BERLIN. Schleswig-Holstein präsentiert sich heute und morgen (12./13.5.) auf dem Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit in Berlin. Rund 8000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Bereichen des Gesundheitswesens informieren sich dort und diskutieren die großen Fragen zu allen Belangen des Gesundheitssystems. Der Schleswig-Holstein-Stand informiert in diesem Jahr gemeinsam mit dem 5 K-Klinikverbund. Gesundheitsminister Dr. Heiner Garg spricht heute (12.5.) auf dem Hauptstadtforum zum Thema Versorgungsverbünde als Lösungsansatz regionaler Versorgungsengpässe: „Demografische Entwicklung, medizinischer Fortschritt, Finanzierung. Diese drei Faktoren beeinflussen massiv die zukünftige Sicherstellung der Gesundheitsversorgung. Zu den Antworten auf diese Herausforderung gehört die stärkere Vernetzung zwischen Sektoren, Professionen und Regionen. Die engere Kooperation von Leistungserbringern untereinander ist ein Mittel für höhere Versorgungsqualität – ablesbar an therapeutischen Erfolgen. Zugleich dient sie auch einem effizienten Einsatz vorhandener Ressourcen: Also der Budgets und – mit zunehmender Bedeutung – der Menschen, die die Versorgung tatsächlich leisten; vor allem den Ärztinnen und Ärzten und Pflegerinnen und Pflegern. Vernetzung kann in Form eines Versorgungsverbundes mit klar definierten arbeitsteilig abgestimmten Versorgungsketten geschehen. Daneben gibt es eine ganze Reihe weiterer Netzwerk- und Kooperationsformen. Ansatzpunkte für die Bildung solcher Zusammenarbeitsmodelle können sein:
1) die Bedürfnisse bestimmter Bevölkerungsgruppen
2) die Versorgung einer bestimmten Region
3) bestimmte Krankheitsbilder
In Schleswig-Holstein haben wir innovative Beispiele, wie solche inner- und sektorenübergreifende Kooperation zur Sicherstellung der Versorgung gerade im ländlichen Raum beitragen können:
1) Modellprojekt zur Ambulanten geriatrischen Versorgung: Mit dem bundesweit einmaligen Projekt haben wir 2010 eine 3. Säule der geriatrischen Versorgung auf den Weg gebracht: Sie basiert auf der Einbindung des ambulanten Bereiches in Kooperation mit den niedergelassenen Ärzten der Region. Beteiligte sind Kostenträger, Kassenärztliche Vereinigung und der Landesverband Geriatrie, der die beteiligten Krankenhäuser vertritt. Im Rahmen des Modellprojektes wurden in vier Modellregionen jährlich je 220 Patientinnen und Patienten im ambulanten geriatrisch-rehabilitativen Bereich behandelt. Zu einem fest vereinbarten Fallpreis (von 1650 € pro Fall). Dafür wurde je Region durch die Kostenträger jährlich rund 1,5 Mio. € zusätzlich zur Verfügung gestellt. Ziel einer rechtzeitigen Einleitung der ambulanten geriatrischen Versorgung ist zum einen die Vermeidung, Verringerung oder Verzögerung von stationärer und teilstationärer Behandlung. Aber auch die Festigung des funktionalen Behandlungserfolges und die Schaffung einer lückenlosen Behandlungskette. Übergeordnet geht es um möglichst dauerhafte Wiedergewinnung, Verbesserung bzw. Erhalt von Selbständigkeit und Alltagskompetenz.
Mit dem Projekt werden vorhandene Angebote verzahnt: Es ist in den vorhandenen Strukturen der Krankenhausversorgung angesiedelt, statt neue Bedarfe zulasten des Budgets der Kostenträger (Rehabilitation) auszulösen. Die Forderung „ambulant vor teilstationär oder stationär“ wird umgesetzt. Der Finanzierungsbedarf ist kalkulierbar: Die Leistungsmengen können regional vereinbart werden. Und es gibt eine Reduzierung der gesamten Behandlungskosten, da stationäre bzw. teilstationäre Behandlungserfordernisse entfallen oder abgekürzt werden können. Niedergelassenen Ärztinnen/Ärzten, KV und Klinikgeriaterinnen/-geriatern haben ein gemeinsames Interesse an der Betreuung multi-morbider Menschen.
2) Ein zweites erfolgreiches Beispiel aus Schleswig-Holstein ist das Regionale Psychiatriebudget in vier Kreisen. Es ist eine auf die Erkrankungsart bezogene Netzwerkbildung, die Krankenkassen und die Leistungserbringer als Vertragsparteien vereinbart haben. Mit dem Projekt wird die Möglichkeit geschaffen, die Versorgung der Patienten individuell zu steuern. In den Regionen gibt es ein festgeschriebenes Budget, das sich an der vorhandenen Wohnbevölkerung orientiert, und seitens der Leistungserbringer eine Übernahme der Versorgungsverpflichtung. Diese erhalten volle Flexibilität bei der Wahl von Behandlungsart und Behandlungsort. Also sowohl vollstationär, teilstationär, ambulant (Psychiatrische Institutsambulanz) als auch die Behandlung zu Hause (Hometreatment) durch Kriseninterventionsteams. Bisher noch ausgenommen ist die Behandlung durch Vertragsärzte – daran arbeiten wir unter moderierender Beteiligung der KV. Ziel der Modellvereinbarung ist, das gesamte Spektrum der psychiatrischen Behandlung sicherzustellen, das für das notwendige Versorgungsangebot benötigt wird.
In dem Projekt ist ein Wechsel zwischen Vollstationär, Tagesklinik oder Ambulanz jederzeit möglich – unbürokratisch und ohne wirtschaftliche Auswirkungen für das Krankenhaus. Behandlung und Erstattung sind an der Indikation orientiert und nicht an den Strukturen. Das ermöglicht eine deutlich stärker individualisierte, auf die Bedürfnisse des Patienten und seiner Angehörigen abgestimmte Therapie. Das Projekt hat sich bewährt durch: fachlich begründete Behandlungsprozesse mit hoher Ergebnisqualität, Planungssicherheit für alle Beteiligten und den Wegfall von Fehlsteuerungen, namentlich des Anreizes zur Mengenausweitung. Aktuelle Studien (Prof. Deister in „das Gesundheitswesen“) zeigen, dass beispielsweise die stationäre Verweildauer pro Patient und Jahr um 25 % abgenommen hat.
3) Ein drittes Beispiel „Tumorboard“ ist im Bereich des Klinikverbundes 5K-Kliniken angesiedelt. Der Verbund ist eine Kooperation von fünf eigenständigen kommunalen Krankenhäusern auf den verschiedensten Feldern von Aus- und Weiterbildung bis zum fachlichen Austausch. Das Tumorboard ist ein institutionalisiertes wöchentlich stattfindendes Konsiliar zur Krebserkrankungen unter Beteiligung von Fachleuten, die über das Land verteilt arbeiten. Praktisch findet die ortsübergreifende Beratung durch Videokonferenzen statt, begleitet durch den Austausch hochauflösender Röntgenbilder per Datentransfer. Beteiligt sind Onkologen, Radiologen, Strahlentherapeuten, Pathologen und niedergelassene Ärzte. Die qualitativen Synergieeffekte liegen auf der Hand. Für mich ist ziemlich klar, dass wir auch unter optimalen Bedingungen nicht mehr jede Facharztstelle werden wiederbesetzen können. Es wird deshalb darauf ankommen, Expertise und „manpower“ auch zu teilen. Tumorboard ist ein hervorragendes Beispiel aus Schleswig-Holstein, wie so etwas gehen kann.
Wer sich die Fakten zur Gesundheitsversorgung ehrlich ansieht, muss feststellen, dass nicht jede bewährte Struktur zu halten sein wird. Die drei Beispiele aus Schleswig-Holstein zeigen Wege, wie stärkere Vernetzung dabei helfen kann, die zukünftige Versorgung sicherzustellen. Zur effizienten Vernetzung brauchen wir je nach regionalen und örtlichen Gegebenheiten vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Die Rolle von Gesundheitspolitik muss es sein, diese zu ermöglichen: Für die Länder, in den Regionen und für die Akteure selbst. Das von der Bundesregierung angekündigte Versorgungsgesetz soll es in den Ländern ermöglichen, ambulante Versorgung bedarfsgerechter organisieren zu können. Das ist gut und richtig. Die Erwartungen an das Versorgungsgesetz sind klar: Mehr regionale Kompetenzen und mehr Länderkompetenzen zur Sicherstellung der Versorgung. Denn ein Stadtstaat hat andere Anforderungen als ein Flächenland wie Schleswig-Holstein mit Inseln und Halligen.
Zudem müssen regionale Anforderungen stärker berücksichtigt werden können. Dieses ist ein erster und wichtiger Schritt. Wobei eine reine Fixierung auf das Thema Planung in die Irre führen würde: Es nützt wenig, wenn zukünftig der Mangel in kleineren Planungsräumen gezählt wird. Es kommt auch dort darauf an, Kooperationen, Netzwerke, Synergien zu schaffen. Dafür brauchen wir auch Regeln für eine Sektoren-übergreifende Finanzierung, sonst kommen gute Ideen über das Stadium eines Modellversuchs nicht hinaus.
Um die notwendige Kompetenzverteilung wurde im Hinblick auf die Eckpunkte des Versorgungsgesetzes zwischen Bund und Ländern hart gerungen – mit gutem Ergebnis. Die erzielte Einigung wurde zum Teil von den Bundestagsfraktionen wieder in Frage gestellt, unter anderem das Initiativrecht der Länder in Bezug auf Selektivverträge. Angesichts der Auswirkungen solcher Verträge auf das regionale Versorgungsgeschehen ist das völlig unverständlich. Ich werde mich mit meinen Länderkollegen in den kommenden Wochen weiterhin intensiv dafür einsetzen, die Länderkompetenzen zu stärken“.
Christian Kohl | Ministerium für Arbeit, 24143 Kiel |