstrengungen nötig. Dazu gehört eine echte Willkommenskultur gegenüber Leistungsträgern, ein leistungsfreundliches Steuer- und Abgabensystem, eine bürgerorientierte Verwaltung, international ausgerichtete Kindergärten und Schulen sowie Sprachkurse und Hilfen bei Behördengängen. Migrationsberater können in Familien mit Migrationshintergrund individuell über Perspektiven und Möglichkeiten der Berufsausbildung und der beruflichen Entwicklung in Deutschland informieren.
Auch die Bildung von Netzwerken, die berufs- und sektorenspezifische Rückhol- bzw. Rückkehrprogramme initiieren, kann sinnvoll sein, um die Attraktivität Deutschlands für Fachkräfte herauszustellen.
Verantwortlich für diesen Pressetext: Christian Kohl
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